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FilmEuropa

Ausnahmetalent: Die deutsche Schauspielerin Sandra Hüller

Scott Roxborough
11. März 2024

Sandra Hüller setzt ihren Erfolgskurs fort. Zwar gewann sie nicht den Oscar als Beste Hauptdarstellerin; dafür wurden zwei Filme prämiert, in denen sie mitspielt: "Anatomie eines Falls" und "The Zone of Interest".

Filmstill zeigt Sandra Hüller vor einer Bergkulisse.
Mord oder kein Mord im Bergchalet? Sandra Hüller als Sandra in "Anatomie eines Falls"Bild: Neon/AP/picture alliance

Die 45-jährige Deutsche scheint auf der Zielgeraden angekommen zu sein. Sie hat Oscar-Luft geschnuppert: 2024 war sie für ihre Hauptrolle in "Anatomie eines Falles" als beste Hauptdarstellerin für einen Oscar nominiert. Der französische Streifen ist bei den 96. Oscars mit dem Preis fürs Beste Drehbuch ausgezeichnet worden - der britische Film "The Zone of Interest", in dem Hüller ebenfalls eine der Hauptrollen spielt, erhielt zwei Trophäen, darunter die für den Besten Internationalen Film.

Auch wenn es letztlich nicht für einen Oscar als beste Hauptdarstellerin gereicht hat: Hollywood hat Sandra Hüller schon länger auf dem Schirm: Bereits im Oktober 2023 war die Schauspielerin auf dem Titel des US-Branchenblatts Hollywood Reporter zu sehen - eine ungewöhnliche Ehre für eine deutsche Schauspielerin. Doch diese ist berechtigt: Hüller ist auf internationalem Erfolgskurs. Erst kürzlich war sie für einen Golden Globe nominiert, doch bei der Preisvergabe Anfang Januar unterlag sie in der Sparte "Beste Darstellerin in einem Filmdrama" der US-Amerikanerin Lily Gladstone, die für ihre Rolle in "Killers of the Flower Moon" ausgezeichnet wurde. Zuvor war sie außerdem bereits der unbestrittene Star der jüngsten European Film Awards. Die EFAs, das europäische Pendant zu den Oscars, wurden am 9. Dezember in Berlin verliehen. Hüller ging als große Favoritin ins Rennen - umso mehr, weil sie in der Kategorie Beste Schauspielerin gleich zweimal nominiert war: für ihre Hauptrollen in Justine Triets "Anatomie eines Falls" (Originaltitel: "Anatomie d’une chute") wurde sie als beste Darstellerin ausgezeichnet. Außerdem war sie auch für ihre Rolle der Ehefrau von Auschwitz-Kommandant Rudolf Höß in Jonathan Glazers "The Zone of Interest" (deutsch: "Interessengebiet") nominiert. Als sie auf die Bühne gerufen wurde, bat sie das Publikum um ein Innehalten, ein gemeinsames Schweigen für den Frieden auf der Welt.

In Cannes abgeräumt und für einen Oscar im Rennen

Beide Filme waren bereits die großen Gewinner bei den Filmfestspielen in Cannes, wo "Anatomie eines Falls" 2023 die Goldene Palme und "The Zone of Interest" den Großen Preis der Jury, den zweiten Hauptpreis des Festivals, gewann.

Sandra Hüller mit dem Team von "The Zone of Interest" im Mai 2023 in CannesBild: Yara Nardi/REUTERS

Bei den französischen Filmpreise, die Césars, die am 23. Februar in Paris verliehen wurden, nahm Hüller die Auszeichnung als beste Hauptdarstellerin entgegen - für ihre Rolle in "Anatomie eines Falls". Wie an einer Perlenschnur reihen sich Auszeichnungen und Nominierungen aneinander. Denn schon im Dezember erhielt Hüller in den USA auch den Preis des Filmkritiker-Verbands LAFCA (Los Angeles Film Critics Association) für ihre Rollen in "Anatomie eines Falls" und "The Zone of Interest". Arthouse-Liebhabern ist Sandra Hüller schon lange bekannt - nicht zuletzt durch ihre grandiose Leistung in Maren Ades Oscar-nominiertem Film "Toni Erdmann" (2016). 

Wurzeln im Theater und in Ostdeutschland

Geboren am 30. April 1978, wuchs Hüller in der Kleinstadt Friedrichroda im ländlichen Thüringen in der damaligen DDR auf. Ein inspirierender Lehrer und ein Schultheaterkurs brachten sie nach Berlin, wo sie sich kurz nach dem Fall der Mauer an der renommierten Hochschule für Schauspielkunst "Ernst Busch" bewarb und angenommen wurde. Da war sie gerade einmal 17 Jahre alt. 

Ihr Aufstieg an die Spitze der deutschen Theaterwelt verlief überaus rasant: Bereits im Jahr 2003, dem Jahr ihres Abschlusses an der Schauspielschule, wurde Hüller bei einer Kritikerumfrage der Zeitschrift "Theater Heute" zur besten Nachwuchsschauspielerin gewählt.

Nach wie vor auch auf der Bühne: Sandra Hüller als "Hamlet" (2019)Bild: JU Bochum

Auch als sie später ins Filmgeschäft wechselte - ihren Theaterwurzeln blieb sie immer treu. Zwischen den Filmrollen kehrt sie regelmäßig auf die Bühne zurück. Und wie schon zu Beginn ihrer Schauspielkarriere ist sie nach wie vor ein Liebling der Kritikerinnen und Kritiker: 2010, 2013, 2019 und zuletzt 2020 wurde sie von "Theater Heute" zur Schauspielerin des Jahres gekürt - 2020 für eine gefeierte Darstellung des Hamlet unter dem niederländischen Regisseur Johan Simons.

Sandra Hüller brilliert in existentiellen und in schrägen Rollen

Ihre Qualitäten stellte Hüller bereits in ihrem Filmdebüt unter Beweis: In Hans-Christian Schmids "Requiem" (2006) spielt sie eine junge Frau aus einer frommen katholischen Familie, welche ihre epileptischen Anfälle und ihr rebellisches Freidenkertum als Zeichen dämonischer Besessenheit deutet - und einen brutalen, letztlich tödlichen Exorzismus anordnet. Für ihre authentisch erschütternde Darstellung wurde Hüller bei der Berlinale 2006 mit dem Silbernen Bären für die beste Darstellerin ausgezeichnet.

Ihr internationaler Durchbruch kam aber erst ein Jahrzehnt später - mit der Hauptrolle in Maren Ades vielbeachtetem komödiantischen Familiendrama "Toni Erdmann" (2016). Darin spielt sie eine ehrgeizige, aber verklemmte Unternehmensberaterin, deren Karrierepläne durch die unerwünschten Einmischungen ihres liebevoll-schelmischen Vaters, gespielt vom inzwischen verstorbenen Peter Simonischek, durchkreuzt werden.

Internationaler Durchbruch: Sandra Hüller als Ines Conradi im Film "Toni Erdmann" (2016)Bild: Komplizen Film

Hüllers Darbietung, zu der auch eine rau-herzliche wie urkomische Interpretation des Whitney-Houston-Songs "Greatest Love of All" gehört, hinterlässt einen lange bleibenden Eindruck. Der London Critics Circle, die Toronto Film Critics Association und die amerikanische National Society of Film Critics hielten Hüllers Spiel für die beste weibliche Leistung des Jahres. Die Europäische Filmakademie stimmte zu und verlieh Hüller den Preis für die beste Schauspielerin 2016.

Vom französischen Chalet zu "Big Brother in einem Nazi-Haus"

"Anatomie eines Falls" und "The Zone of Interest" sind zwei völlig unterschiedliche Filme und zeigen Hüllers enorme Bandbreite als Schauspielerin. "Anatomie eines Falls" ist ein verworrenes französisches Justizdrama - ein intellektueller Thriller über Sandra, eine erfolgreiche deutsche Schriftstellerin (Hüller), die in einem abgelegenen Chalet in den französischen Alpen lebt und möglicherweise ihren französischen Ehemann (gespielt von Samuel Theis) getötet hat. Oder auch nicht.

Regisseurin Justine Triet, die betont, sie habe den Film speziell für Sandra Hüller geschrieben, weigert sich, irgendjemandem, weder ihren Schauspielern noch dem Publikum, zu sagen, ob Sandra schuldig ist oder nicht. Ihre Hauptdarstellerin nimmt das gekonnt an: Hüller, die auf Englisch und Französisch spielt, bleibt bis zum Schluss zweideutig. Fast jede Szene, ob im Streit mit ihrem Mann, beim Trösten ihres kleinen Sohnes oder bei ihrem Plädoyer im Gerichtssaal, kann auf beide Arten gelesen werden.

Szene aus "The Zone of Interest": Die Familie des Auschwitz-Kommandanten Höss beim BadenBild: A24/Everett Collection/picture alliance

Zweideutig ist Hüller in Jonathan Glazers "The Zone of Interest" kaum: In ihrer Rolle als Hedwig Höß, der Ehefrau von Rudolf Höß, dem dienstältesten Kommandanten des Konzentrationslagers Auschwitz, zeigt sie praktisch keine Emotionen. Höß, im Film gespielt von Christian Friedel, wurde 1947 wegen Kriegsverbrechen gehängt. Regisseur Glazer sagte, Hüller sei anfangs "sehr ängstlich" gewesen, die Frau eines Nazis auf der Leinwand zu porträtieren. Bis zu diesem Film hatte sie das stets abgelehnt. Doch der britische Regisseur überzeugte sie, dass sein Film anders sein würde - und das ist er auch.

Wie ein perverses Familiendrama

"The Zone of Interest", die Verfilmung der literarischen Vorlage des in 2023 verstorbenen Schriftstellers Martin Amis, sieht anders aus und fühlt sich anders an als alle anderen Holocaust-Dramen vor ihm. Denn der Film zeigt nie direkt die Gräueltaten von Auschwitz, es gibt nicht eine einzige Gewaltszene. Stattdessen spielt sich der gesamte Film wie ein perverses Familiendrama ab, etwa wenn wir Rudolf und Hedwig Höß beim Picknick am Fluss, beim Spielen mit ihren Kindern im Garten oder beim Plaudern mit ihren Freunden beobachten. Außer Sichtweite, aber in Hörweite - es gibt Echos von Schüssen, bellenden Hunden und Schmerzensschreien - geht das Morden weiter.

Glazer baute das Haus der Familie Höß in Auschwitz wieder auf, nur wenige Meter von der heutigen Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau entfernt, und installierte überwachungsähnliche Kameras, um die Schauspielerinnen und Schauspieler bei ihren Szenen zu filmen - ein Ansatz, den er "Big Brother in einem Nazi-Haus" nannte. Indem er seinen Film als Reality-TV-Show inszeniert, bricht Glazer mit den Kino-Konventionen und Klischees des Holocaust-Films. Anstatt Hedwig und Rudolf Höß als Monster darzustellen, zeigt er sie als vermeintlich gewöhnliche, ja sogar langweilige Menschen. Als Hedwig ist Sandra Hüller kalt, fast gefühlslos. 

Favoritin auf den Europäischen Filmpreis EFA: Sandra HüllerBild: Shootpix/abaca/picture alliance

Zusammengenommen zeigen "Anatomie eines Falls" und "The Zone of Interest" eine Sandra Hüller auf dem Höhepunkt ihres Könnens. 

Adaption aus dem Englischen: Nikolas Fischer

Der Artikel wurde am 11.03.2024 aktualisiert. 

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