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Aborigines verteidigen ihren Wald gegen Holzfäller

Georgina Kenyon
2. Juli 2020

Von den verheerenden Waldbränden blieb der Urwald in New South Wales in Australien verschont. Doch jetzt ist er durch Holzfäller bedroht. Die australischen Ureinwohner leisten Widerstand.

Ein Gumbaynggirr-Aborigine protestiert gegen die Abholzung im Nambucca-Wald, New South Wales, Australien
Bild: Calumn Hockey

Der Regen hat den Waldboden in Schlamm verwandelt, die Luft ist voller Moskitos – doch die Aktivisten am Eingang des Staatswaldes Nambucca State Forest schreckt das nicht ab. Viele von ihnen zelten seit vielen Wochen zwischen den hohen Eukalyptusbäumen.

Anfang Juni hatte Regierung den Corona-Lockdown in Australien gelockert. Seither zieht es die Menschen wieder an die Strände, andere drängen in die Einkaufszentren. Die Aktivisten nutzen ihre wieder erlangten Freiheiten, um gegen die Abholzung des Waldes zu demonstrieren. Denn ihrer Meinung nach ist er von unschätzbarem kulturellem und ökologischem Wert.

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Jeden Tag kommen unzählige Demonstranten aus den nahegelegenen Küstenstädten. Sandy Greenwood jedoch bewacht das Lager Tag und Nacht. Sie gehört zu den Gumbaynggir-Aborigine, ihre Vorfahren lebten schon vor zehntausenden Jahren in diesem Teil Australiens.

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"Wir protestieren, denn wenn wir jetzt nicht handeln, wird unser kulturelles Erbe zerstört", sagt Greenwood gegenüber der DW. "Unsere wunderschönen, uralten Bäume werden gefällt, seltene Pflanzen werden aussterben. Unsere Koalas und vom Aussterben bedrohte Tiere haben dann buchstäblich keine Heimat mehr."

Die Demonstranten wollen bleiben bis ihre Forderungen erfüllt sind oder der letzte Baum gefällt ist Bild: Calumn Hockey

Kostbarer Lebensraum für bedrohte Arten

In dem alten Regenwald an der Küste ist eine Vielzahl von Arten heimisch, darunter Eulen, Koalas und seltene Fledermäuse. Auch ein liebenswertes Possum mit Schlappohren, der Große Gleithörnchenbeutler, gehört zu den Bewohnern. Zugvogel nutzen den Wald als Zwischenstation.

Doch Ende 2019, Anfang 2020 wüteten gewaltige Brände. Fünf Millionen Hektar Wald wurden im Bundesstaat New South Wales zerstört – darunter fast eine Million Hektar Urwald. Der verbliebene Wald ist für die dort lebenden Tiere umso wichtiger geworden.

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Trotzdem kündigte das Staatsunternehmen Forstbehörde Forestry Corporation of New South Wales im April die Abholzung von 140.000 Hektar Wald an – und machte sich gleich darauf an die Arbeit. Auch 100 Hektar des Nambucca State Forest waren betroffen. Das Holz wird als Baumaterial benötigt.

"Die Abholzung begann im April zu einem äußerst günstigen Zeitpunkt, mitten in der COVID-19-Krise. Die Demonstranten waren nicht in der Lage, sich zu organisieren und ihre Bedenken zu äußern", sagt Lyn Orrego von der Naturschutzgruppe Nambucca Valley Conservation Association gegenüber der DW.

Rechtliche Herausforderung

Mitte Juni dann reichten Aktivisten eine Klage gegen das staatliche Unternehmen Forestry Corporation of New South Wales ein und waren erfolgreich. Die Begründung: Die Hüter des Landes, die Gumbaynggirr-Aborigines, waren nicht gehört worden. Außerdem habe es keine angemessene Erhebung der gefährdeten Pflanzen und Tieren gegeben.

Nach den Bränden, die vor sechs Monaten in Australien wüteten, ist jedes verbliebene Stück Wald lebenswichtig, so die Aktivisten Bild: Imago/D. Mariuz

Die Forestry Corporation besteht dagegen darauf, die gesetzlich vorgeschriebenen Untersuchungen durchgeführt zu haben. Auch seien die vom Holzeinschlag betroffenen Arten protokolliert worden. Nach Meinung der Demonstranten ist das aber nur unzureichend geschehen. Mitte Juni wurden die die Holzfällarbeiten vorübergehend gestoppt, während das staatliche Land- und Umweltgericht den Fall untersuchte.

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Am 26. Juni wurde die Klage fallen gelassen. Die Forestry Corporation hatte ihre Maschinen nach Wild Cattle Creek verlagert, einem anderen Urwaldgebiet, das sich 80 Kilometer nördlich von Nambucca befindet – und ebenfalls zum Land der Aborigines gehört. 

Die Anwälte der Aborigines teilten mit, dass der Rückzug des Staatsunternehmens aus Nambucca, um anderswo zu Holz zu schlagen, ihren Fall gestört hat. Es ist nicht möglich, eine einstweilige Verfügung gegen etwas zu erwirken, das im Moment nicht geschieht, sagen sie.  

Für die Aktivisten ist das ist noch nicht das Ende der Geschichte. Die Abholzung könnte in Nambucca in Zukunft wieder aufgenommen werden. Ein Sprecher der Forestry Corporation of NSW sagt, die Aktivität ist "ausgesetzt", nicht gestoppt worden. 

Die Regierung des Bundesstaates New South Wales teilte der DW mit, dass die von der Gemeinschaft der Aborigines geäußerten Bedenken untersucht werden.

Laut Forschern der University of Queensland wurden in Australien in den vergangenen 17 Jahren sieben Millionen Hektar Lebensraum von bedrohten Arten durch Abholzung zerstört – der Großteil davon ohne Genehmigung der Regierung und ohne einen Versuch der Behörden, die Unternehmen zur Verantwortung zu ziehen.

Die Umweltgesetze in Australien sind extrem schwach und können noch dazu relativ leicht umgangen werden, sagt Josh Meadows der DW. Er arbeitet für die in Melbourne ansässige Nichtregierungsorganisation Australian Conservation Foundation. Außerdem, so der Umweltschützer, kontrolliert die Regierung die Abholzungsgebiete kaum.

Sandy Greenwood will die Holzfäller daran erinnern, auf wessen Land sie sich befinden Bild: Calumn Hockey

Seine Befürchtung: Neue Gesetze, die dazu gedacht sind, die Wirtschaft nach dem Corona-Lockdown wieder anzukurbeln, könnten es Holzunternehmen noch leichter machen, Umweltgenehmigungen zu bekommen – und es noch schwieriger machen, die Wälder zu schützen.

Wirtschaft versus Umwelt

Die Aborigines müssen nun einen noch größeren und komplizierteren Rechtsstreit führen: Wie können sie erneute Abholzungen im Staatswald von Nambucca verhindern – und die Rodungen im Wald von Wild Cattle Creek stoppen? 

"Es ist eine Schlacht zwischen David und Goliath", sagt Orrego, "aber es gibt immer mehr Davids auf der Welt. Wir dürfen trotz aller Widrigkeiten die Hoffnung nicht aufgeben."

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Für die Gumbaynggirr-Aborigines wie Sandy Greenwood ist der Nambucca-Wald ein wichtiger Teil ihrer Geschichte und Identität. Sie haben eine ganz spezielle Bindung zu diesem Land. Dabei ist das Engagement für die Rettung des Waldes längst auch ein Symbol für den globalen Kampf gegen den ökologischen Kollaps geworden.

Wälder sind wichtige Kohlenstoffsenken, die CO2 speichern. Das verhindert, dass sich die Erde weiter erwärmt. Je heißer und trockener es wird, umso größer auch die Bedrohung durch verheerende Feuersbrünste, wie die um die Jahreswende 2019/2020.

Dennoch haben die Aktivisten nicht die breite Unterstützung der Einheimischen. "Wozu protestieren?", meint ein Bewohner von Coffs Harbour gegenüber der DW, obwohl der Wald ganz nah an der Stadt ist. "Sie werden nicht gewinnen."

Andere wiederum argumentieren, dass die Rodung Arbeitsplätze bringen wird. Susan Jenvey, Stadträtin der örtlichen Labour Party sagt dagegen, dass die wirtschaftlichen Versprechen völlig übertrieben sind.

Demonstranten setzen sich für das Leben von Mensch und Tier im Nambucca-Wald ein Bild: Calumn Hockey

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"Es gibt in Australien nur noch wenige alte Wälder. Die Regierungen übertreiben immer, wenn es darum geht zu erläutern, wie viele Arbeitsplätze durch den Holzeinschlag geschaffen werden. Aber sie verschweigen gleichzeitig die Risiken", sagt Jenvey gegenüber der DW.

Für die Aborigines ergibt das Abwägen zwischen Ökonomie und Ökologie ohnehin wenig Sinn. "Wir brauchen diese Wälder für unsere Luft, für unser Wasser. Sie sind Heimat für bedrohte Arten und auch für uns Menschen", sagt Greenwood. Ihre Kultur sieht den Menschen als wichtigen Bestandteil der Natur.

Zeugen der Zerstörung

Die Gumbaynggirres fordern die Regierung von New South Wales dazu auf, das Gebiet zum Kulturerbe zu erklären, das den Nambucca-Wald umfasst, Kulturstätten und gefährdete Arten schützt und Wassereinzugsgebiete sichert. Außerdem soll die Regierung Arbeitsplätze in der Region fördern – sowohl in der Land- und Forstwirtschaft als auch im Tourismus.

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Sandy Greenwood gehört zu denen, die fest entschlossen sind, zu bleiben. Entweder so lange, bis ihre Forderungen erfüllt werden oder bis die Abholzung ein Ende nimmt – per gerichtlicher Anordnung oder weil der letzte Baum gefällt wurde. Sie wollen an Ort und Stelle bleiben und "Zeuge sein", während sie überlegen, wie sie weiterkämpfen.  

"Wir haben eine starke Botschaft an die Forestry Corporation gesendet, dass ihre unaufhaltsame Zerstörung auf heftigen Widerstand stoßen wird", sagt Greenwood. "Wir werden den Kampf für unser heiliges Land nicht aufgeben." 

Ihre Füße versinken im Schlamm. Im Camp beginnt eine Gruppe von Musikern neben der provisorischen Küche zu spielen. Der Stimmung im Lager tut das gut. Eine Frauenstimme begleitet das Geigensolo – und dazu ertönt der Gesang der Vögel des Waldes.

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