Ausstellung wider Willen: Street Artist Stik in München
Julia Hitz
7. April 2017
In Großbritannien gelte er als neuer Banksy. So wird der Londoner Street Artist Stik von der Münchner Galerie Kronsbein beworben. Heute beginnt seine erste Ausstellung in Deutschland - ohne sein Einverständnis.
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Die Geschichte der Street-Art
Im 21. Jahrhundert hat es die Street-Art bis ins Museum geschafft - doch sie begann als illegaler Protest in Großstädten: von Mexiko über Paris bis New York. Die Hip-Hop-Kultur machte sie in den 80er Jahren populär.
Bild: picture alliance/dpa/S. Reboredo
Eine Subkultur zwischen Kunst und Kommerz
Street-Art entwickelte sich aus der illegalen Graffiti-Szene, ist ihr aber heute nur noch in eingeschränktem Umfang nahe. Beide sind Statements im öffentlichen Raum, beim Graffiti überwiegt der Schrift-Anteil, bei Street-Art das Bildliche. Seit Street-Art auch in Galerien und Museen stattfindet, ist der Streit um ihre Glaubwürdigkeit neu entbrannt. Ein geschichtlicher Abriss.
Bild: picture alliance/dpa/R.Harding
Vorläufer in Mexiko: Muralismo in den 1920ern
Diego Riviera, einer der bedeutensten modernen Maler Mexikos, gehört zu den wichtigsten Vertretern des Muralismo. Die Murales, Wandmalereien im öffentlichen Raum, oft mit nationalistischen Inhalten, wurden von der Regierung beauftragt. In Mexiko finden sie sich heute an fast allen öffentlichen Gebäuden. Viele der protestorientierten Graffiti-Künstler grenzten sich später vom Muralismo ab.
Bild: picture alliance/dpa/Everett Collection
Pixação: Runenartige Grafitti in Brasilien
Illegale Wandbemalung begann in São Paulo während der Militärdiktatur Brasiliens 1964-1985. Pixação war eine Protestbewegung, die Gebäude mit Tags und Slogans in einem speziellen kryptischen Stil versahen. Eine extra Challenge waren hohe Gebäude, die sich die Pixadores durch abenteuerliche Klettereien erschlossen. Die lateinamerikanische Street-Art-Szene wurde von Pixação entscheidend geprägt.
Bild: DW/S.Smolcic
Grafitti in Paris
Graffitis gab es in Paris schon lange vor New York, wie der aus Rumänien stammende Fotograf Brassaï bereits in den 1930ern dokumentierte. Seine Bilder publizierte er 1960 in einem Fotoband mit dem Titel "Graffiti", vorangestellt war ein Essay von Pablo Picasso zum Thema. Im Bild eine Ausstellung dieser Fotografien im Centre Pompidou 2016.
Bild: Getty Images/AFP/M. Medina
New York als Epizentrum des Graffitihypes
New York war der Ort, von dem aus die Graffiti-Kunst (und in ihrem Windschatten die Street-Art) populär wurde. Zwei Publikationen waren für die weltweite Verbreitung entscheidend: Der Fotoband "Subway Art" trug 1984 die kunstvollen Tags auf den Wänden der New Yorker U-Bahn-Waggons in die Welt. Und der Film "Wild Style" ordnete die Graffiti-Kunst 1984 in die Hip Hop-Kultur ein.
Künstler lassen sich von Grafftis inspirieren
In New York waren die farbenfrohe Schriftzüge schon in den Siebziger Jahren Teil des Stadtbilds. Entsprechend früh wurden sie auch in der Kunstwelt rezipiert. Der Künstler Keith Haring eignete sich Techniken der Graffitiszene an: Das erste seiner sogenannten "Subway Drawings" fertigte Haring im Dezember 1980 an und führte diese bis etwa 1985 fort.
Bild: Nationaal Archief
Jean-Michel Basquiat
Auch Jean-Michel Basquiat eroberte in den 80ern New Yorks Gallerien. Er wurde wiederholt der Graffiti-Szene zugeordnet, widersprach dem aber: "Ich bin kein Teil der Graffiti-Kunst." Wohl aber bediente er sich ihrer Techniken: Sein SAMO-Tag sprayte er an verschiedene Wände New Yorks - als eine Art Anti-Graffiti. Bis heute wird um seine kunsthistorische Einordnung gestritten.
Bild: picture alliance/dpa/ADAGP/L. Himmel
Regionale Protestkulturen: Schweiz
Harald Naegeli wurde als "Der Sprayer von Zürich" Ende der 70er Jahre weltweit bekannt. Nachdem er 1981 erwischt und verurteilt worden war, flüchtete Naegeli nach Deutschland, wurde aber 1984 an die Schweiz ausgeliefert und saß eine 6-monatige Haftstrafe ab. Nichtsdestotrotz gehört er mit seinen politisch-motivierten Interventionen auf der Straße zu den Vorläufern der Street-Art in Europa.
Bild: picture alliance/dpa/KEYSTONE
Regionale Protestkulturen: Berliner Mauer
Mitte der 80er Jahre wurde die Berliner Mauer als Oberfläche entdeckt. Die Kritzeleien wurden durch kunstvollere Grafittis abgelöst, der Nordteil der Mauer wurde zur Spielwiese für Graffitis im amerikanischen Stil. Nach der Wiedervereinigung wurden 118 internationale Künstler mit der Verzierung der Mauerreste an der Berliner Mühlenstraße beauftragt.
Bild: Getty Images/AFP/J. Robine
Regionale Protestkulturen: Buenos Aires
Die Schablonenkunst war zentral für die Street-Art in Argentinien: Während der Proteste gegen die Militärjunta 1976-1983 musste es schnell gehen, da war das Sprayen mittels vorbereiteter Schablonen besonders effektiv. Nach der Wirtschaftskrise 2001 kam es zu einem erneuten Boom. In Buenos Aires gibt es farbenfrohe Street-Art, die meist von eingeladenen Künstlern stammt.
Bild: Getty Images/AFP/D. Gracia
Regionale Protestkulturen: London
London ist eine sehr engmaschig überwachte Stadt, was auch Einfluss auf die Graffiti-Szene hatte: Die Schriftzüge sind oft "quick and dirty" angebracht - viele haben einen fast aggressiven Stil. Im Windschatten der Stencils von Banksy, die 2000 auch der Kunstszene positiv auffielen, kam es zu einer Flut unorigineller Street-Art in East London - von Graffiti-Künstlern als "art fags" verspottet.
Bild: AP
Bansky oder Wie Street Art ins Museum kam
Der aus Bristol stammende Street-Art-Künstler Banksy ist Dreh- und Angelpunkt der Kommerzialisierung und Popularisierung von Street-Art. Auch wenn er mit seinen Inhalten und Aktionen für das genaue Gegenteil stehen will - nämlich für unabhängige, nicht-kommerzielle politische Inhalte. Seine Ausflüge in die Kunstwelt (oben: Bristol City Museum 2009) werden teils gefeiert, teils harsch kritisiert.
Bild: picture-alliance/dpa/EPA/Bristol City Museum
Street Art For Sale
Im Jahr 2005 wurde bei Sothebys das erste Mal ein Druck von Banksy versteigert. Es übertraf den Schätzpreis um das Doppelte. Mit prominenten Sammlern wie Brad Pitt erreichte die Entwicklung drei Jahre später ihren Höhepunkt: 2008 wurde das erste Banksy-Werk für über eine Million Dollar versteigert.
Bild: Getty Images
Street Art als Touristenmagnet
Street-Art ist bei Städtereisenden beliebt, gerade im Selfie-Zeitalter. Neben dem obligatorischen Besuch der East Side Gallery, sind auch Touren durch andere Street-Art-Highlights der deutschen Hauptstadt interessant geworden. Viele andere Städte bieten mittlerweile Street-Art-Führungen an - und auch so manche Tourismusbehörde hat Lunte gerochen.
Bild: Getty Images/AFP/F. Leong
Street-Art für die ganze Familie
Fast jede mittelgroße deutsche Stadt hat heute eine Urban Art Gallery. Relativ neu sind dagegen große Infotainment-Veranstaltungen wie die Magic-City-Reihe. "Für die ganze Familie" angepriesen wird hier Street Art zu einem Großevent. Nach Dresden findet die Veranstaltung 2017 in München statt. Street Art als Familienunterhaltung - es ist fraglich, ob das im Sinne der Erfinder war.
Bild: picture-alliance/dpa/S.Kahnert
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Die Münchner Galerie Kronsbein ist auf Pop Art und Urban Art spezialisiert. Seit 2009 holt sie Street Art aus den Straßen in die schicke Münchner Innenstadt. Seit 2013 stellt der Inhaber, Unternehmer und Kunstsammler Dirk Kronsbein in der Galerie Kronsbein aus, neben Pop-Art-Größen wie Andy Warhol, Roy Liechtenstein, Keith Haring, Jeff Koons, Damien Hirst und Tom Wesselmann nun auch Street Artists wie Banksy, Blek Le Rat oder jetzt Stik.
Die Strichmännchen des Mitte 40-jährigen Stik zieren viele prominente Stellen in London. Wer in Heathrow landet, kann vielleicht einen Blick auf seine "Single Mum" erhaschen: Die Mutter mit Baby ziert seit Herbst 2014 eine 40 Meter hohe Wand im Stadtteil South Acton. Ihre Lage ist bewusst symbolträchtig, denn sie ist an einem Haus voller baufälliger Sozialwohnungen angebracht. "Bezahlbares Wohnen ist in Großbritannien bedroht", kommentierte Stik die Arbeit und mahnte, dass "alle Menschen ein Dach über dem Kopf brauchen". Er ist sozial orientiert, politisch kritisch und distanziert sich von der Kommerzialisierung - wie viele seiner Street-Art-Kollegen.
Stik selbst hat auf seiner Webseite von der Ausstellung Abstand genommen: Wenn er seine Werke verkaufe, gehen gemäß seiner Darstellung 100 Prozent der Erlöse zurück an die Gemeinschaft. Private Verkäufe seiner Arbeiten unterstütze er nicht: "STIK hat keine kommerziellen oder anderen Verbindungen mit der Galerie Kronsbein, noch befürwortet er die Ausstellung in der Galerie oder wird bei ihr erscheinen", heißt es auf der Webseite.
STIK ist nicht der erst große Street-Art-Name in der Galerie Kronsbein: 2016 gab es eine Ausstellung mit Werken von Banksy und auch der der französische Street-Art-Pionier Blek Le Rat stellte bereits hier aus. Dabei wurde auch deutlich, wie unterschiedlich der Umgang der Street-Art-Künstler mit der Welt der Galerien ist: Während Banksy nicht auf die Ausstellung reagierte - immerhin seine "erste umfangreiche Präsentation in Deutschland" - war Blek Le Rat persönlich anwesend. Allen Protestnoten zum Trotz: Die ausgestellten und zu Verkauf stehenden Werke befinden sich im rechtmäßigen Besitz der Galerie. Und eine Ausstellung bedarf nicht zwingend der Einverständnis des Künstlers.
Die Kommerzialisierung von Street Art steht in den meisten Fällen in einem unauflösbaren Gegensatz zu ihrer ursprünglichen Philosophie. Politischer Protest lässt sich heute zwar offensichtlich kaufen und an die Wand hängen. Die Wirkung und Wucht entfaltet er aber nur auf der Straße.