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Australien feiert Weltrekord im Wachstum

6. September 2017

Mehr als ein Vierteljahrhundert auf dem Wellenkamm - Australiens Wirtschaft wächst und wächst. Die Schattenseiten werden dabei ausgeblendet und Weichen für die Zukunft nur halbherzig gestellt.

Die gefährlichsten Surforte der Welt Kamay Botany Bay Australien
Bild: Getty Images/M. Kolbe

In der Marktwirtschaft geht es ständig auf und ab. Erst erholt sich die Wirtschaft vom Konjunkturtief und schwingt sich auf zum Boom. Dann geht es wieder bergab in die Rezession, die schließlich in die Depression, also ins Konjunkturtief führt, bevor es wieder aufwärts geht. So lehrt es die klassische Konjunkturtheorie und so kann man es immer wieder beobachten. Ein Kreislauf, ebenso unausweichlich wie auf hoher See nach einem Wellenkamm das Wellental kommt, auch wenn die Länge des Wellentals dabei variieren kann.

In Australien aber scheint dieser Mechanismus durchbrochen worden zu sein. Seit 26 Jahren schwimmt das Land ohne Unterbrechung oben, auf dem Wellenkamm.

Selbst 2008, als viele Länder während der weltweiten Banken-und Finanzkrise ins Wellental stürzten, ging es den Australiern weiterhin gut. Auch den Verfall der Rohstoffpreise 2015 überstand Down Under ohne große Blessuren.

Jetzt kann die zwölftgrößte Volkswirtschaft gar einen Weltrekord feiern. Wie die australische Statistikbehörde am Mittwoch (06.09.2017) bekanntgab, ist die Wirtschaft im zweiten Quartal erneut gewachsen und hat damit seit 104 Quartalen keine Rezession mehr erlebt.

Kein anderes Land hat eine so lange Zeit durchgestanden ohne Rezession, also ohne dass die Wirtschaftsleistung zwei Quartale hintereinander schrumpft.

Australien gehört zu den weltgrößten Förderern von KohleBild: Getty Images/AFP/W. West

Eine Generation im Glück

Bisher hatten die Niederlande diesen Rekord gehalten. Sie schafften es, zwischen 1982 und 2008 103 Quartale zu wachsen. Dann aber beendete die Finanzkrise ihr Wirtschaftsglück. Die Australier haben nun ein Quartal mehr - trotz Finanzkrise.

Rekorde sind immer abhängig vom Zahlenmaterial. Und hier wird es, wie häufig in der Ökonomie, schwierig. Daten der nationalen Statistikämter unterscheiden sich manchmal von denen anderer Organisationen, etwa der Weltbank oder der Industrieländer-Gruppe OECD. So kommt die Wirtschaftszeitung Financial Times nach Analyse von OECD-Zahlen zum Schluss, dass der Weltrekord gar nicht von Australien, sondern von Japan gehalten wird, dessen Wirtschaft von 1960 an insgesamt 33 Jahre ohne Rezession wuchs.

Sicher ist zumindest, dass Australien die weltweit längste, noch nicht unterbrochene Wachstumsphase genießt.

"Eine Generation von Australiern ist aufgewachsen, ohne je eine Rezession erlebt zu haben", sagte Australiens Finanzminister Scott Morrison im Juni. "Das ist ein enorme nationale Leistung, aber wir können nicht davon ausgehen, dass das immer so weitergeht", fügte er hinzu. In der Tat zitterte das Land Ende vergangenen Jahres, ob es mit dem Rekord etwas wird. Im dritten Quartal 2016 gab es ein Minus, dann kehrte zum Jahresende aber das Wachstum zurück. Und es soll weitergehen: Bis Ende 2018 erwartet die australische Zentralbank RBA ein Plus von etwa drei Prozent.

Große Nachfrage bei Immobilien, Tourismus und Bildung

Was aber ist das Geheimnis des Wachstumserfolges? Vor allem der Dienstleistungssektor brummt. Er macht zwei Drittel des Bruttoinlandprodukts (BIP) aus. Dazu gehören Finanzdienstleistungen, Tourismus und Bildung. "Australien hat eins der stabilsten Bankensysteme der Welt", sagt Heribert Dieter von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Touristen kommen aus allen Teilen der Welt. Und: "Sehr viele reiche chinesische Familien schicken ihre Kinder nach Australien, um dort zu studieren", erzählt Werner Kemper. Kemper lebt seit fünf Jahren in Sydney und arbeitet für Germany Trade & Invest (GTAI), eine Bundesagentur zur Förderung des deutschen Außenhandels. Meistens seien das dann auch die Familien, die in Australien Immobilien kaufen.

Von dieser Nachfrage getrieben, boomt der Immobiliensektor. "Wir haben im Schnitt bis zu 17 Prozent Wachstum im Jahr, sowohl in Sydney als in Melbourne." Das führe, obwohl die Reallöhne in den letzten zwei, drei Jahren zurückgegangen seien, zu einem gefühlten Wohlstand der Bevölkerung und treibe den Konsum an, so Kemper. "Der wiederum hält auch die Wirtschaft am Laufen."

Gekoppelt an Chinas Wachstum

"Kein Land auf der Welt außer China selbst hat in den letzten drei Jahrzehnten so sehr vom chinesischen Wachstum und seiner Industrialisierung profitiert wie Australien", meint der Wirtschaftsprofessor Saul Eslake von der Universität Tasmanien. Denn der Einfluss Chinas auf das australische Wirtschaftsglück geht weit aber über die Bildungs- und Immobiliennachfrage hinaus. Längst ist China auch der wichtigste Handelspartner. Ein Drittel der Exporte werden inzwischen in die Volksrepublik geliefert. Zum Vergleich: 1991 waren es zwei Prozent. Exportiert werden Rohstoffe. Vor allem mit Eisenerz und Kohl wurden große Gewinne erzielt. Allerdings ist der Rohstoffboom, von dem Australien lange Jahre sehr profitiert hat, inzwischen vorbei.

"Dass die Australier einen starken Abnehmer ihrer Waren- und Dienstleistungen haben, ist erst mal grundsätzlich positiv", meint Kemper. So lange es China gut geht, geht es Australien auch gut. Diese Abhängigkeit wird aber dann zum Problem, wenn China mal hustet. Daher hätten sich die Australier bereits auf die Suche gemacht - nach neuen Partnern und neuen Produkten, so Kemper. Ende des Jahres plane man ein Freihandelsabkommen mit der EU auszuhandeln. "Davon versprechen sich die Australien sehr viel."

Zu lange gezögert?

Um die Abhängigkeit zu verringern, setzt Malcolm Turnbull, der Premierminister Australiens, stark auf neue Technologien, sagt Heribert Dieter von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Australien wolle mehr Erfinder generieren. "Das ist allerdings relativ schwer, weil man nicht so einfach aus dem Stand heraus Fertigkeiten aufbauen kann, um Technologie-Weltmarkführer zu werden", so Dieter. Dabei offenbart sich ein generelles Problem der australischen Wirtschaftspolitik. "Man kann das Schwein nicht erst am Markttag mästen", zitiert Dieter dazu ein Sprichwort. Er ist der Meinung, dass sich die Regierung seit vielen Jahren nicht frühzeitig um aufkommende Probleme kümmere.

Außerdem weist Dieter darauf hin, dass die Bevölkerung Australiens beständig wächst. Ende des Zweiten Weltkriegs hatte das Land nur sieben Millionen Einwohner. "Damals war es relativ einfach, mit einigen wenigen landwirtschaftlichen Exporten einen hohen Lebensstandard zu organisieren. Heute ist es mit 24 Millionen etwas schwieriger geworden", so Dieter.

Und überhaupt, die Bevölkerung. Berechnet man das Wirtschaftswachstum Australiens nämlich pro Kopf, sieht die Entwicklung der vergangenen Jahre schon nicht mehr so gut aus. "Wenn man die Zuwanderung rausrechnet, dann hatte Australien tatsächlich 2008 eine Rezession", sagt Dieter.

Wachstum auf Kosten der Umwelt

Dass Australien seine verarbeitende Industrie, beispielsweise die Autobranche, nicht länger staatlich unterstützt habe, hält Dieter für einen Fehler. In Australien gab es Produktionsstätten von japanischen und US-Autoherstellern. Das sei zwar nie eine vor Kraft strotzende Industrie gewesen, so Dieter, sie habe aber für Arbeitsplätze gesorgt und technologische Kompetenz ins Land gebracht. Nun wird es voraussichtlich Ende 2017 keine Autoindustrie mehr geben - mit entsprechenden Folgen für die Zuliefererindustrie. Insgesamt wird damit gerechnet, dass dadurch bis zu 40.000 Arbeitsplätze wegfallen.

Allein aufgrund der geografischen Bedingungen hätte Australien zudem bei regenerativen Energien ganz vorne sein können. "Das hat man aber verschlafen", kritisiert Dieter. Während andere Länder den Klimawandel ernst nahmen, erneuerbare Energien und Klimaschutz förderten und damit der eigenen Wirtschaft Impulse gaben, leugnete die australische Regierung lange den Klimawandel. Der hätte ja auch einen der größten Kohleproduzenten und -exporteure der Welt in ein kritisches Licht getaucht. Zwar hat der neue Premierminister Turnbull im letzten November das Pariser Klimaabkommen ratifiziert und zugesagt, Australiens Treibhausgasemissionen bis 2030 um 28 Prozent zu verringern - noch stoßen die Australier aber im weltweiten Vergleich mit am meisten CO2 pro Kopf aus. Und man hält weiterhin an der Kohle fest, die kurzfristig so gewinnbringend zu sein scheint. Die australische Kohle sei sauberer als die anderer Länder, argumentiert Finanzminister Mathias Cormann, und sie hätte geholfen, Millionen von Menschen in Entwicklungs- und Schwellenländer aus der Armut zu befreien. Auch im eigenen Land plädiert die Regierung daher für neue Kohlekraftwerke.

Auch in Australien sind im April 2017 beim "March for Science" Tausende Menschen auf die Straßen gegangen, um für Klimaschutz zu demonstrieren.Bild: Reuters/D. Gray

Insgesamt glaubt Dieter, dass es für Australien schwierig werde, das bisherige hohe Wachstum beizubehalten. "Die Perspektiven haben sich deutlich eingetrübt. Vielleicht gibt es einen neuen Rohstoffboom, diesmal getrieben von Indien. Das ist aber eher eine vage Hoffnung." Wenn alle Rahmenbedingungen so blieben, wie sie gegenwärtig sind, werde es für Australien schwierig, das bisherige, hohe Wachstum beizubehalten. "Ich war am Anfang auch skeptisch", meint Werner Kemper. Er habe nicht nachvollziehen können, wie Australien mit immer weniger verarbeitender Industrie weiter wachsen will. "Inzwischen bin ich aber sehr positiv eingestellt. Ja, die werden ihren Weg weiter gehen", ist Kemper überzeugt. "Es ist jetzt genau 26 Jahre lang sehr gut gelaufen und warum soll es nicht noch mal 26 Jahre weiter so laufen?"

 

* Dieser Bericht wurde erstmals am 30.06.2017 veröffentlicht und nach der offiziellen Bekanntgabe der Wachstumszahlen für das zweite Quartal am 06.09.2017 aktualisiert.

Insa Wrede Redakteurin in der Wirtschaftsredaktion
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