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Auslaufmodell Kibbuz?

Dana Regev/MV21. Mai 2016

Kibbuzim ziehen Touristen aus der ganzen Welt an – und polarisieren. Was einst als kollektive Utopie begann, spaltet heute die israelische Gesellschaft. Dana Regev berichtet aus Israel.

Israel Kibbuz (Foto: Imago/ZUMA Press)
Bild: Imago/ZUMA Press

Sie sind älter als Israel selbst und bis heute einzigartig: Kibbuzim. Die ländlichen Kollektivsiedlungen wurden vor über 100 Jahren auf Basis von sozialistischen Werten und zionistischem Streben gegründet. Vor allem wirtschaftlich erinnert vieles an den Kommunismus. In den Siedlungen mit mehreren hundert Menschen wird der Gleichheitsgedanke großgeschrieben. Die Einwohner, sogenannte "Kibbuznikim", teilen ihr Einkommen untereinander auf, das sie traditionell in der Landwirtschaft oder Industrie verdienen. Jeder Bewohner erhält den gleichen Betrag aus dem Gemeinschaftstopf - egal, wie viel sie einzahlen.

Kinder in ihrem eigenen Esszimmer im Kibbuz Givat Brenner, circa 1950Bild: G. Pickow/Three Lions/Hulton Archive/Getty Images

Heute leben weniger als 150.000 Menschen in 274 Kibbuzim. 74 davon fungieren noch als Kollektiv. Die Mitglieder erwirtschaften allein 40 Prozent der israelischen Landwirtschaft, auch wenn sie nur noch zwei Prozent der Bevölkerung ausmachen. Trotz des Rückgangs ziehen sie noch immer Touristen an, die diese einzigartige Lebensweise kennenlernen wollen.

"Moralisch schockiert"

Degania, die Gemeinde, von der die Kibbuz-Bewegung ausging, wurde 1909 am südlichen Ende des Sees Genezareth in der Nähe des ehemals arabischen Dorfes Umm Juni von europäischen Juden gegründet. Sie wollten ein ländlicheres Leben als die Juden, die sich bereits in Palästina in den alten Städten Jerusalem und Haifa niedergelassen hatten. Einer der Gründer schrieb in einem Buch über Degania, dass die neuen Migranten über die Arbeits- und Lebensbedingungen der anderen Siedler "moralisch schockiert" waren. Juden überwachten die Landwirtschaft, die eigentliche Arbeit machten die Araber, Beduinen dienten als Wächter.

Diese Bio-Dattelpalmenplantage gehört dem Kibbuz Samar in der Wüste NegevBild: Imago/Haytham Pictures/J. Roberts

Die frühen Kibbuznikim wollten das Land selbst bewirtschaften. Das war leichter gesagt als getan: Schließlich waren die Neuankömmlinge im puncto Ackerbau noch sehr unerfahren und mussten mit schlechten Wetterbedingungen und unfruchtbarem Boden vorliebnehmen.

Der Erfolg kam nach der Gründung Israels im Jahre 1948. Dank hoher staatlicher Unterstützung und Einwanderungswellen aus Europa konnten die Siedlungen neue landwirtschaftliche Methoden und industrielle Innovationen entwickeln. Von da an waren Kibbuzim von einer hohen Arbeitsmoral, einem starken Gemeinschaftsverständnis, aber auch einigen fragwürdigen Praktiken gekennzeichnet. Ein Beispiel für Letzteres ist ihr Umgang mit Säuglingen: Babys wurden bereits drei Tage nach der Geburt in eine Art kommunale Krippe gegeben. In den ersten Jahren sahen Eltern ihre Kinder nur für etwa zwei Stunden am Tag. Das hatte auch psychologische Folgen.

Kühe, die dem Kibbuz Sde Eliyahu gehören. Sie werden vor allem für die Milchproduktion genutzt.Bild: Imago/Haytham Pictures/J. Roberts

Sonderbehandlung

Der Geburtsort von Israelis kann auch heute noch viel über ihr späteres Leben aussagen. Kibbuznikim haben viele Vorteile gegenüber Stadtbewohnern: Preisnachlässe bei bestimmten Haushaltsgebühren oder bei Bauvorhaben sind üblich. Viele Israelis sind aus gutem Grund empört. Der Staat hat in der Vergangenheit immer wieder aschkenasische Juden, d.h. solche mit europäischen Wurzeln, gegenüber Mizrachim, das sind solche mit arabischer oder nordafrikanischer Abstammung, bevorzugt. "Egal wie viele Vorurteile man hat, diese Menschen haben sich ihre Existenz aus dem Nichts aufgebaut", sagt Ofir Magen, eine Kibbuznik, die heute in Tel Aviv lebt und als Investmentmaklerin arbeitet.

Die 28 Jahre alte Studentin Yahel Azulay Sharabi sieht das anders. Ihre Großeltern wurden damals in ein schäbiges Übergangslager im israelischen Dimona geschickt. "Sie haben dieses Land mindestens genauso aufgebaut wie die Kibbuznikim", sagt sie. "Sie haben sie als Kanonenfutter und billige Arbeitskräfte benutzt, damit nachher gesagt werden konnte, dass sie das Land aufgebaut hätten."

Rassismus-Vorwürfe

Kritiker sagen, dass die Kibbuz-Mitglieder noch heute von Grundstücken profitieren, die ihnen der Staat geschenkt hat, während derselbe Staat Migranten aus Nordafrika und dem Nahen Osten in arme Entwicklungsstädte schicke.

"Israel stellt die Kibbuz-Kultur als elitär und beispielgebend dar. Es sind Vorbilder", sagt Aran Waizman, Sozialwissenschaftsstudent aus Ashkelon. "Später dienen Kibbuz-Bewohner in hohen militärischen Einheiten, werden Piloten oder Geheimdienstoffiziere, einfach weil sie Kibbuznikim sind. Der Staat unterstützt dieses Vorgehen uneingeschränkt."

Kinder lernen das Tischlern im Kibbuz Givat Brenner in, circa 1950Bild: G. Pickow/Three Lions/Hulton Archive/Getty Images

Waizman ist mit seinen Ansichten nicht allein. Heute glauben nur noch wenige Israelis, dass Kibbuznikim wirklich edle Bauern sind. "Die heutigen Kibbuz-Bewohner sind die dritte Generation einer Rassisten-Dynastie. Sie haben die Araber vertrieben und ihnen ihr Land genommen", sagt die Studentin Sharabi. "Statt dafür bestraft zu werden, gelten sie als Pioniere."

Stolz auf den eigenen Hintergrund

Kibbuznikim fangen meist mit 12 oder 13 an zu arbeiten. Die Mitglieder sollen so viel wie möglich beisteuern, um nachher so viel (oder so wenig) wie nötig zurückzubekommen. Durch das niedrige Einstiegsalter werden sie in Israel als besonders fleißig angesehen. "Neunzig Prozent der Menschen, die in einem Kibbuz aufgewachsen sind, werden das in ihrem Lebenslauf aufführen", sagt die Kibbuznik Ofir Magen. "Ich würde das auch machen. Das heißt nicht, dass Stadtmenschen keine hohe Arbeitsmoral hätten, aber ein Kibbuznik ist für den Arbeitgeber eine sichere Wahl. Wer aus einem Kibbuz stammt, weiß auf jeden Fall, was harte Arbeit bedeutet."

Die Kibbuz-Mitglieder haben aber nicht nur Vorteile auf dem Arbeitsmarkt, sie bekommen auch Lebensmittel wie Milch, Eier, Brot oder Gemüse geschenkt, da sie oftmals Vereinbarungen mit großen Firmen treffen, die sie beliefern. Menschen, die ihr ganzes Leben in einem Kibbuz verbringen, können dort Häuser bauen, ohne für die Grundstücke zu bezahlen.

Viele finden, dass Kibbuznikim zu Unrecht bevorzugt werdenBild: imago

Trotz der zahlreichen Vorteile merken einige Kibbuznikim heute, was das traditionelle System für die eigene Vermögenslage bedeutet. "Sie haben geglaubt, dass das System für immer so bestehen würde. Daher haben sie auch kein Geld gespart, obwohl sie kein Eigentum besitzen", sagt Magen. "Alles, was sie haben, gehört dem Kibbuz." Viele Kibbuzim sind bankrott gegangen oder wurden im Laufe der Jahre privatisiert. "Das Haus meiner Eltern gehört ihnen nicht. Sie haben nichts zu vererben. " Dennoch glaubt sie, dass die Vorteile überwiegen.

Dem Punkt stimmen auch Kritiker zu. "Diese Menschen verfügen über den Großteil der Grundstücke in Israel, und sie geben sie zu Unrecht an ihre Kinder weiter", sagt Sharabi. "Sie sind moderne Feudalisten."

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