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Literatur

"Das Räudige romantisieren"

Philipp Jedicke
23. Dezember 2016

Stefanie Sargnagel ist als Chronistin skurriler Szenen zwischen Kaffee- und Wirtshaus und Callcenter zur erfolgreichen Wiener Export-Autorin geworden. Mit der DW spricht sie übers Schreiben und ihre Stadt.

Stefanie Sargnagel
Bild: picture-alliance/dpa/H. Ossinger

Stefanie Sargnagel ist eine Meisterin der Reduktion. In ihren kurzen Tagebucheinträgen bewegt sie sich geschickt zwischen Nihilismus und Nächstenliebe, Desillusion und Restromantik – und trifft damit den Nerv einer schnell wachsenden Leserschaft zwischen Graz, Basel und Hamburg. Dabei ist sie ganz und gar nicht den klassischen Literaten-Weg gegangen. Sie wurde durch ihre Blog- und Facebook-Einträge aus ihrem Alltag in einem Callcenter zunächst in der Wiener Szene bekannt und ging erst einige Jahre später damit in Druck. Ihre aktuelles, drittes Buch "Fitness" verkauft sich so gut, dass sie ihr nächstes bei einem großen deutschen Verlag herausbringen wird. Sie selbst sieht ihren Erfolg höchst gelassen.

DW: Wie ging es mit dem Schreiben bei Ihnen los?

Stefanie Sargnagel: Seit ich 15 bin, habe ich gebloggt und dabei mein ganzes Leben aufgeschrieben. Sobald ich etwas Lustiges erlebt hatte, wollte ich es aufschreiben. Da war schon ein gewisser Mitteilungsdrang. Ich war nur noch nicht so ausgereift und nicht so ehrlich. Es gab da einen Knackpunkt, wo ich viel ehrlicher wurde: eine Bloggercommunity, das Livejournal. Das war recht populär, bevor es Social-Media-Kanäle gab. Ein Freund von mir, der den ganzen Tag Dosenbier trank, hat da sehr ehrlich seine Depressionen beschrieben. Er hat mich sehr beeinflusst. Ich dachte mir: Man kann ja auch ganz ehrlich seine Depression stilisieren, kultivieren und sein eigenes Scheitern... Da war ich so 17,18. Ich habe mir das kürzlich wieder durchgelesen, und da sind viele lustige Sachen dabei. Vielleicht werde ich etwas davon in mein neues Buch einbauen.

Wie entstand überhaupt die Idee, aus Facebook- und Blogeinträgen ein Buch zu machen?

Meine Texte waren nie so konzipiert, dass ich daraus ein Buch mache, sondern einfach für Freunde gedacht. Ich habe immer gern Sachen online gestellt, sie aber nie als Literatur gesehen. Eher wie wenn man in der Schule vor sich hinkritzelt und seine Kreativität abbaut. Ich hatte vorher auch schon lustige Sachen gesammelt und sie in selbstgemachten Fanzines gedruckt. Das lief schon ganz gut. Ich habe achtseitige Hefte gemacht und sie fotokopiert. Immer eine Zeichnung, ein Text von Facebook, dann ein Foto. Dann habe ich das ausgedruckt und für zwei Euro auf Märkten verkauft. Das gab ein ganz gutes Taschengeld. Dann sind sie (Verleger Stefan Redelsteiner und Ilias Dahimène, Anm.d.Red.) auf die Idee gekommen, ein Buch daraus zu machen, und es hat ganz gut funktioniert.

Bild: picture-alliance/dpa/G. Eggenberger


Woran merkt man als Wiener Autorin, dass es in Deutschland einen Wien-Hype gibt?

Bei meinen Lesungen habe ich das gemerkt. Ich glaube, durch den Erfolg von Wanda (Wiener Rockband, Anm.d.Red.) hat sich da etwas geändert. Dass zum Beispiel der Akzent jetzt ein bisschen beliebter ist. Für mich ist es ja vollkommen normal, wie ich rede. Nach Lesungen kommen dann aber Leute zu mir und sagen: "Dein Akzent ist so lustig." Und für mich ist das schon ein bisschen befremdlich. In Deutschland ist das dann schon ein Teil davon, dass ich so spreche, wie ich spreche. Auch wenn es für mich nicht auffällig ist. Ich wurde sogar schon mal gefragt, ob ich wirklich so spreche oder das nur spiele.

Auf einer längeren Lesereise in Deutschland hat sich einmal mein Hirn umgestellt. Als ich nach Wien zurückkam, merkte ich auf einmal, wie Wienerisch klingt. Der Akzent kam mir sehr skurril vor. Sehr langsam und langgezogen - wie ein alter, schrulliger Graf. Als Österreicher hat man immer das Gefühl, Deutsche sprechen schneller. Und wir verbinden Hochdeutsch so sehr mit TV-Serien, dass es uns automatisch irgendwie fake vorkommt.

Woher kommt Ihrer Meinung nach die deutsche Wien-Faszination?

Vieles was aus Wien kommt, ist halt so authentisch, sehr "real" (betont wie im englischen HipHop-Sprech, Anm.d.Red). Und auch vom Typ her sind Der Nino aus Wien, Voodoo Jürgens und ich auch ein bisschen real. In Deutschland gibt es solche Originale vielleicht genauso, aber es ist dann eher etwas Lokales, zum Beispiel in Hamburg oder Berlin. In Österreich kennt sie dann halt gleich das ganze Land. Hier gibt es mehr Raum für solche Charaktere, weil wir halt nicht 80 Millionen Einwohner haben und es dann nicht so glattpoliert sein muss. Es hat was Originaleres, "Local Hero"-Style. Was Nino, Voodoo, Wanda und ich gemeinsam haben, ist auch, dass wir so gern ins Tschocherl (Kneipe) ums Eck gehen. Das ist in Deutschland, glaub ich, auch nicht so verbreitet. Diese Verkultung von dreckigen Beisln (Wirtshäusern, Anm. d. Red.). Dieses Romantisieren ist schon etwas, das viele hier machen. Das Räudige romantisieren.

Nerven all die alten Wien-Klischees die Wiener nicht sehr?

Ich finde, Klischees stimmen schon irgendwie. Und ich finde schon, dass Österreich etwas Kaputtes und auch Karikaturhaftes an sich hat. Mit diesen ganzen Figuren wie Norbert Hofer, mit den Kellerkindern und dem schwarzen Humor, dem leicht Morbiden. Man ist ja auch kulturell geprägt durch die Popmusik von früher. Der Wiener Aktionismus, Elfriede Jelinek... das hat schon etwas Abgründiges.

Sie sind quasi "digital native", haben aber auch eine große Affinität zum Buch. Sehen Sie Social Media manchmal auch kritisch?

Ich bin nicht kulturpessimistisch. Ich denke immer das Gegenteil von dem, was ich höre. Zum Beispiel, wie sich gerade alle über Hasspostings aufregen – wart Ihr denn noch nie in einem Wirtshaus? Jetzt sieht man halt mal, was manche Leute denken und sagen. Ich bin mir nicht sicher, ob die Leute nicht eh so reden würden.

Wo wird Ihr neuer Roman erscheinen?

Bei Rowohlt.

Wird das dann derselbe Stil sein?

Ich glaube schon, ich kann nichts wirklich anderes. Anfangs habe ich mir schon einen gewissen Druck gemacht: Soll ich jetzt eine längere Erzählung schreiben? Aber ich habe eigentlich überhaupt keine Lust. Und es funktioniert ja gut so. Ich frage mich schon manchmal: "Kann man das nochmal machen?" Aber Max Goldt schreibt doch auch seit 20 Jahren Kolumnen, also warum eigentlich nicht.

Das Gespräch führte Philipp Jedicke

Buchtipp: Stefanie Sargnagel: Fitness, Verlag Redelsteiner Dahimène Edition, 292 Seiten, ISBN 978-3-9503359-8-9.

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