Seit dem Putschversuch vor einem Jahr in der Türkei hat Präsident Erdogan die Pressefreiheit stark eingeschränkt und die Demokratie beschnitten. Die Caricatura Kassel zeigt, was Cartoonisten in diesen Zeiten noch dürfen.
Bild: LeMan/Caricatura
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"Schluss mit Lustig" - Zeichnungen aus der Türkei
Was darf in einer Türkei auf dem Weg in die Autokratie noch gezeichnet werden? Die Caricatura-Galerie in Kassel zeigt es in ihrer Ausstellung "Schluss mit Lustig".
Bild: Caricatura/Ramize Erer
Eine sich wundernde Kanzlerin
2015 auf dem Titel der Satirezeitschrift "LeMan": eine verdutzt dreinschauende Angela Merkel, die neben einem thronenden türkischen Präsidenten Platz genommen hat und die Welt nicht mehr versteht. Denn Erdogan kommt wie ein Sultan und in protzigem Dekor daher. "LeMan" ist eine von drei führenden Istanbuler Satiremagazinen. Der einstige türkische Premierminister Davutoglu nannte es "unmoralisch".
Bild: LeMan/Caricatura
Thema Inhaftierungen
Der gescheiterte Putsch im Juli 2016 veränderte die Türkei grundlegend. Seitdem wurden 150.000 Menschen von heute auf morgen ihres Amtes enthoben oder gekündigt, 40.000 ließ Erdogan inhaftieren - Journalisten, Autoren, Aktivisten. Viele von ihnen sitzen ohne Prozess in Untersuchungshaft. Der 66-jährige İzel Rozental thematisierte dies im August 2016 mit der oben abgebildeten Zeichnung.
Bild: Rozental/Caricatura
Gülen - die Ursache hinter allem Übel
Verantwortlich für den Putsch machte Erdogan die Gülen-Bewegung und verfolgt sie seither mit Massenverhaftungen. Die Tendenz Erdogans, hinter allem Fethullah Gülen und seine Anhänger zu vermuten, veranlasste Zeichner Yigit Özgür 2017 zu seinem Wassermelonenvergleich. Erdogans Haltung führt er damit ad absurdum. Typisch für Özgür: die Knollennasen.
Bild: Özgür/Caricatura
Kritische Berichterstattung unerwünscht
Gerade einmal 51,3 Prozent waren es, die beim türkischen Verfassungsreferendum im April mit Ja stimmten, und Erdogan so zu noch mehr Macht verhalfen. Doch während Demonstranten im Vorfeld mit den Begriffen "Evet", ja, und "Hayir", nein, warben, durften die Medien nicht frei über das "Hayir" berichten. Das veranlasste Ipek Özsüslü im März zu dieser Karikatur.
Bild: Özsüslu/Caricatura
Die Interessen der USA
Bei der Ausstellung "Schluss mit Lustig" ist Erdogan nicht der einzige, der von den türkischen Zeichnern ins Visier genommen wird. Auch US-Präsident Trump muss sich Kritik gefallen lassen, wie hier von den Zeichnern Ersin Karabulat und Erdal Belenlioglu (2017). Mit einer Anspielung auf Trumps "Muslim-Ban" stellen sie die Frage nach dem Abzug der US-Truppen aus Syrien und den Absichten der USA.
Bild: Karabulat/Caricatura
Sex = Tabu
Als eine von wenigen weiblichen Cartoonisten in der Türkei greift Ramize Erer feministische Themen auf und bricht sexuelle Tabus. Sie zeigt explizit weibliche Sexualität und eckt damit oftmals bei Konservativen an. Eine häufig wiederkehrende Figur bei ihr ist das "böse Mädchen", großbusig und männerverschlingend. Sexualität gilt in der Türkei als eines der größten Tabus.
Bild: Caricatura/Ramize Erer
Der Zustand der Welt
Mit seinen an Dynamitstangen festgebundenen Uhren zeigt der Künstler Mehmet Cagcag, wie er die gegenwärtige Welt sieht: Von Bagdad über Athen bis Berlin und Paris - überall scheinen die Menschen auf tickenden Zeitbomben zu sitzen. Ob und wann sie explodieren, lässt der Künstler unbeantwortet.
Bild: Cagcag/Caricatura
Bosporus-Brücke Nummer 3
Mit seiner 2014 angefertigten Zeichnung setzt sich Murat Basol kritisch mit der damals noch im Bau befindlichen dritten Bosporus-Brücke auseinander. Die Brücke, die Europa mit Asien verbindet, steht für Basol - im Gegensatz zu Erdogan - nicht etwa für den Fortschritt der Türkei. Vielmehr sieht er das erhöhte Verkehrsaufkommen, Abgase und Gestank als negative, unerwünschte Folgen des Bauprojektes.
Bild: Bazol/Caricatura
Suche nach Freiräumen
Freiräume sind in der Türkei 2017 nicht mehr allgegenwärtig, man muss nach ihnen suchen, sie sich notfalls erkämpfen, könnte die Aussage dieses Cartoons von Zeynep Özatalay lauten. Um die Autoren, Musiker und Maler in der Zeichnung ist es schwarz geworden, mit Mühe gelingt es ihnen, das Schwarze beiseite zu schieben. Erschienen ist der Cartoon in der Tageszeitung BirGün, offene Kritikerin der AKP.
Bild: Özatalay/Caricatura
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Präsident Recep Tayyip Erdogan mit Hitlerbart zu zeigen, ist okay. Ihn als Tier darzustellen, das geht überhaupt nicht. Zu groß die Herabwürdigung in dem Fall, werde Erdogan doch als Führer in seiner Bewegung gesehen, erklärt die in Istanbul lebende Kuratorin von "Schluss mit Lustig - Aktuelle Satire aus der Türkei" Sabine Küper-Busch. Eine Karikatur, in der zwei Schafe kundtun, nicht vom Hirten Erdogan behütet werden zu wollen - auch das geht nicht. Die Zeichnung zog ein Ermittlungsverfahren nach sich.
Ganz im Gegensatz zur Hitlerdarstellung. Die Zeichnung auf dem Titel der Karikaturzeitschrift "LeMan", die den türkischen Präsidenten in der Manier des ehemaligen deutschen Diktators zeigt (s. Foto unten), sowie rund 70 weitere Arbeiten 50 prominenter türkischer Cartoonisten sind vom 20. Juli bis 27. August in der Caricatura-Galerie in Kassel zu sehen. Darunter zwei Filme sowie zwei leere Leinwände, die erst während der Ausstellung gestaltet werden.
"Schluss mit Lustig" zeigt unter anderem Titel der wichtigsten Satirezeitschriften der TürkeiBild: Picture alliance/dpa/G. Gehlen
Grenzen der Pressefreiheit mal anders sichtbar
Besonders ist, dass sämtliche Werke, ehe sie nach Hessen kamen, zuvor in der Türkei publiziert wurden, und zwar - anders als bei der Karikatur mit Erdogan und den Schafen - ohne negative Folgen für die Künstler. Besucher bekommen so einen Eindruck, wie weit Cartoonisten mit ihren Zeichnungen in Erdogans Türkei nach dem Putsch noch gehen können, ohne eine Strafverfolgung zu fürchten.
Die Übersetzung ins Deutsche der Arbeiten sowie Führungen auf Deutsch und Türkisch erleichtern es den Besuchern zudem, den Sinn der einzelnen Karikaturen und Zeichnungen zu erschließen.
Im Fokus: Gesellschaftskritik
Thematisch geht es den Karikaturisten aber nicht allein um Erdogan, sondern vielmehr um Kritik an der Gesellschaft. Ihre Werke behandeln feministische Themen und sexuelle Tabus, setzen sich mit der Flüchtlingskrise und US-Präsident Donald Trump auseinander.
Ramize Erer im Januar beim Internationalen Comicfestival von AngloulêmeBild: Imago/R. J. Panoramic
Die in Istanbul und Paris lebende Karikaturistin Ramize Erer räumt allerdings auch ein, dass unter den türkischen Satirezeichnern im Moment eine starke Selbstzensur herrsche. "Jeder überlegt sich fünfmal, was er zeichnet." Und so trauen sich Zeichner in der Türkei immer seltener an politische Themen, weil schon jetzt zahlreiche Verfahren wegen Präsidentenbeleidigung laufen.
Unter den 160 derzeit in der Türkei inhaftierten Journalisten befinde sich ebenfalls ein Cartoonist, die Szene werde insgesamt sehr gegängelt, präzisiert Kuratorin Küper-Busch. Auch wenn es eine Zensur im eigentlichen Sinne nicht gebe, drohe stets ein Ermittlungsverfahren. Im vergangenen Jahr etwa wurden zwei Karikaturisten der Satire-Zeitschrift "Penguen" wegen Beleidigung Erdogans zu hohen Geldstrafen verurteilt.
Zeichner Tan Cemal Genç widmete diese kleine gelbe Figur den getöteten Karikaturisten von "Charlie Hebdo"Bild: picture alliance/dpa/G. Gehlen
Soziale Netzwerke als Zufluchtsort?
Der Karikaturist Tan Cemal Genç publiziert aus den genannanten Gründen momentan hauptsächlich in Sozialen Netzwerken. Diese, so Genç, stünden weniger im Fokus der Behörden.
Auf Dauer hoffe er aber natürlich, dass sich die Lage wieder bessere. "Der Ärger über die Regierung wird stärker", sagt er. Auch wenn dies von außen nur wenig wahrgenommen werde. Fakt sei, dass die Regierung große Angst vor der Aufmerksamkeit des Auslandes habe.