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Politik

Austritt schützt Duterte nicht vor dem IStGH

Notker Oberhäuser
18. März 2019

Die Philippinen verlassen den Internationalen Strafgerichtshof, weil die Regierung Ermittlungen fürchtet. Andere Staaten sind gar nicht erst beigetreten. Doch der Gerichtshof ist kein zahnloser Tiger.

Gebäude des Internationalen Strafgerichtshofs Den Haag
Bild: picture-alliance/dpa

Der philippinische Präsident Rodrigo Duterte machte es kurz: Im März 2018 kündigte er an, wegen "unverschämter Angriffe" des Internationalen Strafgerichtshofes auf seine Person, die Ratifizierung des Römischen Statuts "mit sofortiger Wirkung" zurückzuziehen. Das Römische Statut ist die Rechtsgrundlage des 2002 gegründeten Strafgerichtshofs (IStGH). Zum 18. März 2019, ein Jahr nach der Ankündigung, tritt das Ende der Mitgliedschaft in Kraft.

Was war passiert? Einen Monat zuvor hatte Chefanklägerin Fatou Bensouda in Den Haag Vorermittlungen gegen Präsident Duterte eingeleitet, wegen mutmaßlicher Verbrechen gegen die Menschlichkeit im sogenannten "Drogenkrieg".

Die Vorwürfe wiegen schwer. Nach offiziellen Angaben sind auf den Philippinen mehr als 5000 Menschen in dem Anti-Drogen-Kampf unter Duterte getötet worden. Menschenrechtsorganisationen sprechen von mindestens weiteren 20.000 Morden durch anonyme Todesschwadronen. Zwischen dem 1. Juli 2016, dem Tag nach Dutertes Amtsantritt, und Ende November 2018 habe es mehr als 115.000 Einsätze gegen mutmaßliche Drogendealer und Konsumenten illegaler Drogen gegeben. Das teilte die Anti-Drogen-Behörde des südostasiatischen Inselstaates mit.

Vor den Philippinen war 2017 als erster Mitgliedsstaat Burundi aus dem Strafgerichtshof ausgetreten. Die Begründung Burundis: Der IStGH ermittle überwiegend gegen Afrikaner.Die spektakuläre Flucht von Omar Al-Baschir 2015 aus Südafrika führte die Ohnmacht des Internationalen Gerichtshofes vor Augen. Der sudanesische Präsident - per Haftbefehl vom IStGH gesucht - konnte augenscheinlich mit staatlicher südafrikanischer Hilfe fliehen. Und Anfang Februar geriet die überraschende Freilassung des Ex-Präsidenten der Elfenbeinküste, Laurent Gbagbo, in die Kritik.   

Trotz Austritts - Ermittlungen laufen

In der öffentlichen Wahrnehmung bleibt das Bild eines schwachen Internationalen Strafgerichtshofs, dem die rote Karte gezeigt wird, sobald er Untersuchungen ankündigt. Stimmt das Bild?

Trauernde Filipinos bei einer Beerdigung - tausende Menschen sind Opfer der Anti-Drogen-Einsätze gewordenBild: picture-alliance/NurPhoto/E. Acayan

"Ein Land kann sich einer Untersuchung nicht entziehen, indem es aus dem Strafgerichtshof austritt - die Untersuchungen laufen. Was bislang ermittelt wurde, wird auch weiter verfolgt", sagt Moritz Vormbaum, Experte für Internationales Strafrecht aus Münster. Der Völkerrechtler Claus Kreß ergänzt: "Ein Austritt aus der Staatengemeinschaft zum Internationalen Strafgerichtshof bezieht sich immer auf die Zukunft - rückwirkend hat der Austritt keine Wirkung." Konkret heißt das: Sollten die Voruntersuchungen des Gerichtes die Verdachtsmomente erhärten, wird ein Verfahren gegen den philippinischen Präsidenten eröffnet, das alles in Betracht ziehen kann, was bis zum Zeitpunkt des offiziellen Austritts geschehen ist.

Es gibt auch Beitritte

"Es ist eine große Ausnahme, wenn ein Land aus dem Staatenverbund austritt", sagt Kreß. Es gibt auch Beitritte: So ist Malaysia Anfang März 2019 dem Römischen Statut beigetreten. "Asien ist bis heute ein schwieriges Terrain für den Strafgerichtshof - das hat mit dem dort ausgeprägten Souveränitätsverständnis zu tun", erläutert Kreß.

Sudans Präsident Omar al-Baschir (r) - vom IStGH per Haftbefehl wegen Völkermords gesuchtBild: picture-alliance/AP Photo/M. Hjaj

Als "Geschenk der Hoffnung für künftige Generationen" hat der damalige UN-Generalsekretär Kofi Annan das Statut des Internationalen Strafgerichtshofes gewürdigt. Es wurde am 17. Juli 1998 in Rom verabschiedet. Vier Jahre später nahm das Gericht in Den Haag seine Arbeit auf. Inzwischen haben sich ihm 123 der 193 UN-Mitgliedsländer angeschlossen, darunter alle EU-Mitglieder. Nicht dabei sind China, Indien, Israel, Russland, die Türkei und die USA.

Militärtribunale waren Vorbild

Der Strafgerichtshof ist für eine Verfolgung von Personen bei Genozid, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Angriffskrieg zuständig. Tätig werden die internationalen Ankläger nur, wenn die Beschuldigten nicht von der nationalen Justiz vor Gericht gestellt werden. Dessen ungeachtet können Staaten den Strafgerichtshof selbst bitten, ein Verfahren aufzunehmen - auch der UN-Sicherheitsrat kann Fälle an das Gericht verweisen.

"Bei der Gründung des Strafgerichtshofs ist eine Jahrhundertidee verwirklicht worden", sagt Völkerrechtler Kreß. Er brennt für die Idee. 1998 war er als kleiner Beamter des Bundesjustizministeriums für die deutsche Bundesregierung bei den Verhandlungen in Rom.

Claus Kreß vor dem Internationalen Gerichtshof in Den HaagBild: ICC-CPI

Die Grundlage für den heutigen Internationalen Strafgerichtshof waren die Militärtribunale in Nürnberg und Tokio nach dem Zweiten Weltkrieg. "Allerdings hatten diese punktuellen Tribunale, von den Siegern eingerichtet, immer ein Legitimitätsproblem", sagt Jurist Kreß. Danach kam der Kalte Krieg - und es passierte erst einmal 40 Jahre überhaupt nichts. In den 1990er Jahren wurden dann Ad-hoc-Strafgerichtshöfe der UN zu den Balkankriegen und zum Genozid in Ruanda eingerichtet. "Aber es war keine Lösung auf Dauer, für jeden Krisenfall einen Strafgerichtshof einzusetzen", so Kreß. So wuchs in der Staatengemeinschaft die Idee, einen permanenten Strafgerichtshof zu installieren. 

Ein Gericht mit Ansehen

"Der Strafgerichtshof hat in den ersten Jahren auch Fehler gemacht", sagt der internationale Strafrechtler Vormbaum. So bearbeitete der Gerichtshof anfangs nur Fälle aus afrikanischen Ländern. Das hat sich geändert: "Auch vor unangenehmen Situationen in Palästina und den Philippinen schreckt das Gericht nicht mehr zurück", sagt Vormbaum. Außerdem würden Misshandlungen in britischen Gefängnissen untersucht. "Und die aufgeregten Stimmen aus den USA zu etwaigen Untersuchungen in Afghanistan zeigen, dass der Strafgerichtshof ernst genommen wird."

Militärtribunal in Nürnberg 1945/46 - Vorbild für den Internationalen StrafgerichtshofBild: picture-alliance/akg-images

Strukturelle Problem gibt es trotzdem: Der Strafgerichtshof hat keine eigenen Zwangsmittel und Ermittlungsbehörden - er ist auf eine Zusammenarbeit mit den Ländern angewiesen. Die Lücke müssen die Justizbehörden der Mitgliedsstaaten schließen. "Zu dieser Kooperation sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, das haben sie bei der Aufnahme zum Strafgerichtshof unterschrieben", sagt Vormbaum. "Es ist natürlich eine Schwäche des Gerichtshofs, wenn ihm die Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten verweigert wird - aber es gibt nun mal keine Weltpolizei, die Untersuchungen durchführen oder Verhaftungen veranlassen könnte." Wenn ein Staat die Kooperation mit dem Gericht verweigert, hat er lediglich politische Zwangsmittel zu befürchten.

Auch Rolf Mützenich, außenpolitischer Experte der SPD, ist von der Arbeit des Internationalen Strafgerichtshofs überzeugt. Er hat Ideen entwickelt, ihn auch in Ländern bekannt zu machen, die das Römische Statut noch nicht ratifiziert haben. "Wir dürfen für den Strafgerichtshof nicht nur Werbung bei den jeweiligen Regierungen machen - Parlamente und Nichtregierungsorganisationen sind auch wichtige Multiplikatoren, um den Internationalen Strafgerichtshof bekannt zu machen."

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