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Politik

Balkan: Dicht bewölkt, kaum Auflockerung

Norbert Mappes-Niediek
20. Dezember 2019

2019 brach eine 20-jährige europäische Balkanpolitik zusammen. 2020 dürfte das Jahr sein, in dem die Trümmer weggeräumt werden. Schon im Frühjahr wird sich zeigen, wie viele Leichen unter den Ruinen liegen.

Norbert-Mappes-Niediek - Korrespondent mehrerer deutschsprachiger Zeitungen in Südosteuropa
Bild: L. Spuma

Für den Mai des kommenden Jahres ist in Zagreb ein weiterer EU-Westbalkan-Gipfel angesetzt. Offiziell hat der Europäische Rat im Oktober seine Entscheidung über die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien nur vertagt. Das Veto von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, Bruch eines feierlichen Versprechens vom vorigen Gipfel im Juni, hat in der Region und fast in ganz Europa Entsetzen ausgelöst. Vor allem in Deutschland wird kritisiert, dass die Union mit ihrer brüsken Absage den wichtigsten Hebel verloren habe, die pro-westlichen Reformer in den sechs Nicht-EU-Staaten in Südosteuropa zu unterstützen.              

Der Zagreber Gipfel im Mai, so hoffen viele, könnte die Entscheidung vom Oktober revidieren. Aber die Hoffnung ist schwach. Vorbereiten nämlich soll den Gipfel eine neue EU-Kommission, und deren Bericht fällt in die Kompetenz des neuen Erweiterungskommissars Olivér Várhely. Ungarns Regierungschef Viktor Orbán, dessen Politik Várhely stets loyal vertreten hat, tritt zwar vehement für die EU-Südosterweiterung ein, das aber mit einer ganz anderen Agenda als etwa Deutschland. Besorgnisse über die Demokratie in den Balkanstaaten teilt Orbán nicht, im Gegenteil: Er war es, der den autoritären und korrupten Ex-Regierungschef Nordmazedoniens vor dem Gefängnis rettete. Je stärker sich gerade Ungarn für den Balkan einsetzt, desto größer wird die Skepsis in Frankreich, den Niederlanden, aber auch in Deutschland. Ungarn, so die Befürchtung, benutzt die südöstlichen Staaten nur, um sich eine eigene Einflusszone zu schaffen und um Flüchtlinge abzuwehren.  

Mazedonien: Zaev hat alles auf eine Karte gesetzt - und verloren

Einen Monat vor dem Zagreber Gipfel, am 12. April, wird in Nordmazedonien gewählt. Der Reform-Premier Zoran Zaev war konsequent auf EU-Kurs gesegelt, hatte 2018/19 sogar eine Änderung des Staatsnamens durchgesetzt. Damit hatte er alles auf eine Karte gesetzt - und verloren. Noch unter dem frischen Eindruck des französischen Vetos hat er Neuwahlen angesetzt. Verliert Zaev die Wahl und kommt die autoritäre, nationalistische, pro-russische Opposition wieder an die Macht, haben die Pro-Europäer in der ganzen Region auf lange Zeit kaum mehr eine Chance.

Der etwas andere Regierungschef Kosovos. Albin Kurti im Gespräch mit DW-Europa-Chefin Adelheid Feilcke am 11.12. Bild: DW/A. Bajrami

Das Versprechen "Beitritt gegen Reformen" konnten sie, für jedermann sichtbar, nicht einhalten. Eine böse Ironie wäre es, wenn der Zagreber Gipfel ausgerechnet nach einem möglichen Sieg der Rechten doch noch "ja" sagen würde zu Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien. Die Botschaft würde lauten: Jeder westlichen Forderung maximalen Widerstand entgegensetzen! Nur wer hoch pokert, gewinnt!

Serbien: Permanente Wahlen, Öffentlichkeit im Mobilisierungsmodus

Gewählt wird 2020 wahrscheinlich auch in Serbien - wie schon 2017, 2016, 2014 und 2012. Permanente Wahlen sind für den starken Mann des Landes, Präsident Aleksandar Vucic, ein probates Mittel, um die Öffentlichkeit im Mobilisierungsmodus zu halten und die Opposition im Jahrestakt vorzuführen. Schon das französische Veto im Oktober hat Vucic zum Anlass genommen, die Westorientierung Serbiens zu relativieren und sein Volk auf einen dauerhaften Schaukelkurs zwischen Europa, Russland, China und allen möglichen Investoren vorzubereiten - eine logische Konsequenz aus dem europäischen Rückzug. In den Beitrittsverhandlungen hat deshalb auch keine Seite mehr Anlass, zur Eile zu drängen.

Dasselbe gilt auch für Montenegro. Das kleine Land, wie der Nachbar Serbien schon seit sieben Jahren in Beitrittsverhandlungen, hat milde europäische Ermahnungen wegen seiner Korruption und der Einschüchterung von Journalisten und Oppositionellen schon bisher stets still übergangen.  

Albanien: Wird sich Premier Rama von der wortbrüchigen EU absetzen?

In Albanien hält die Krise an. Sollte sie 2020 überwunden werden, weiß jedenfalls noch niemand, wie. Seit einer boykottierten Kommunalwahl und dem Auszug der Opposition aus dem Parlament herrscht Stillstand. Regierungschef Edi Rama hat sich mit kriminellen Netzwerken im Land angelegt, den Drogenhandel bekämpft und sich in Europa dafür Achtung verschafft. Jetzt aber fehlt ihm der internationale Rückhalt - nicht nur wegen der Blockade auf dem Weg in die EU, sondern auch, weil etliche europäische Länder, allen voran die Niederlande, die albanische Opposition nicht verprellen wollen.

Angespannte Nachbarschaft: (v.li.n.re.) Albaniens Premier Edi Rama, Serbiens Präsident Aleksandar Vucic und Nordmazedoniens Ministerpräsident Zoran Zaev. Bild: Getty Images/AFP/O. Bunic

Dass der machtbewusste Rama klein beigibt, ist nicht zu erwarten. Eher könnte er sich, ähnlich wie Vucic in Serbien, von der wortbrüchigen EU absetzen und einen eigenen Weg suchen. Dass schließlich Bosnien-Herzegowina aus seinem politischen Koma erwacht, ist im voraussichtlichen Umfeld des Jahres 2020 am wenigsten zu erwarten. Je schwächer überall in der Region die Zukunftshoffnungen sind, desto stärker wird die Auswanderung. Mit einem Fachkräfte-Einwanderungsgesetz, das im März in Kraft treten soll, setzt Deutschland dafür einen weiteren Anreiz.        

Kosovo: Ein Rebell will gegen Korruption kämpfen   

Wirklich spannend ist nur die Entwicklung im Kosovo. Mit dem Wahlsieger vom Oktober, Albin Kurti, dürfte das Land bald einen neuen, ganz andersartigen Regierungschef bekommen. Der Rebell verspricht einen entschlossenen Kampf gegen Korruption und Günstlingswirtschaft und wird sich dabei mit mächtigen, auch mit gewaltbereiten Netzwerken auseinandersetzen müssen. Anders als für die Reformer in den Nachbarländern ist für Kurti die EU weniger Teil der Lösung als Teil des Problems: Hinter demonstrativer Europa-Treue versteckten die bisherigen Machthaber gern ihre eigene - persönliche und meist finanzielle - Agenda. Gedankt wurde es ihnen mit massiver Unterstützung der mächtigen westlichen Botschafter bei jeder Regierungsbildung.

Dieses Mal hält der Westen sich zurück. Das gilt sogar für die USA, die sonst gegen Einmischungen nie Hemmungen gezeigt haben. In Washington wird erkennbar an einer neuen Balkan-Strategie gearbeitet. Noch ist unklar, wie sie aussehen könnte. Aber dass die Amerikaner das Heft in die Hand nehmen, wenn Europa nicht mehr weiter weiß, ist gerade in der Region seit den kriegerischen Neunzigerjahren ein bekanntes Muster.         

Norbert Mappes-Niediek lebt im österreichischen Graz und ist Südosteuropa-Korrespondent zahlreicher deutschsprachiger Zeitungen.

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