VW in Brasilien: Die Schatten der Vergangenheit
11. Juni 2025
Vor zwei Jahren konnte der deutsche Autobauer Volkswagen sein 70. Jubiläum als "brasilianischer" Autohersteller feiern. Am 23. März 1953 hatte ihr südamerikanischer Ableger in einem Lager in São Paulo seine Arbeit aufgenommen. Kurz darauf entstand das Anchieta-Werk, das erste Volkswagen-Werk außerhalb Deutschlands, wie die brasilianische Onlinezeitung heycar.com.br berichtet.
"Volkswagen do Brasil vollendet 70 Jahre technologische Innovation und Pioniergeist," so VW-Brasilien-Chef Ciro Possobom zum Jubiläum 2023. VW habe seine seine Werke in Brasilien modernisiert, neue Technologien entwickelt und ist heute eine Marke, die viel näher am Menschen ist."
Im Jahr darauf gaben die Wolfsburger bekannt, dass sie ihr Brasilien-Engagement - der Konzern unterhält dort vier Standorte - weiter ausbauen: War bis dahin geplant, bis 2026 sieben Milliarden Reais zu investieren, sollen nun bis 2028 insgesamt 16 Milliarden Reais (das sind rund drei Milliarden Euro) in das brasilianische Unternehmen gesteckt werden, das berichtete die Website automobil-produktion.de vor einem Jahr.
VW will mit Autos und Rindern verdienen
Wirtschaftlich eine gute Investition - von Anfang an. Und nicht nur mit Autos, auch mit Rindern wollte VW Geld machen. Dazu hatten die Niedersachsen 1974 in Cristalino, 2200 Kilometer vom Firmensitz in São Paulo entfernt, einen landwirtschaftlichen Betrieb (die "Fazenda Volkswagen") aufgebaut.
Doch ausgerechnet dort, weit entfernt vom Trubel der Metropole, bekam das Bild von VW Risse. Christopher Kopper, Historiker an der Universität Bielefeld hat zur Geschichte von VW do Brasil geforscht. Im Gespräch mit der DW sagt er: "VW wurde schon in den Achtziger Jahren wegen der Behandlung der Arbeiter auf der Fazenda zur Rede gestellt."
2016 war Kopper vom Volkswagenkonzern mit der Erstellung eines Gutachtens zur Rolle von Volkswagen während der brasilianischen Militärdiktatur beauftragt worden. Im März 1964 hatte sich dort eine Militärjunta an die Macht geputscht und das Land in den folgenden 21 Jahren mit harter Hand unterdrückt.
Auf der Farm wurde nur für VW-Beschäftigte gut gesorgt
Mit dem Aufbau der Farm hatte Volkswagen einen Agrarökonomen aus der Schweiz, Friedrich-Georg Brügger, beauftragt. Der beschäftige sowohl Mitarbeiter vom VW-Konzern wie auch lokale Kräfte und Subunternehmer für sein ehrgeiziges Agrar-Projekt. Wie ehrgeizig und rücksichtslos Brügger vorging, enthüllte Jahre später ein Fernsehbericht des ARD-Weltspiegels.
Für die VW-Beschäftigten, so Christopher Kopper, war immer gut gesorgt: "Sie hatten eigene Häuser, eigene Schulen, eine Krankenstation. Aber für die Arbeiter der Subunternehmen traf das gar nicht zu. Die arbeiteten unter Bedingungen, die eine Schuldknechtschaft auf Zeit war."
Eine Unterscheidung, an der Volkswagen immer festgehalten habe, so Kopper. Die Manager hätten sich immer "damit herausgeredet, dass sie für die Behandlung der Arbeitskräfte von Subunternehmen keine Verantwortung getragen hatten". Gleichzeitig hätten sie stets "darauf verwiesen, dass die Stammarbeiter der Fazenda, die direkt bei VW angestellt waren, unter den dort herrschenden Bedingungen gut hätten leben können."
Das dunkle Geheimnis: VW und die Diktatur
Die Zustände auf dem Landgut fanden nicht unter den Augen der Öffentlichkeit statt und auch das Ende des Versuches machte keine Schlagzeilen. "Die Fazenda", resümiert Historiker Kopper, "hatte von Beginn an ökonomisch keine Chance. Das Projekt war defizitär."
Weit erschütternder als die Zustände auf der Fazenda war, was Kopper über die Einstellung des Konzerns zur herrschenden Militärjunta herausfand: "VW hat mit dem Sicherheitsapparat der Diktatur eng zusammengearbeitet. Das traf für das Stammwerk südlich von São Paulo zu und für die anderen Werke."
Kopper sah, dass die Zustände auf der Fazenda nur ein Ausschnitt eines größeren, viel düsteren Bildes waren. So hatte der Werkschutz von VW do Brasil mit der Militärdiktatur zusammengearbeitet. VW-Mitarbeiter duldeten Verhaftungen und Misshandlungen durch die Militärpolizei und beteiligten sich sogar daran. "Die Korrespondenz mit dem Vorstand in Wolfsburg zeigt bis 1979 eine uneingeschränkte Billigung der Militärregierung", so Kopper zum Ergebnis der Studie.
Schatten der Vergangenheit reicht bis in die NS-Zeit
Solche Umstände sind in jeder Firma ein Skandal - doch bei Volkswagen ist so etwas noch um einiges schlimmer, wenn man an die unheilvolle Konzerngeburt in der Hitler-Diktatur denkt: Gegründet im NS-Staat durch NS-Organisationen hatte der Konzern während des Zweiten Weltkrieges Tausende Zwangsarbeiter ausgebeutet und misshandelt.
Hatten die Verantwortlichen in Wolfsburg, dem VW-Stammsitz, denn gar nichts gelernt? Natürlich kam sofort der Verdacht auf, dass nur ein Jahrzehnt nach dem Ende von Krieg und Diktaturin Deutschland auf einem anderen Kontinent das gleiche Unrecht wiederholt werden sollte.
Management mit teils dunkler Vergangenheit
Eine unheilvolle Kontinuität will Christopher Kopper nicht von der Hand weisen: "Das würde ich für das Management von VW do Brasil eingeschränkt bejahen." Das hätte vor allem persönliche Gründe, seien doch die Manager der Fünfziger- und Sechzigerjahren in jungen Jahren "noch Wehrmachtsoffiziere gewesen und NSDAP-Mitglieder".
Für den Mann, der die brasilianische VW-Tochter von 1971 bis 1984 leitete, Wolfgang Sauer, habe das aber nicht zugetroffen: "Er war dazu noch zu jung." Er sei nicht der nationalsozialistisch-militärisch Tradition verhaftet gewesen, sondern eher "der Tradition des in Brasilien herrschenden autoritären Paternalismus: Man gibt den Arbeitern Sozialleistungen, aber man ist auch nicht bereit, einen unabhängigen Betriebsrat zu akzeptieren."
Die gesellschaftliche und juristische Aufarbeitung der Geschichte Volkswagens in der brasilianischen Militärdiktatur ist noch lange nicht abgeschlossen. So stehen noch weitere, gerichtliche Auseinandersetzungen um Entschädigungen und Schuldanerkenntnisse von VW an. Erst wenn die abgeschlossen sind, kann man auch in Wolfsburg dieses Kapitel schließen.