Kunst und Kohle – die Verbindung mag naheliegen, denkt man an die umgangssprachliche Doppeldeutigkeit des Worts. Aber abgesehen vom Geld: Was hat Kohle denn mit Kunst zu tun? 17 Museen des Ruhrgebiets geben Antworten.
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Abgesang auf eine Ära: Megaausstellung "Kunst & Kohle" erobert Ruhrgebiet
Auf Kohle folgt Kunst. An insgesamt 17 Standorten quer durch das Ruhrgebiet haben die Ausstellungsmacher die unterschiedlichsten Kunstwerke platziert. Werkstoff oder Thema bei allen ist das "schwarze Gold".
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Ibrahim Mahama: Coal Market
Mit seinen Verhüllungen hat der ghanaische Künstler bereits auf der Documenta 14 für Aufsehen gesorgt. In Herne verwandelt er das Barock-Schloss Strünkede in eine monumentale Skulptur. Die in Asien produzierten Jutesäcke, mit denen er das Dach und die Fassade bedeckt, transportierten einst Kaffee und Kohle. Wer sie nutzte, hinterließ seine Chiffren auf dem Stoff: Sinnbild für globale Zirkulation.
Bild: DW/S. Peschel/ Ibrahim Mahama
Alexander Chekmenev: Fotoserie "Donbass"
Es ist ein globales Phänomen: Wenn Zechen geschlossen werden, sind die ehemaligen Kohleabbaugebiete oft von Armut und Orientierungslosigkeit geprägt. Der ukrainische Fotograf Alexander Chekmenev (geb. 1969) hat das Leben in der Donbass-Region dokumentiert. Unter Lebensgefahr fördern Kohlearbeiter oft noch weiter den kostbaren Energieträger aus den aufgegebenen Stollen.
Bild: Alexander Chekmenev
Alexander Chekmenev: Hochzeit in der Ost-Ukraine
Chekmenevs Bilder sind wie die Erzählungen des ost-ukrainischen Schriftstellers Serhij Zhadan. Sie geben die drastische Härte der Arbeits- und Lebensumstände der Arbeiter in der umkämpften Region wieder, berühren aber auch durch ihre Menschlichkeit und ihren Humor. Als Teil der Ausstellung im Märkischen Museum Witten schlagen sie eine Brücke vom Ruhrgebiet in die russisch besetzte Ost-Ukraine.
Bild: Alexander Chekmenev
Olaf Metzel: Tafelrunde
Auch der Objektkünstler Olaf Metzel beschäftigt sich mit den Lebensumständen von Menschen im ehemaligen Bergbaugebiet: Sein Werk "Tafelrunde" thematisiert mit den aus Aluminium gestalteten Einkaufstaschen eine Problematik, die in Deutschland und im Ausland viel Aufmerksamkeit gefunden hat: den Ausschluss von Ausländern von der Essener Tafel, einer gemeinnützigen Essensausgabe, im Februar 2018.
Bild: DW/S. Peschel/Olaf Metzel
Lars Breuer: "Fremd bin ich eingezogen"
Um die Farbe "SCHWARZ" geht es im Museum unter Tage (MuT) in Bochum. Das spielt natürlich auf die Schwärze von Kohle an, bezieht thematisch zugleich aber auch Verborgenes sowie Dunkelheit in der Kunst seit den 1960er Jahren mit ein. Lars Breuer zitiert in seinem Werk einen Vers aus dem ersten Lied von Franz Schuberts "Winterreise": "Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ich wieder aus."
Bild: DW/S. Peschel/Lars Breuer
Susanne Weirich: Charcoal Facial Mask
Frei zugängliches Bildmaterial aus Sozialen Netzwerken hat die an der Uni Duisburg-Essen lehrende Künstlerin für ihre Videoinstallation im MuT benutzt. Wenn sich junge Männer und Frauen verschiedener Hautfarben Gesichtsmasken aus zerstampfter Kohle und Klebstoff auftragen und unter Schmerzen wieder abreißen, wird dieses "Blackfacing" zu einem neuen Ritual der Häutung.
Bild: Susanne Weirich
Andreas Golinski: In den Tiefen der Erinnerung
Einige der 17 Museen haben einzelne Künstler eingeladen, das Thema "Kunst & Kohle" zu gestalten. Andreas Golinski im Kunstmuseum Bochum denkt über das Schicksal der Industrieräume im Erdinneren nach. Inszenierte Risse und Spalten und multimediale Rauminstallationen provozieren Ängste vor dem Unbekannten, das da in der Unterwelt des Ruhrgebiets lauert. "Mentale Archäologie" seien diese Visionen.
Bild: Courtesy Andreas Golinski, VG Bild-Kunst, Bonn 2018
Diana Ramaekers: "Mijn Berg"
"Down Here - Up There", unter diesem Titel zeigt das Zentrum für internationale Lichtkunst in Unna Werke, die sich auf System und Struktur, Mensch und Mentalität beziehen. Ihre Assoziation zum Thema Kohle zeigt Diana Raemakers in ihrer Installation mit roten Neonröhren. Der umgekehrte Berg symbolisiert das aus der Tiefe abgeräumte Gestein. Das leuchtende Rot erinnert an die Farbe glühender Kohlen.
Bild: Foto: Sergé Technau Photography Courtesy by Diana Ramaekers
Gert & Uwe Tobias: "Auf"
Nur ein vielsagendes "Auf" ist bei Gert & Uwe Tobias übrig geblieben von der emphatischen Begrüßung "Glückauf" der Kohlekumpel unter Tage. Die 1973 in Siebenbürgen geborenen Zwillingsbrüder haben alle drei Etagen der Kunsthalle Recklinghausen gestaltet. Ihre Holzschnitte erzählen Geschichten, historische und soziale und erinnern an großformatige Puzzle.
Sie macht aus Kohle Diamanten: Die international renommierte Künstlerin arbeitet an der Schnittstelle zwischen Kunst und Wissenschaft. Ihre Ausstellung im Kunstmuseum Mühlheim an der Ruhr ist wie eine Art Zeitkapsel der Erinnerung an frühere Zustände von Stoffen. Die Lichtinstallation "Migratory Sense" von 2017 ruft Transformationsprozesse wach - von Elementen wie Feuer, Erde, Luft und Wasser.
Bild: 2018 Stadtgalerie Saarbrücken, Anton Minajev
Jannis Kounellis: Ohne Titel (2005)
Die "Hommage an Jannis Kounellis" im Museum Küppersmühle ist erst ab 8. Juni zu sehen. Der Pionier der Arte Povera-Bewegung hat "armes" Material inszeniert, das reich an Assoziationen und Geschichte ist. Eisen und Kohle spiegelten "am besten die Ursprünge der heutigen Kultur" wider. Neben seinen Werken greifen dort auch andere Künstler wie Anselm Kiefer und Sun Xun die Kohle als Material auf.
Bild: Jérôme Cavalière/VG Bild-Kunst, Bonn 2018
Vom Ruhrgebiet zum Kulturgebiet
250 Jahren Lang hat der Steinkohlebergbau das Ruhrgebiet geprägt. Mit der Schließung der letzten beiden Zechen geht ein Industriezeitalter zu Ende. Dank der Kunst ist dieses Ende aber auch ein Anfang: die Umwandlung des Ruhrgebiets in ein Kulturgebiet. Basis dieser Transformation sind die 20 RuhrKunstMuseen. Im Verbund reflektieren 17 von ihnen die historische Zäsur jetzt in Ausstellungen.
Bild: DW/S. Peschel/Ibrahim Mahama
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Ibrahim Mahama will dabei sein, wenn seine Verhüllungsskulptur am Samstag (5.5.) eingeweiht wird. Selbst wenn er es bis dahin noch nicht ganz geschafft haben sollte, Schloss Strünkede in Herne mit seinen unansehnlichen Jutesäcken zu verpacken. Er kann seine Geschichte auch als Work in Progress erzählen. Es ist eine Parabel von Umwandlung und Gegensätzen, voller globaler Bezüge und lokaler Befindlichkeiten: Freiwillige haben die gebrauchten Säcke zusammengenäht, die der ghanaische Künstler in seiner Heimat gegen neue ausgetauscht hatte. Jahrelang wurde in ihnen Kaffee oder Kakao transportiert, später auch Holzkohle. Hergestellt wurden sie ursprünglich in Asien, wahrscheinlich in Bangladesch, wo es am billigsten ist. Viele Menschen haben ihre Chiffren auf der groben Jute hinterlassen, Zeichen, die für den Schweiß vieler Arbeiter stehen, für Armut und Ausbeutung.
Verhüllungsaktion: Jutesäcke verdecken das Wasserschloss StrünkedeBild: picture-alliance/dpa/M. Kusch
Im Wasserschloss Strünkede werden tagtäglich Ehen geschlossen, vor allem im Sommer ist das barocke Kleinod ausgebucht. Eine der schönsten Kulissen des Ruhrgebiets steht in den nächsten Monaten nur noch verkleidet als Fotomotiv zur Verfügung. Es ist eine gezielte Provokation, wenn der Künstler die Schlossfassade in Sack und Asche hüllt, um die Besucher am "schönsten" Tag ihres Lebens auf die globale Zirkulation von Rohstoffen aufmerksam zu machen.
Nicht mehr die Kohle, die Kunst prägt die Region
2018 werden die beiden letzten Zechen des Ruhrgebiets geschlossen, in denen noch Steinkohle abgebaut wurde. Das ist eine Zäsur, ein Industriezeitalter geht zu Ende. In den nah beieinander liegenden Städten der einstigen Bergbauregion sucht man schon seit Jahrzehnten nach Antworten, wie es nach Stahl und Kohle weitergehen soll. Man ist vorbereitet. Kultur und Kunst spielen dabei eine Hauptrolle.
So sehr im Ruhrgebiet der Zusammenhang von Kunst und Kohle betont werde, sagt Ferdinand Ullrich, Ex-Chef der Kunsthalle Recklinghausen und Koordinator des Mega-Projekts, sei das ist ja immer auch ein Stück Behauptung. Aber: "Wir sind dabei, diese Behauptung wahrzumachen."
Comics und Cartoons zeigt die Ludwiggalerie im Schloss Oberhausen: Bild von Hendrik DorgathenBild: Hendrik Dorgathen
Vor zehn Jahren haben sich 20 Museen zum Verbund RuhrKunstMuseen zusammengeschlossen. 17 von ihnen reflektieren jetzt das Ende der Kohle in einem großen, städteübergreifenden Ausstellungsprojekt. Wie haben Kohle und der Bergbau Künstler früher inspiriert? Was bleibt der Kunst vom Schwarz der Kohle, ästhetisch und ganz konkret als Werkstoff? Die Steinkohle hat das Ruhrgebiet geprägt. Seit mehr als 250 Jahren wurde hier Kohle abgebaut. Hunderte Kilometer von Stollen durchziehen den Untergrund, künstliche Berge und Industriebauten haben darüber eine neue Kulturlandschaft geformt. Wie interpretieren Künstler dieses Oben und Unten, die mit der Kohle verbundene Mythologie, die auch stark von Einwanderern geprägte Identität, die mit ihrem Ende brüchig geworden ist?
Nicht von der Stange
150 künstlerische Positionen kreisen um diese Fragen. Längst geht es dabei nicht immer um Macht und Reichtum oder wie in Mahamas Schlossverhüllung um starke Gegensätze. Das "schwarze Gold" hat schon immer fasziniert, nicht nur als handelbares Material und Energieträger, sondern auch als ästhetische Ressource. Nicht zuletzt die Bergleute selbst haben sich von ihrem Material anregen lassen. Schichtwechsel, die Ausstellung von Laienkunstwerken im Museum Ostwall in Dortmund zeigt ihre kreativen Bestrebungen.
Wie sieht es eigentlich im Untergrund aus?, fragt Andreas Golinski vor seiner Rauminstallation.Bild: DW/S. Peschel/Andreas Golinski
Im Kunstmuseum Bochum ist die Installation "In den Tiefen der Erinnerung" von Andreas Golinski zu sehen – eine "erinnernde Rückschau auf die Epoche des Kohleabbaus als Fiktion" nennt sie der Künstler. Die Ludwig Galerie Schloss Oberhausen präsentiert unter dem Titel "Glück auf!" Comics und Cartoons zum Thema Kohle. Das Josef Albers Museum Quadrat in Bottrop zeigt die seriellen Fotografien von Zechen, Fördertürmen, Hochöfen oder Gasometern von Bernd und Hilla Becher.
Viele der in den beteiligten 13 Städten ausgestellten Arbeiten sind eigens für den jeweiligen Ort entstanden. Kunst von der Stange, fertige Bilder, habe man nicht gesucht, berichtet Thomas Hausholt, der das gesamte Projekt organisatorisch begleitet hat. Das galt auch für die Werke von weltberühmten Künstlern – Gerhard Richter, Richard Serra, Anselm Kiefer, Jannis Kounellis, Alicja Kwade, Andreas Gursky, um nur einige zu nennen. Auch sie mussten den Bezug zur Grundidee der Ausstellung, wie sie Ullrich betont, nämlich "dass aus diesem Material Kohle ein ästhetisches Moment entspringen kann" in besonderer Weise verdeutlichen.
Der Perspektivwandel als Signal des Aufbruchs
Auch "Kolibri" von Ulrike Martens ist Teil Ausstellung in der Ludwiggalerie im Schloss OberhausenBild: VG Bild-Kunst, Bonn 2018
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat die Schirmherrschaft für das Großprojekt übernommen. Wenn am 8. Juni mit der "Hommage an Jannis Kounellis" das letzte Museum seine Ausstellung im Rahmen von "Kunst & Kohle" eröffnet, ist der Wandel der Perspektive auf Kohle als geologischem Rohstoff vollzogen. Die Montanindustrie ist am Ende. Aber das Revier lebt, "zukunftsversessen", sagen die Ausstellungsmacher. Das haben sie der Kunst zu verdanken.