1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Wie Australiens Hauptstadt 100 Prozent Ökostrom erreicht

Stuart Braun
5. März 2025

Australien exportiert viel Kohle, doch seine Hauptstadt Canberra ist Vorreiter für saubere Energie. Durch den Umstieg auf Wind und Solar sanken auch die Stromkosten. Wie wurde die Stadt zum Pionier der Erneuerbaren?

Vollmond mit Windrädern im Vordergrund. Australien Lake George nahe Canberra, Australien
Seit die Hauptstadt Canberra zum Pionier für saubere Energie wurde, gibt es immer mehr Projekte für Erneuerbare in Australien.Bild: Chu Chen/Xinhua/picture alliance

Ein Stück Kohle, das Scott Morrison 2017 im australischen Parlament hochhielt, symbolisierte für den damals designierten Premierminister die "Energiezukunft" für das Land. Doch die Hauptstadt, in der er seine Rede hielt, wurde schon damals fast zu 100 Prozent mit Wind- und Solarenergie versorgt.

Das 100-Prozent-Ziel wurde schließlich 2020 erreicht. Seitdem erzeugt die Hauptstadtregion Canberra (Australian Capital Territory, ACT) genug erneuerbaren Strom, um die 500.000 Einwohner ohne Kohle und Gas zu versorgen.

Es war die erste Region oder Stadt außerhalb Europas mit mehr als 100.000 Einwohnern, die ihr Netz dekarbonisierte. Weltweit hat das zuerst Reykjavik, die Hauptstadt Islands, dank 70 Prozent Wasserkraft geschafft. Später wurde Canberra von der britischen Energievergleichswebsite USwitch zur nachhaltigsten Stadt der Welt gekürt.

Gleichzeitig landete Australien damals jedoch auf dem letzten Platz unter den OECD-Ländern in Bezug auf Investitionen in saubere Energie, was Canberra zu einem grünen Ausreißer im Land machte. 

Noch heute liegt der durchschnittliche Anteil erneuerbarer Energien in Australien nur bei etwa 35 Prozent. Zum Vergleich: In Deutschland stammt bereits etwa 60 Prozent des Stroms aus kohlenstofffreien Quellen. Doch bis 2030 will Australien 82 Prozent erneuerbare Energie im Stromnetz erreichen. Dafür werden Australiens Kohlekraftwerke nach und nach geschlossen, während gleichzeitig die Kosten für Solar- und Windenergie sinken

Wie konnte die die australische Hauptstadt eine saubere Energieinsel in einem Meer fossiler Brennstoffe werden?

Canberras revolutionärer Weg zur Dekarbonisierung

Mitte der 2010er-Jahre, als Australiens konservative Regierung landesweit Programme für erneuerbare Energien stoppte, kamen Investitionen in saubere Energie zum Erliegen, erläutert Geoffrey Rutledge. Er ist stellvertretender Generaldirektor für Umwelt, Wasser und Emissionsreduzierung der ACT-Regierung.

Doch entgegen der nationalen Politik entschied sich die Regierung der Hauptstadtregion, unabhängig zu handeln und große Investitionen in neue Solar- und Windkraftprojekte zu tätigen, um ihr Netz zu dekarbonisieren. Das war der "einfachste und kostengünstigste" erste Schritt hin zu ihrem Ziel der Netto-Null-Emissionen bis 2045, so Rutledge. 

Als sich viele Abgeordnete im australischen Parlament in Canberra noch für Kohle einsetzen, wurde die Hauptstadt selbst längst hauptsächlich mit Strom aus erneuerbaren Energien versorgt. Bild: Chris Putnam/Zoonar/picture alliance

Dabei profitierte Canberra von der umweltfreundlichen Mitte-Links-Regierung in der Stadt, die seit 2001 an der Macht ist, sowie von einer sehr klimabewussten Bevölkerung, erklärt Energieexperte Greg Bourne von der unabhängigen australischen Klimaschutzorganisation The Climate Council. 

"Sie hatten eine langfristige Vision", sagt er. Dank der beständigen Regionalregierung ging die Hauptstadtregion eigene Wege, trotz der damaligen Klimapolitik auf nationaler Ebene. "Sie haben die Machenschaften der Bundesregierung und der fossilen Brennstofflobbyisten ignoriert."

Canberra orientierte sich dabei auch an europäischen Ländern. Als es 2016 sein eigenes Zentrum für erneuerbare Energien gründete, entsandte es eine Delegation nach Freiburg in Deutschland, einem Vorreiter der Solarenergie, um Innovation und Investitionen im Bereich erneuerbare Energien voranzutreiben.

Auch bahnbrechende Forschungen zu Solarpaneelen an der Australian National University in Canberra trugen laut Bourne zum Erfolg bei.

Hauptstadt Australiens setzt früh auf grüne Energie 

Die Stadt begann, Verträge mit Unternehmen für erneuerbare Energien abzuschließen, die die größten Wind- und Solarprojekte des Landes entwickeln sollten - sowohl innerhalb der Hauptstadtregion ACT, aber auch in den größeren australischen Bundesstaaten. Die erneuerbare Energie, die zunehmend ins Netz eingespeist wurde, glich den fossilen Energieverbrauch der Hauptstadt-Bewohner schrittweise aus, erklärt Rutledge. 

Canberra war damit in einer einzigartigen Lage. Die Stadtregion setzte frühzeitig auf erneuerbare Energien, als das Interesse daran noch gering war, so Rutledge. Im Gegensatz zu größeren australischen Bundesstaaten gab es dort keine bestehenden Investitionen in große, teure Kohle- oder Gaskraftwerke. 

Canberra wird aus Wind- und Solarstrom aus Anlagen in der Nähe mit Strom versorgtBild: David Gray/Getty Images

Zusätzlich zu drei Solarfarmen in der Region Canberra werden etwa 95 Prozent der erneuerbaren Energie durch fünf Windparks erzeugt, die sich in geeigneten Orten in den Bundesstaaten New South Wales, Victoria und South Australia befinden. Diese Energie floss nicht direkt nach Canberra, sondern wurde ins nationale Stromnetz eingespeist, um die frühere Abhängigkeit des ACT von Kohlestrom auszugleichen.

Saubere, dezentrale Energie für Canberra

Die Bewohner Canberras zahlen laut Rutledge heute zwischen 257 und 385 AUD (245-367 €) weniger für ihre jährlichen Stromrechnungen als ihre Nachbarn im Bundesstaat New South Wales. Das liegt daran, dass der feste Preis für erneuerbare Energien in der Region Canberra oft niedriger ist als der Strompreis aus fossilen Brennstoffen, die anfällig für Marktschwankungen sind.

Die Hauptstädter profitieren auch von einem "hochgradig dezentralisierten" Energiesystem, in dem Bürger selbst Energie erzeugen, indem sie ihre Häuser mit Solarstrom versorgen. Viele Hausbesitzer in Canberra haben Solardächer . Dank staatlicher Subventionen verfügt Australien weltweit über die meisten Solarpaneele pro Kopf.

In einigen Teilen von Canberra haben alle Häuser Solarpanele auf dem DachBild: ACT Government

Als die Region Canberra im Jahr 2018 ein ehrgeiziges Ziel für Netto-Null-Emissionen bis 2045 festlegte, wollte man sich auch von dem Modell der 1960er Jahre entfernen. Damals waren große Metropolen auf riesige, zentralisierte Kraftwerke angewiesen. 

Inzwischen ist es anders: "Energie wird fast überall erzeugt, überall genutzt und überall gespeichert", sagt Bourne. 

Dezentrale Batteriespeicher für lokale Versorgung 

Dazu gibt es überall in der Hauptstadtregion Batteriespeicherprojekte, um die Abhängigkeit vom zentralen Stromnetz zu reduzieren. Dazu gehören 5000 Speicherbatterien in Häusern und Unternehmen.

Ein "Vehicle-to-Grid"-Pilotprojekt testet, wie die Batterien von Elektroautos genutzt werden können, um Häuser und Krankenhäuser mit Strom zu versorgen und so Stromausfälle zu vermeiden. 

Lokale Batteriespeicher helfen, lokal erzeugte grüne Energie für die Einwohner in Canberra bereitzustellen.Bild: ACT Government

In den nächsten fünf Jahren soll außerdem der gesamte Bestand sozialer Wohnungen elektrifiziert werden, dann werden dort keine Gas- oder Ölgeräte mehr verwendet.

Canberra als Pionier für saubere Energie inspiriert inzwischen auch andere australische Bundesstaaten.

Konservative Oppositions-Politiker in Australien wollen mehr Atomenergie, doch gleichzeitig wachsen die erneuerbaren Energien. Energieexperten erwarten, dass die letzten unrentablen Kohlekraftwerke innerhalb der nächsten zehn Jahre geschlossen werden. 

Laut dem australischen Clean Energy Council According wurden allein 2024 landesweit umgerechnet mehr als 5,4 Millionen Euro in Solar- und Windprojekte investiert. Die amtierende Mitte-Links-Regierung hat zudem kürzlich das weltweit größte Solar- und Batteriespeicherprojekt im Norden des Landes genehmigt.

Für Bourne ist klar: "Es geht darum, in die Zukunft zu gehen und nicht an der Vergangenheit festzuhalten."

Der Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert von Anke Rasper 

Redaktion: Tamsin Walker

Welches Stromnetz braucht die Energiewende?

05:50

This browser does not support the video element.

Stuart Braun Australischer DW-Journalist und Buchautor.