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Börsen-Fieber

Lydia Heller16. April 2003

Die Lungenkrankheit SARS ist die aktuelle Seuche der globalisierten Wirtschaft. Fragt sich, wer stärker infiziert ist: die Menschen oder die Ökonomie?

SARS und Börse in HongkongBild: AP

Auf den ersten Blick gibt die Bilanz des "Severe Acute Respiratory Syndrome", des schweren akuten Atemwegssyndroms, durchaus Anlass zur Beunruhigung: Bis Mitte April 2003 gab es in mindestens 30 Ländern mehr als 3000 Infizierte und Verdachtsfälle, über 100 Menschen starben. Am stärksten betroffen sind China und Hongkong, Singapur und Taiwan. Die Ansteckungsgefahr gilt als hoch, wirksame Medikamente gibt es bisher nicht.

Neue Rezession wegen SARS?

Die Hysterie um SARS macht auch vor der üblicherweise als rational geltenden Wirtschafts- und Finanzwelt nicht Halt: Als in Hongkong das Gerücht auftauchte, es gebe dort eine mit dem SARS-Virus infizierte Person, plünderten die Hongkonger panisch ihre Supermärkte. Kaum jemand lässt sich seitdem in den großen Einkaufszentren, auf Märkten oder in Restaurants blicken. Die Hongkonger Börse reagierte prompt mit dramatischen Kursverlusten. Nun wird befürchtet, dass sich auch andere Wirtschaftsregionen der Welt "infizieren".

Denn Hongkong ist wirtschaftlicher Dreh- und Angelpunkt für die gesamte Region: Internationale Banken und Konzerne haben hier ihren Sitz, der Hongkonger Flughafen ist der größte Waren-Umschlagplatz in Asien, der Seehafen sogar der größte weltweit. Aus Sorge, dass sich die SARS-Erreger über diese Kanäle in alle Welt verbreiten, haben die lokalen Gesundheitsbehörden Reisen und Güterumschlag mit strengen Auflagen belegt und auf das unbedingt Notwendige reduziert.

Amerikanische Ökonomen schätzten daher kürzlich im "Wall Street Journal", das Virus könnte bis zu einem halben Prozent an realer Wirtschaftsleistung kosten, sollte die Unsicherheit über den weiteren Verlauf seiner Ausbreitung noch anhalten. Morgan Stanleys Chef-Volkswirt Steven Roach befürchtete sogar, dass die Weltwirtschaft in eine neue Rezession abgleiten könne.

Von der Macht der Medien

Irgendwie scheinen die Mikroben mindestens ebenso stark in den Medien zu wüten wie in den betroffenen Regionen. Nicht wenige erinnert der Rummel um die Lungenkrankheit daher an den Hype um die Rinderseuche BSE: "Die Geschichte wird größer und größer, sobald sie erst mal in den Medien ist", zitiert der britische Sunday Herald einen Pekinger Studenten. Ungeachtet der Tatsache, dass es statistisch immer noch wahrscheinlicher sei, bei einem Autounfall ums Leben zu kommen als sich mit SARS zu infizieren, verfielen die Leute in Panik und stornierten ihre Flüge nach Südostasien. "Es reicht schon, wenn sie hören, dass die Rolling Stones ihre Konzerte in der Region absagen."

Dichtung und Wahrheit

Die durch die Medien vermittelte subjektive Wahrnehmung und die reale Gefahr für die Menschen klaffen häufig weit auseinander. Für BSE interessiert sich heute kaum noch jemand. Dabei sind, seitdem dieses Thema aus den Schlagzeilen verschwunden ist, mehr Fälle aufgetreten als zuvor. "Die Gesellschaft ist anfällig für Hysterien", schreibt die Medizinerin Gina Kolata in ihrer Untersuchung über die öffentliche Wahrnehmung der Grippe, "für die Hysterie grenzenloser Hoffnung ebenso wie für die Hysterie grenzenloser Verzweiflung."

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