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Kunst

Fotoausstellung untersucht Männlichkeit

Sertan Sanderson woy
16. Oktober 2020

Was ist ein Mann? Dieser Frage geht der Berliner Gropius Bau nach. Eine neue Schau mit rund 300 Fotos und Filmen wirft so manche Stereotype über den Haufen.

Schwarz-weiß Fotografie zeigt einen jungen Mann mit mittellangen Haaren und Schnurrbart, der über eine Straßenkreuzung auf der New Yorker Christopher Street läuft, die Augen gesenkt (Foto: Sunil Gupta/Hales Gallery/Barbican Art Gallery).
Bild: Sunil Gupta/Hales Gallery/Barbican Art Gallery

Die Ausstellung "Männlichkeiten: Befreiung  durch Fotografie" (Originaltitel "Masculinities: Liberation through Photography") im Martin-Gropius-Bau Berlin entstand in Zusammenarbeit mit der Londoner Barbican Art Gallery. Anhand von Werken von mehr als 50 Künstlern untersucht sie männliche Identitäten.

Wie sieht Männlichkeit aus? Wann wird es toxisch? Und wo ist die Abgrenzung zu weiblichen Motiven? Rund 300 Fotografien und Filme zeigen, wie sich die männliche Identität über Jahrzehnte hinweg grundlegend verändert hat, nicht zuletzt dank queerer Bewegungen.

Männer als Objekte

Die Fotoarbeiten setzen sich mit dem Mannsein rund um den Globus in all seinen Facetten auseinander. Und egal, ob es um das Patriarchat oder um das Thema "Black is beautiful" innerhalb der schwarzen männlichen Bevölkerung geht - die Schau zeigt eine Vergegenständlichung der Männer, wie sie sonst eigentlich besonders Frauen im Bereich der Pop-Kultur erfahren.

Lange Haare, harter Sport: Fotografin Catherine Opie fragt nach der Bedeutung vermeintlich männlicher AttributeBild: Catherine Opie/Regen Projects/Thomas Dane Gallery

Die Werke stellen gängige Vorstellungen von Männlichkeit - aber auch Weiblichkeit - in Frage. Sie erschüttern die Erwartungen des Betrachters. Dadurch lädt die Ausstellung zu Dialog über Geschlechterrollen ein, der über weibliche und männliche Geschlechtsmerkmale oder die Debatte über Pronomen hinausgeht.  

Taliban-Lager und Altherren-Clubs

Zu sehen sind beispielsweise Farbporträts von Taliban, die sich vor blumiger Kulisse zärtlich an den Händen halten. Ihre Augen sind dick mit schwarzem Kajal umrandet. In Afghanistan ist das Händchenhalten unter Männern nichts Ungewöhnliches und das Bemalen der Lider mit schwarzem Kajal ein gesellschaftliches Ritual auch bei Männern. Dennoch regen die Bilder zum Nachdenken darüber an, was einen Mann zum Mann macht.

Der Fotograf Thomas Dworzak veröffentlichte die Bilder im Jahr 2001, als sich die Taliban auf den Kampf gegen die von den USA geführte Offensive in Afghanistan vorbereiteten. Was aber aus diesen Kriegern nach fast zwei Jahrzehnten Krieg wohl geworden ist, deren Selbstbild zumindest für ein westliches Publikum etwas überraschend wirkt, wird fast zur Nebensache. Der Kajal wirkt bei Männern wie bei Frauen.

Die provokant angelegte Fotoausstellung zeigt aber auch politisch aufgeladene Momente in der europäischen Kultur. Die Serie "Gentlemen" der in Frankfurt geborenen Fotografin Karen Knorr untersucht private Männerclubs in der britischen Hauptstadt in den frühen 1980-er Jahren. Ihre Fotografien spiegeln nicht nur die damaligen britischen Klassen- und Rassen-Vorstellungen wider, sondern auch den gesellschaftlichen Ausschluss von Frauen - und das zu Zeiten der konservativen britischen Premierministerin Margaret Thatcher.

Männer unter sich: Altherren-Club in LondonBild: Karen Knorr

Queere Identitäten

Besonders spannend ist die Schau in Hinblick auf die queeren Fotoserien, die zeigen, dass die Homosexuellen-Bewegung den Grundstein für viele Fragen der bis heute anhaltenden Gender-Debatte gelegt hat. Künstler wie Sunil Gupta fingen das Leben schwuler Männer auf der New Yorker Christopher Street ein, der Ort, an dem sich vor knapp 51 Jahren die Stonewall-Unruhen ausbrachen. Die Fotos verzichten auf grelle Paradiesvögel, mit denen Schwulenviertel oft assoziiert werden, und zeigen stattdessen Männer des Alltags, die die Grenzen zwischen homo- und heterosexuell verschwimmen lassen (Artikelfoto).

In den 1980-er Jahren beschäftigte sich Gupta dann mit der Liebe unter Männern in Indien. Seine Bilder geben Einblick in die schwule Szene des Subkontinents. In einer Gesellschaft, in der bis heute die Homosexualität als Subkultur gilt, verhilft Sunil Gupta alternativen Männlichkeiten zu ihrem wohlverdienten Platz.

Catherine Opies Serie "Sein und Haben" von 1991 erkundet die LGBTQ-Szene an der Westküste der USA. Die Models - ihre persönlichen Freunde - sind geschmückt mit Tätowierungen und Schnurrbärten. Die Bilder werfen die Frage auf, welche Rolle solche stereotype maskuline Modeaccessoires für die Identität spielen. 

Machen sich diese Männer über "typisch männliche" Körperattribute lustig? Oder ermöglichen gerade diese es vielen, in einer Männerwelt "durchzukommen", ohne dabei unnötig aufzufallen? Vielleicht sind es gerade die Perspektiven von Frauen wie Opie und Knorr, die es ermöglichen, den Wandel der Maskulinitäten über die Jahrzehnte hinweg besser zu verstehen. 

Makellose Männer

Die Ausstellung setzt vor allem auf die Werke bekannter Fotografen und Filmemacher wie Herb Ritts, Isaac Julien oder Robert Mapplethorpe. Aber auch weniger bekannte Künstler wie Sam Contis, Paul Mpagi und Karlheinz Weinberger sind mit Fotoarbeiten vertreten.

Eines der ersten männlichen Starmodels: Marcus Schenkenberg, 1997 von Herb Ritts fotografiertBild: picture-alliance/dpa/MMK Absolut Vodka

Zwar dominiert eine unverhältnismäßig große Anzahl an Fotos von makellosen Körpern und heroischen Darstellungen die Schau, doch am Ende zeigt sie mit ihrem breiten Spektrum an Blickwinkeln, was in der Debatte über Geschlecht und Identität oft übersehen wird: Männer sind in ihrem Kern verwundbar. 

Die Fotoausstellung "Masculinities: Liberation through Photography" ist noch bis zum 10. Januar 2021 im Berliner Gropius-Bau zu sehen.

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