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Ausnahmezustand vor der Wahl

Ute Schaeffer30. Oktober 2004

In der Ukraine finden am Sonntag (31.10.04) Präsidentschaftswahlen statt. Es ist eine Richtungswahl mit existentieller Bedeutung für die Ukrainer, meint Ute Schaeffer.

In seinem Land herrsche ein Ausnahmezustand, ohne dass dieser offiziell ausgerufen sei, erklärte der ukrainische Schriftsteller Jurij Andruchowytsch vor wenigen Tagen.

Da werden Studentenorganisationen von Sicherheitsdiensten gefilzt, Redaktionen durchsucht, und die Wohnungen von Mitarbeitern von Nichtregierungsorganisationen. Journalisten werden entlassen, wenn sie sich weigern, diffamierendes Material über die Opposition abzudrucken. Da werden Oppositionskundgebungen in den Provinzstädten verboten, Busse gestoppt und Eisenbahntickets nicht mehr verkauft. Geradezu vorzivilisatorisch sei der Wahlkampf gewesen, meinen westliche Beobachter. Undemokratisch ist es auf jeden Fall.

Da nimmt es eher Wunder, dass Oppositionskandidat Viktor Juschtschenko es überhaupt geschafft hat, sich zu behaupten und sich Kopf an Kopf mit dem Kandidaten der Macht, Viktor Janukowitsch, im Rennen zu halten. Obwohl die Medien gleichgeschaltet sind und Janukowitsch hofieren. Obwohl in sämtlichen staatlichen Strukturen - von Studentenwohnheimen über Schulen, Krankenhäuser und Amtsstuben - vehement Werbung für Janukowitsch gemacht wird.

Diese so genannten administrativen Ressourcen arbeiten für Janukowitsch - doch die Mehrheit des ukrainischen Volkes hat er trotz aller Anstrengungen bisher nicht für sich gewinnen können. Zwei Drittel der 47 Millionen Ukrainer und Ukrainerinnen wollen endlich politische Veränderungen. Mit Janukowitsch aber wird das nicht gelingen.

Janukowitsch steht für eine Politik des Schritt um Schritt zurück - zurück in Richtung Russland, zurück in Richtung staatlicher Kontrolle über die politischen Institutionen, über Gesellschaft und Medien. Gleichgültig, wie das Ergebnis der Wahl am Sonntag (31.10.04) aussehen wird: Die Mehrzahl der Ukrainer will eine solche Politik nicht. Sie sind offensichtlich weiter als ihre politischen Führer, denn sie haben längst verstanden, dass die Ukraine auf gute
Beziehungen in Richtung Ost, vor allem aber auch in Richtung Europa angewiesen ist.

Ansonsten lief alles nach dem Regieplan aller sowjetischen und postsowjetischen Wahlkämpfe. Der große Bruder Russland ließ sich blicken, um Janukowitsch zu unterstützen. Wladimir Putin lobte das großartige Wirtschaftswachstum in der Ukraine, das Janukowitsch als Regierungschef auf den Weg gebracht habe.

Doch dieses Wirtschaftswachstum steht auf tönernen Füßen: Gelingt es in den kommenden Jahren nicht, die ukrainische Schwerindustrie konkurrenzfähig auch für westliche Märkte zu machen, so wird es in sich zusammenfallen wie ein Kartenhaus. Russland überlässt die ukrainische Wahl nicht dem Zufall, denn sie ist vor allem wirtschaftlich von großer Bedeutung: Mehr als ein Drittel aller russischen Gas- und Ölexporte gehen in Richtung Ukraine, längst hat sich Russland in die lukrativen Wirtschaftsbereiche in der Ukraine
eingekauft.

Die Präsidentenwahl für die Ukrainer eine entscheidende, eine Richtungswahl. Europa wird mit der Ukraine nur dann wieder auf einer Augenhöhe verhandeln, wenn es endlich zu einem Elitenwechsel kommt und wenn man auf ukrainischer Seite Ansprechpartner hat, welche die Menschrechte achten, die europäischen Grundwerte respektieren.

Mit Kutschma war das nicht der Fall, deshalb ist die EU auf Distanz gegangen. Mit Juschtschenko aber könnte sich das ändern. Auch nach innen hat die Ukraine bei dieser Wahl die Chance auf einen echten Politikwechsel, auf einen endgültigen Abschied von einer durch sowjetische Reflexe und vor allem russisch geprägten politischen Elite.

Möglichkeiten, die Ergebnisse zu manipulieren, den Wechsel gar zu verhindern, gibt es viele. Auch deshalb schaut der Westen mit aufmerksam auf den Wahlgang am Sonntag. Es geht - nicht zuletzt - um die wirklich existentielle Frage, wie viele weitere Jahre die Ukraine verlieren wird.