Opern erzählen Geschichten auf eine besondere, vielleicht nicht immer sehr zugängliche Art. Zugleich umgibt sie eine elitäre Aura. Hat die Oper ausgedient?
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Deutschland hat mit 83 Opernhäusern die höchste Operndichte weltweit. Zu den prominentesten zählt das Festspielhaus in Bayreuth, einst von Richard Wagner errichtet. Seit 1876 werden dort im Rahmen eines Festivals Wagner-Opern aufgeführt. Die Bayreuther Festspiele sind Jahr für Jahr ein großes gesellschaftliches Event mit viel Prominenz.
Das war auch in den Anfängen der Oper so, doch erfunden wurde sie woanders, nämlich in Italien. Am Hofe der Medici in Florenz fanden um das Jahr 1600 die ersten Opernaufführungen statt. Sie dienten vor allem der Unterhaltung der Reichen und Mächtigen und der Repräsentation. Die Komponisten Jacopo Peri und Giulio Caccini vertonten die Stücke "La Dafne" und "L'Euridice" von Ottavio Rinuccini und erfanden damit die Oper. Auch das Rezitativ, der für Opern so typische Sprechgesang, geht auf die beiden Italiener zurück.
Herrscherrepräsentation mit Musik und Tanz
Da die neue Kunstform beim Publikum so gut ankam und sie sich für den europäischen Adel hervorragend eignete, um seinen Reichtum, Macht und Überlegenheit zur Schau zu stellen, verbreitete sie sich rasant. Am Wiener Hof arbeiteten im 17. und 18. Jahrhundert die besten Komponisten, Sänger und Bühnenbildner. Der Habsburger Kaiser Karl VI. (1685-1740) schwang sogar selbst den Taktstock.
Opern rechnen sich
Ab den 1630er-Jahren gründeten die reichen Patrizierfamilien in Venedig erste Opernhäuser. Ihnen ging es weniger um Protz und Prunk, sondern ums Geldverdienen. Zur Profitmaximierung wurden die Aufführungen gekürzt und Chor und Orchester verkleinert. Dafür wurden Stars eingekauft, wie etwa der damals hochverehrte und berühmte Kastrat Farinelli, und spektakuläre Bühnenbilder geschaffen.
Das Publikum bekam eine große Show geliefert, die cleveren Patrizier hatten eine neue Geldquelle erschlossen. "Es ging darum, die Menschen mitzureißen und zu begeistern", erklärt die Kunsthistorikerin Katharina Chrubasik, die gemeinsam mit dem Dramaturgen Alexander Meier-Dörzenbach die Ausstellung "Die Oper ist tot - Es lebe die Oper" in der Bundeskunsthalle (30.09.2022-05.02.2023) kuratiert.
Deutschland: Land der Opern
Bis zum Ausbruch der Corona-Pandemie haben in Deutschland rund 3,8 Millionen Menschen pro Jahr eine Oper besucht. Die Zahlen hielten sich lange Zeit stabil. Erst die Pandemie sorgte für einen starken Einbruch. War das der Todesstoß für die Oper? "Die Oper ist immer wieder totgesagt worden und trotzdem hat sie sich neu erfunden, hat sich neu sortiert, nach allen Krisen, sei es nach Kriegen oder nach gesellschaftlichen Umbrüchen", sagt Chrubasik.
Spektakuläres Gesamtkunstwerk
Wie kein anderes Genre spreche die Oper unsere Sinne an, indem sich Musik, Gesang, Poesie, bildende Künste, Theater und Tanz zu einem spektakulären Gesamtkunstwerk verbinden, meint die Intendantin der Bundeskunsthalle, Eva Kraus. Für sie ist die Oper "eine der betörendsten Kunstgattungen überhaupt". Etwas dramatischer fasst Kurator Alexander Meier-Dörzenbach die Vorzüge der Oper zusammen: "Die menschliche Seele zutiefst zu erschüttern, ist der Anspruch der Oper." Zwar sei alles, was das Publikum zu sehen bekomme, Illusion, aber es habe trotzdem eine Wirkung auf die Menschen. "Diese Wirkung ist echt und wahr."
Auf diese einmalige Wirkung auf das Publikum zielte auch der Komponist und Dirigent Gustav Mahler ab, der die neu gegründete Wiener Hofoper ab 1897 leitete. Er dirigierte selbst, übernahm die Regie und führte eine Neuerung ein, die bis heute bestand hat: Er ließ den Zuschauersaal verdunkeln und die Türen nach Beginn der Aufführung verschließen. Alle sollten sich voll und ganz auf das bis ins Detail durchkomponierte Geschehen auf der Bühne konzentrieren.
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Mailand: Musikalisches Zentrum
Im Laufe ihrer Geschichte pendelte die Oper zwischen verschiedenen Ansprüchen: Sie wurde als Statussymbol genutzt, als Wirtschaftsunternehmen aufgebaut und als Hort hoher Kunst verstanden. Im 19. Jahrhundert war die Mailänder Scala die Topadresse unter den Opernhäusern. Geleitet wurde sie von Domenico Barbaja, einem ehemaligen Kellner und Kartenspieler, der ein Casino ins Opernhaus integrierte und einen guten Draht zu den Komponisten Gioachino Rossini, Vincenzo Bellini und Gaetano Donizetti hatte. Er konnte sie davon überzeugen, Auftragswerke für ihn zu schreiben. Das Mailänder Verlagshaus Ricordi sicherte sich die Rechte an den Opern und kümmerte sich um den weltweiten Vertrieb.
Wie die New Yorker Metropolitan Opera zur Legende wurde
Es ist ein Cocktail aus unvergesslichen Arien und Skandalen, die die New Yorker MET Opera zu dem macht, was sie ist: ein Star unter den Opernhäusern.
Bild: picture-alliance/imageBROKER/H. Dobler
Mehr Platz in der Loge
Ende des 19. Jahrhunderts war die "Academy of Music" das Opernhaus in New York - allerdings war der Platz in den Logen so beschränkt, dass es nicht mehr genügend Platz für die neuen Millionäre der Stadt gab. Tycoone wie etwa William H. Vanderbilt nahmen das nicht hin: Ein neues Haus sollte her - mit jeder Menge Logen.
Bild: Getty Images
Ein Projekt von Millionären
1880 erschien die erste Meldung in der Times: Die Millionäre Rockefeller (im Bild), Vanderbilt, Roosevelt und Morgan hatten sich zusammen getan, um ein neues Opernhaus zu finanzieren. 1883 wurde die Metropolitan Opera feierlich eröffnet, mit Charles Gounods Oper "Faust".
Bild: AP
Die goldenen Jahre mit Enrico Caruso
Der Sänger Enrico Caruso, geboren im Armenviertel Neapels, kam 1903 an die Metropolitan Opera - und sang hier bis zu seinem Tod. Seine 17 Met-Jahre gelten als das Goldene Zeitalter des Opernhauses. Carusos Partnerin Geraldine Farrar berichtete, wie sie das erste Mal mit ihm auf der Bühne stand und vergaß zu singen - weil sie über die Schönheit seines Gesangs in Tränen ausbrach.
Bild: picture-alliance / akg
Gustav Mahler am Dirigentenpult
Unter Direktor Giulio Gatti-Casazza, früherer Chef der Mailänder Scala, trat 1908 der österreichische Komponist und Dirigent Gustav Mahler seinen Dienst an der Metropolitan Opera an. Doch Gatti-Casazza hatte Konkurrenz mitgebracht: den italienischen Dirigenten Arturo Toscanini. Nach vielen Querelen überließ Mahler dem italienischen Nebenbuhler schließlich 1910 das Pult.
Choleriker mit Taktstock
Toscaninis Wutanfälle waren legendär: Er schrie sein Orchester an und zertrampelte Taktstöcke. Der Sopran-Star war zu dieser Zeit die US-Amerikanerin Geraldine Farrar. Bei "Madame Butterfly" kam es zum Zusammenstoß: Farrar soll gerufen haben: "Aber ich bin der Star!" Toscaninis Antwort? "Madame, Sterne gibt es nur im Himmel!" Später begannen die beiden ein Verhältnis.
Bild: AP
Marian Anderson: die erste schwarze Opersängerin an der Met
Noch 1929 war die Hauptrolle eines schwarzen Opern-Protagonisten durch einen Weißen verkörpert worden, der sich das Gesicht geschwärzt hatte. Rudolf Bing (r.) brachte bei seinem Amtsantritt 1950 neuen Wind in die Metropolitan Opera. Er setzte einige schwierige Besetzungen durch und brachte mit Marian Anderson die erste schwarze Opernsängerin auf die Bühne des Hauses.
Bild: Tom Fitzsimmons/AP/picture alliance
Eklat mit der letzten Primadonna
Rudolf Bing bot Maria Callas 1958/59 die Titelrolle in Macbeth an, der bis dahin teuersten Produktion der Met (100.000 US-Dollar). Er setzte ihr ein Ultimatum für die Unterzeichnung des Vertrages - doch sie unterschrieb nicht. Bing warf sie daher raus, wovon die Callas aus den Medien erfuhr. "Maria Callas von Met gefeuert!" lautete die Schlagzeile. Es folgte ein ungeheures Medienecho in den USA.
Bild: John Lent/AP/picture alliance
Umzug ins Lincoln Center
Der Umzug 1966 veränderte viel für die New Yorker Oper. Der neue Saal fasste 3900 Besucher und war spektakulär ausgestattet: Der Vorhang bringt mehrere hundert Kilogramm auf die Waage, und die Kordeln sind aus purer Seide gefertigt. Zwei Jahre später waren auch neue Stars gefunden: Mit Plácido Domingo und Luciano Pavarotti standen 1968 die wohl bekanntesten Tenöre auf der Bühne.
Bild: picture-alliance/dpa/K. Howard
Liebe und Kummer mit Luciano Pavarotti
Im Mai 2002 sagte Pavarotti wegen einer Erkältung kurzfristig einen Auftritt in der ausverkauften Met ab, sehr zum Ärger des New Yorker Publikums. Der Applaus bei seiner Abschiedsaufführung 2004 zeigte jedoch, dass die New Yorker Pavarotti verziehen hatten.
Bild: Jason Szenes/epa/dpa/picture-alliance
Die langen Schatten eines Opernstars
Plácido Domingo sang nicht nur mehrfach dort, der Tenor dirigierte auch an der Met. 2019 erhoben rund 20 Frauen Vorwürfe wegen sexueller Belästigung, die teilweise bis zu 30 Jahre zurückreichen. Domingo gestand sein Fehlverhalten im Februar 2020 ein.
Bild: Getty Images/N. Hunt
"MeToo" im Opernhaus
Domingo war nicht der einzige, dessen Verhalten im Nachgang der "MeToo"-Bewegung in den Fokus geriet. Die gegen den von 1971 bis 2016 an der Met wirkende Dirigent James Levine erhobenen Anschuldigungen waren ungleich heftiger: sexueller Missbrauch minderjähriger Jungen. Eigene Untersuchungen der Met Opera bekräftigten die erhobenen Vorwürfe, Levine wurde 2018 entlassen.
Bild: Reuters/Metropolitan Opera/Koichi Miura
Wiedereröffnung mit überfälliger Premiere
Die Met beschäftigt mehr als 3000 Mitarbeiter, sie ist die größte Organisation für darstellende Künste in den USA. Doch während ihrer 138-jährigen Existenz hat sie noch keine einzige Oper eines schwarzen Komponisten gezeigt. Die Wiedereröffnung nach 18-monatiger Schließung wegen der Corona-Pandemie mit "Fire Shut Up In My Bones" von Terence Blanchard (links) schreibt also schon jetzt Geschichte.
Bild: Jason DeCrow/AP Photo/picture alliance
Platz für 3900 Impflinge
Die Tore sind aber nicht für alle geöffnet. Nur vollständige gegen Corona Geimpfte dürfen die Met besuchen - das gilt für Besucher und Künstler gleichermaßen. Die Regelung steht inmitten einer Debatte um Impfpflicht in den USA. Die Met hat in der Zwangspause auch mit Lüftungen aufgerüstet. So wollen sie wieder die volle Auslastung ermöglichen.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts gründeten 22 New Yorker Neureiche, darunter die Familien Rockefeller, Vanderbilt und Roosevelt, die vom alteingesessenen Geldadel nicht akzeptiert wurden, ihre eigene Oper: die Metropolitan Opera. Spätestens nach 40 Jahren stand sie auf einer Stufe mit der Wiener Staatsoper und der Mailänder Scala. In ihrer Anfangszeit führte sie alle Opern - unabhängig von ihrer Originalsprache - auf Italienisch auf.
Zu elitär für den Mainstream?
Bis heute haftet er Oper etwas Elitäres an. Höchste Zeit das zu ändern, meint Katharina Chrubasik. Sie hofft, dass die Ausstellung dazu beiträgt und den Besucherinnen und Besuchern Lust macht auf Oper. "Natürlich war die Oper immer sehr elitär. Sie ist ja eine höfische Form, die sich dann entwickelt hat. Aber im 19. Jahrhundert ist sie auch eine Kunstform des Bürgertums. Das Bürgertum schafft sich neue, großartige Häuser und übernimmt die Rolle, die vorher der Adel inne hatte."
Im Prinzip sei die Oper wie das Kino, sagt sie. Sie ist ein Ort, an denen Geschichten erzählt werden. Geschichten von Drachentötern, von Helden und Verrätern, von Intrigen und Ränkespielen, von erfüllter und unerfüllter Liebe, von Macht, von Leidenschaft und menschlichen Abgründen, vom Leben und dem unausweichlichen Tod.
"Die Oper ist surreal, die Oper bringt Dinge zusammen, die gar nicht existieren. Filme sind sozusagen wie eine Fortsetzung der Oper." Vielleicht sei das Elitäre nur in unseren Köpfen, sagt Katharina Chrubasik. Daher sollten alle der Oper ein Chance geben. "Die Oper kann uns begeistern, sie kann in uns Gefühle auslösen wie kein anderes Genre." Die Frage, ob die Oper in diesen Zeiten ausgedient hat, dürfte damit beantwortet sein.