Schweden ehrt Avicii mit einem Museum
26. Februar 2022Vor vier Jahren verlor die Electronic-Dance-Music-Szene einen ihrer wichtigsten Vertreter: 2018 starb DJ Avicii, alias Tim Bergling, im Alter von nur 28 Jahren. Er soll sich während eines Urlaubsaufenthalts im Oman das Leben genommen haben. Die Nachricht vom frühen Tod des schwedischen Star-DJs erschütterte die Musikwelt. Sein musikalisches Vermächtnis hallt bis heute nach.
"Avicii Experience": Interaktiv durch Aviciis Leben
Seit dem 26. Februar bietet das interaktive Museum "Avicii Experience" in Stockholm nun einen Einblick in sein Leben und sein künstlerisches Schaffen: In der Ausstellung können die Besucher nicht nur Bilder, Videos und private Gegenstände von Avicii sehen, sondern auch unveröffentlichte Musik des Star-DJs hören und intime Momente seines Lebens nachempfinden. Sein Kinderzimmer, in dem er als Teenager anfing, Musik zu machen, wurde beispielsweise originalgetreu nachgebaut.
Per Sundin, Mitbegründer von "Avicii Experience" betont im DW-Interview die Interaktivität der Ausstellung: "Man kann mit einer Virtual-Reality-Brille in das Studio gehen, in dem er all seine großen Songs aufgenommen hat, und in sein Haus in Los Angeles." Im virtuellen Studio etwa könnten die Besucher sogar eine Version des Songs "Wake Me Up" aufnehmen, so Sundin weiter. "Außerdem sind auch Videos und Interviews mit Tim zu sehen. Wir haben ein paar Demo-Songs von Tim, bei denen man hören kann, wie sie klangen, bevor die Produzenten sie umgearbeitet haben."
Die Ausstellungseröffnung rückt aber auch einige Fragen in den Vordergrund: Wie hat Avicii die Musikwelt geprägt, was hat er der Nachwelt hinterlassen und wie wird mit seinem Vermächtnis in Schweden und weltweit umgegangen?
Aviciis musikalisches Vermächtnis
Aviciis Tod ist bereits vier Jahre her, doch sein musikalisches Vermächtnis ist auch heute noch präsent: Fans feiern die von ihm hinterlassene Diskografie und auch in der Musikindustrie ist sein Einfluss weiterhin stark.
Nur gut ein Jahr nach seinem Tod wurde 2019 posthum das Album "TIM" veröffentlicht, Aviciis drittes Studioalbum, auf dem zwölf Tracks mithilfe von Notizen und Nachrichten des DJs vollendet und aufgenommen wurden.
Kurz darauf verewigten die Videospiele-Entwickler von "Hello There Games" in Zusammenarbeit mit Aviciis Vater Klas Bergling in einem neuartigen Spiel namens "AVICII Invector" die Vision des Ausnahme-DJs, seine Musik auf neue Weise zu erleben. Eine Vorgängerversion gab es schon zu Aviciis Lebzeiten; der DJ selbst war ein enthusiastischer Gamer. Daran orientierten sich die Spielemacher. Mit der "Encore Edition" des Spiels kam im Januar 2022 eine Fortsetzung auf den Markt, die Fan-Herzen höher schlagen ließ. Spieler können darin in die Welt des schwedischen DJs eintauchen und müssen durch verschiedene Avicii-Musiktracks navigieren - mit der Aufgabe, den "musikalischen Beat" zu treffen.
Es gibt zahlreiche weitere Projekte, die den EDM-DJ posthum würdigen: eine Wachsfigur bei Madame Tussauds in New York, eine 2021 erschiene Biografie, und in Stockholm wurde sogar eine bekannte Veranstaltungshalle in "Avicii Arena" umbenannt. Zudem gibt es in Östermalm - dem Stockholmer Stadtteil, in dem der DJ aufwuchs - Pläne, ihm zu Ehren eine Statue zu errichten. Doch was macht ihn nur so populär?
"Er revolutionierte die Electronic-Dance-Musik"
Avicii habe mit seiner Musik stets demonstriert, dass er sich in seinem kreativen Schaffen nicht von der Meinung anderer einschränken ließ. Das sei etwa 2013 beim Ultra Music Festival deutlich geworden, so Avicii-Biograf Måns Mosesson im DW-Interview. Der damals 23-Jährige spielte in Miami einige Stücke seines Debüt-Albums "True". Darunter war einer der größten Hits seiner Karriere: "Wake Me Up" - eine Melange aus EDM-Beats, Soul- und Country-Musik, die auch als Folktronica bezeichnet wird.
"Als er 2013 in Miami zum ersten Mal seinen Song "Wake Me Up" spielte, waren die Leute davon überrascht," blickt Mosesson zurück. "Die Zuschauer dachten, er würde einfach ein normales Set spielen - möglicherweise mit ein paar neuen Tracks. Doch er spielte mit einer ganzen Live-Band, mit akustischen Gitarren, einer Geige und sogar einem Banjo." Das sei zu viel für die Zuschauer gewesen, die einfach ganz normale House-Musik vom DJ-Pult erwartet hätten, so der Biograf weiter. "Die Leute waren verwirrt davon, sogar wütend. Viele begannen zu twittern: 'Was ist das denn für ein Scheiß?'. In ihren Ohren klang die Musik damals seltsam - obwohl Avicii auf dem Konzert viele der Stücke spielte, die später legendär wurden."
Seine Performance, die erst laute Buh-Rufe auslöste, habe quasi eine neue Musikepoche eingeläutet, sagt Måns Mosesson: "Er war an vorderster Front dabei, die Kluft zwischen digitaler Musik - also mit Software erstellte Tracks - und traditioneller, akustischer Musik zu schließen. Heute ist das schwer zu begreifen, wie revolutionär das zu dieser Zeit war!"
Als das Album im September desselben Jahres herauskam, begannen die Leute, es auf eine andere Art und Weise zu hören. "Wake Me Up" kletterte an die Spitze der Charts in mehr als 60 Ländern. "Innerhalb von sechs Monaten wurde Avicii vom ausgebuhten DJ zum weltweiten Popstar", führt Måns Mosesson aus. "Und das ist es, was ihn so besonders macht: Er war wirklich an vorderster Front dabei, House-Musik zu etwas zu machen, das von der Club-Szene aus zu etwas wurde, das weltweit in den Radiosendern gespielt wurde."
Aviciis Hits bleiben lange nach seinem Tod im Ohr
Avicii hat den Menschen Ohrwürmer geschenkt, die im Gedächtnis bleiben: Wer einmal "Wake Me Up", "Hey Brother", "Waiting For Love" oder "The Nights" gehört hat, bekommt die Hits so schnell nicht mehr aus dem Kopf. "Wake Me Up" ist bis heute einer der meistgestreamten Songs aller Zeiten auf Spotify.
Was mit Aviciis unveröffentlichter Musik passieren soll, darüber wird häufig spekuliert. Per Sundin, der lange eng mit Avicii zusammengearbeitet hat, meint, dass auf Aviciis privatem Laptop "über 100 Song-Entwürfe, Demo-Versionen, Ideen und halbfertige Songs liegen." Leider würden diese aber nicht in "Avicii Experience" zu hören sein.
Song-Partner von Avicii, wie Aloe Blacc, meinen, dass mehr von Aviciis unveröffentlichten Werken rauskommen sollten. Und es sieht danach aus, als würde das auch passieren: Für 2023 ist eine Doku, in Auftrag gegeben vom schwedischen Nationalfernsehen, über Avicii angekündigt, in der bisher unveröffentlichtes Material gezeigt werden soll.
Die "Tim Bergling Stiftung" setzt sich für psychisch Kranke ein
Nach Aviciis tragischem Tod infolge anhaltender psychischer Probleme hat seine Familie schnell gehandelt. Sie suchte das Gespräch mit Künstlern in Not und gründete die "Tim Bergling Stiftung". Hier wird Künstlern geholfen, früh genug die Anzeichen für eine psychische Erkrankung zu erkennen, um sie behandeln zu können. Es ist eine Aufgabe, der sich insbesondere Aviciis Vater Klas Bergling verschrieben hat.
In einem Interview mit CNN äußerte er sich 2019 zum Tod seines Sohnes: Unter anderem soll der anstrengende Tourneeplan Grund für die Verschlechterung seiner psychischen Gesundheit gewesen sein. "Unsere Theorie ist, dass er den Suizid nicht geplant hat. Es war mehr wie ein Verkehrsunfall", so Klas Bergling. Auf Tournee hätte Avicii nicht ausreichend betreut können, da es an Ressourcen gefehlt habe, um Probleme dieser Art angemessen anzugehen. Die" Tim Bergling Stiftung" unterstützt deswegen heute Künstler, damit sie nicht das gleiche Schicksal wie Avicii erleiden.
"Avicii Experience" gedenkt einem nationalen Idol
"Tims psychische Probleme werden in der "Avicii Experience"-Ausstellung auch angesprochen", meint Per Sundin. "Wir haben einen Raum eingerichtet, in dem man den Stress in Tims Leben nachvollziehen kann. Dort kann man nachempfinden, wie es sich anfühlt, ständig zu fliegen und auf Bühnen zu gehen." Am Ende der Ausstellung wurde eine Art Kirche eingerichtet, in der man "sitzen und reflektieren [könne] über das, was man in der Ausstellung gesehen hat". Daneben stehe eine Wand, bereitgestellt von der "Tim Bergling Stiftung", mit Informationen über Organisationen, die bei psychischen Probleme helfen können.
Aviciis Vater Klas war an der Konzeption der Ausstellung maßgeblich beteiligt. "Wir haben alles mit ihm abgesprochen", erzählt Per Sundin. "Heute, kurz vor dem Mittagessen, haben wir der ganzen Familie eine Sonderführung gegeben. Sie waren sehr berührt, aber auch glücklich und sagten zu mir: 'Das war Tim'. Dabei hatten sie Tränen der Freude und des Kummers in den Augen."
Die Ausstellung ist offenbar auch eine Möglichkeit, Trauer zu bewältigen - für einen Vater und eine für ganze Nation. Denn in Schweden werde Avicii heute als "einer der ganz Großen angesehen - auf dem gleichen Level wie ABBA oder Roxette," betont Måns Mosesson.