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So regierten die Kaiser im Mittelalter

Matthias Beckonert
10. September 2020

Networking, Schmeicheleien und Intrigen - die Mainzer Schau "Die Kaiser und die Säulen ihrer Macht" macht mittelalterliche Herrschaftsstrategien greifbar.

Goldene Statue Karl der Große (Foto: Getty Images/S. Schuermann)
Netzwerken für den Machterhalt: Kaiser Karl der Große (768 - 814)Bild: Getty Images/S. Schuermann

Kaum eine Serie hat in den vergangenen Jahren so viele Menschen begeistert, enttäuscht oder gefesselt wie "Game of Thrones". In mittelalterlichem Setting geht es in acht Staffeln darum, wer den Machtkampf um den Thron eines fiktiven Kontinents gewinnt: verschiedene Königshäuser, Fürstentümer oder religiöse Gruppen.

Trotz der darin vorkommenden Drachen, Untoten und anderer Magie hat die Serie mehr Gemeinsamkeit mit deutscher und europäischer Geschichte, als man auf den ersten Blick annehmen würde. Das zeigt eindrücklich die Mittelalter-Ausstellung "Die Kaiser und die Säulen ihrer Macht", die bis April 2021 im Mainzer Landesmuseum zu sehen ist.

Herrschen wie im Serien-Drama

Zum einen stellt die Ausstellung Biografien bekannter Kaiser von Karl dem Großen bis Friedrich Barbarossa vor. Für eine Beschreibung der realen Machtverhältnisse reiche das aber nicht aus. "Wir wissen, dass die vom Papst gesalbten Kaiser nicht unumstritten mit absoluter Macht über ihr Reich herrschten. Vielmehr bewegten sie sich in einem spannungsvollen Machtgefüge", betont Bernd Schneidmüller, wissenschaftlicher Leiter der Ausstellung.

Kampf um Thron und Krone: Rund 300 Exponate machen mittelalterliche Herrschaft erfahrbarBild: Radek Brunecky

Deshalb stellt die Ausstellung zusätzlich zu den herausragenden Herrschern auch die "Säulen" vor, die ihre Macht stützten: Kaiserinnen und Fürsten, Bischöfe und jüdische Gemeinden, Ritter und ganze Städte sicherten mit unterschiedlichen und teils widerstreitenden Interessen die Herrschaft des jeweiligen Kaisers. Das dynamische Geflecht aus Beziehungen, Interessen und Intrigen, wie man es aus dem Serien-Blockbuster "Game of Thrones" kennt, ist also keine Fiktion zeitgenössischer Drehbuchschreiber. Für Herrscher im Mittelalter war es Alltag.

Deutsche Städte waren im Mittelalter politische und kulturelle Zentren Europas

Wie die Herrscher des Mittelalters regierten, zeigt die Schau "Die Kaiser und die Säulen ihrer Macht" in MainzBild: Radek Brunecky

Dieser Macht-Alltag spielte sich vor allem am Rhein ab. Das Heilige Römische Reich (Spätmittelalter bis 1806) hatte keine Hauptstadt. Stattdessen reiste der Kaiser beständig von einer Region in die nächste, um seine grundsätzlich brüchige Herrschaft immer wieder durch das Gewinnen und Erneuern des Konsenses mit den einflussreichen weltlichen und geistlichen Fürsten zu sichern.

Die Gebiete und Grenzen änderten sich im Laufe der Jahrtausende erheblich, in seiner größten Ausdehnung umfasste das Heilige Römische Reich Mitteleuropa und Teile Südeuropas. Aufgrund der militärisch und geografisch zentralen Lage im Reich hielten sich die Kaiser seit Karl dem Großen bevorzugt in der Rheinregion auf. Daher sammelte sich die Macht zwischen Köln, Metz, Frankfurt am Main und Basel. Kein Wunder also, dass die Rheinregion nicht nur politisches sondern auch wirtschaftliches und kulturelles Zentrum Europas war.

Davon zeugen bis heute Burgen, Klöster, Kathedralen und Königspfalzen am Rhein. Aber die damalige Zeit wirkt auch auf subtilerer Ebene nach. "Hier entstand eine Bühne der vielen Mitspieler mit prägender Wirkung auf die föderalen Strukturen in Deutschland", so Schneidmüller.

Über 90 Prozent der Bevölkerung blieb ohne Macht

Als Beispiel werden in der Ausstellung etwa die erstarkenden Städte beleuchtet, die sich zu Bünden zusammenschlossen und so die Friedenswahrung - eigentlich hoheitliche Aufgabe von Königen und Kaisern - selbst in die Hand nahmen. Oder die Goldene Bulle von 1356. In diesem Verfassungsdokument, das die politische Ordnung des Heiligen Römischen Reiches bis 1806 fixierte, wurden die sieben Kurfürsten ganz offiziell als zentrale "Säulen" neben dem Kaiser bestimmt: Der Kaiser, so heißt es dort bildlich, sei das Dach, das nur halten könne, wenn es durch die Säulen, also die Kurfürsten, gestützt werde.

Leihgabe aus Österreich: die Goldene Bulle von 1356Bild: Österreichisches Staatsarchiv

Das Exemplar der Goldenen Bulle des Mainzer Erzbischofs, eine Leihgabe des Österreichischen Staatsarchivs in Wien, ist eines von insgesamt 300 ausgestellten Exponaten aus verschiedensten Ländern: Zu entdecken gibt es Herrschaftsinsignien, Reliquien, Prunkgegenstände, Urkunden, Münzen und Waffen.

Spannend ist aber auch die Geschichte, die diese Exponate der Macht nicht erzählen: Mehr als 90 Prozent der Bevölkerung schafften als Bauern und Tagelöhner die wirtschaftliche Basis für die Macht  - ohne selbst davon zu profitieren oder repräsentiert zu sein. Auch diese Geschichte wird schlaglichtartig erzählt.

Polizeischutz für Exponat 

Codex Manesse bekam PolizeischutzBild: Universitätsbibliothek Heidelberg

Höhepunkt der Ausstellung ist aber ein Exponat, das ein wenig außerhalb des eigentlichen Themas steht: Der Heidelberger Codex Manesse, eine der wichtigsten noch erhaltenen Sammlungen mittelalterlicher Lieder. Ohne die 700 Jahre alte Handschrift wären mittelalterliche Meisterwerke von bekannten Minnesängern wie Walther von der Vogelweide oder Wolfram von Eschenbach für immer verschollen.

Dementsprechend vorsichtig gehen die Ausstellungsmacher mit dem Sammelband um, der der Öffentlichkeit nur selten präsentiert wird. Der rund 100 kilometerweite Transport von Heidelberg nach Mainz wurde mit 80 Millionen Euro versichert, der Weg unter Polizeischutz und in einer speziell angefertigten, erschütterungsfesten Klimakiste zurückgelegt. Da die Handschrift nur wenig Lichteinfall verträgt, wird sie nur bis Oktober in Mainz zu sehen sein.

Begleitet wird die Ausstellung von 26 sogenannten 'Korrespondenzausstellungen' im gesamten Bundesland Rheinland-Pfalz - das Bundesland hat daher 2020 gleich zum "Kaiserjahr" ernannt. So wolle man die Mythen rund um das vermeintlich 'finstere' Mittelalter erfahrbarer machen.

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