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Politik

Wohlfühlen mit Olaf Scholz

12. Juli 2022

Olaf Scholz sucht das Gespräch mit den Bürgern. Zum Auftakt kam er an die Ostsee. Bei herrlichem Sommerwetter wurde dem Kanzler nicht viel abverlangt. Denn Kritik kam nur von Ferne. Aus Lübeck Sabine Kinkartz.

Olaf Scholz mit Mikrofon und nach vorne ausgestrecktem Zeigefinger
Bestens gelaunt, kaum gefordert: Bundeskanzler Olaf ScholzBild: Christian Charisius/dpa/picture alliance

Als Olaf Scholz um kurz vor 18 Uhr die Strandbar auf der Nördlichen Wallhalbinsel in Lübeck betritt, haben die 155 Bürgerinnen und Bürger, die ihn dort erwarten, schon allerhand hinter sich. In der heißen Nachmittagssonne haben sie auf den im Sand aufgestellten Bänken gesessen, ihre Fragen geprobt, ausprobiert, wie es ist, in ein Mikrofon zu sprechen und darüber abgestimmt, ob man seine Frage im Stehen oder im Sitzen stellen sollte. "Aufwärmen" hat das die Moderatorin genannt, eine versierte norddeutsche Radiojournalistin, die viel gute Laune mit an die Ostsee gebracht hat.

"Das ist hier doch ein bisschen wie Urlaub, oder?", hat sie mit Blick auf den Sand, die Strandkörbe und die eingetopften Palmen fröhlich gerufen, um die Stimmung zu lockern. "Sie dürfen den Bundeskanzler alles fragen, was ihnen auf dem Herzen liegt und Sie dürfen, wenn Sie mit der Antwort nicht zufrieden sind, auch nochmal nachfragen." Schließlich sei man in der Runde, um miteinander ins Gespräch zu kommen.

Die Regierung hat an Zuspruch eingebüßt

Kanzler-Gespräch heißt das Format, mit dem Olaf Scholz in den nächsten Monaten in jedem Bundesland den Dialog suchen und sich "über Probleme und Sorgen austauschen will", wie er zu Beginn der auf 90 Minuten angesetzten Runde sagt. Der Krieg in der Ukraine, explodierende Energiepreise, die Frage, ob Russland den Deutschen den Gashahn abdreht - an schwerwiegenden Themen mangelt es derzeit wahrlich nicht und die Regierung stimmt die Bürger seit Wochen auf noch schlechtere Zeiten ein.

Seit ihrem Amtsantritt im Dezember hat die Ampel-Regierung aus SPD, Grünen und FDP viel Zuspruch verloren. Der Sozialdemokrat Scholz musste sich viel Kritik anhören. Im In- und Ausland wurde ihm vorgeworfen, die Ukraine nicht ausreichend zu unterstützen und Waffenlieferungen immer wieder herausgezögert zu haben. Dazu kommt Kritik an seiner Kommunikation. Der 64-Jährige ist ein introvertierter Mensch, wirkt oft arrogant und empathielos.

In Lübeck gibt es viel Zuspruch

Doch in der Strandbar sind die meisten Olaf Scholz wohlgesonnen und freuen sich über die Gelegenheit, den Bundeskanzler aus nächster Nähe zu erleben. Ob er überhaupt noch ruhig schlafen könne angesichts der ganzen Kritik "der Neunmalklugen aus den Medien und der Besserwisser aus der Opposition", will ein älterer Herr wissen, der gerade seinen 81. Geburtstag gefeiert hat. "Sie wirken wie ein Fels in der Brandung. Woher nehmen sie den Mut, die Kraft und die Zeit, so einen Veranstaltungsmarathon auf sich zu nehmen? Das verdient unsere Bewunderung, herzlichen Dank."

Kanzler Olaf Scholz schlug in Lübeck Wohlwollen entgegen Bild: Sabine Kinkartz/DW

Olaf Scholz lächelt freundlich und gratuliert zum Geburtstag: "Wenn ich mit 81 noch so aussehe wie Sie, habe ich alles richtig gemacht." Es gehe ihm nicht um Umfragen und auch nicht darum, was am nächsten Tag in der Zeitung stehe, sagt der Kanzler. Dann spult er routiniert ab, was er schon so oft zum Umgang Deutschlands mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine gesagt hat. Spricht von "ernsten Zeiten", in denen man nichts falsch machen dürfe: "Trial and Error", also Versuch und Irrtum, bis man den richtigen Weg findet, könne es nicht geben. "Ein Fehler in dieser Situation wäre ja furchtbar." Weswegen sich Deutschland stets eng mit seinen Freunden und Verbündeten berate und keine Alleingänge mache.

Trommeln gegen Scholz

Jenseits der polizeilich abgesicherten Strandbar hat sich ein kleiner Protestzug formiert. Mit Trommeln und lauten Rufen versuchen die Demonstranten, die Runde auf der Halbinsel zu stören. "Scholz muss weg", skandieren die Rufer und "Lügner, Lügner." Doch der Kanzler lässt sich weder von den Demonstranten beirren, noch von den wenigen kritischen Fragen. 

Etwa 150 Menschen sind zum Kanzlergespräch in Lübeck gekommenBild: Sabine Kinkartz/DW

Außenpolitik ist nur am Rand ein Thema, meistens geht es um innenpolitische Fragen. Eine Krankenpflegerin konfrontiert Scholz damit, dass sie ihren Beruf wegen der schlechten Arbeitsbedingungen aufgegeben habe, und fragt, wann sich die Situation endlich ändern werde. Der Kanzler stimmt zu, dass die Lage in der Pflege "dramatisch" sei. "Wir dürfen nicht nur Beifall spenden." Was angedacht sei, gehe zu langsam, die angestrebte Verbesserung sei eine "große, langfristige Aufgabe".

Wenig Konkretes und nichts Neues

Ob Fachkräftemangel, Sicherheit der Renten, Inflation oder Unpünktlichkeit der Bahn: Scholz antwortet zwar meistens so, dass seine Botschaften leicht verständlich sind, aber inhaltlich bleibt er vage. Die Regierung habe bereits viel auf den Weg gebracht, über vieles müsse man weiter reden, manches neu bewerten. 

Mehrfach geht es in den Fragen um den sozialen Frieden im Land, den auch in Lübeck viele in Gefahr sehen. "Es kann nicht sein, dass Menschen, die acht Stunden am Tag arbeiten, von ihrer Hände Arbeit nicht leben können", sagt ein 62-Jähriger. Scholz verweist auf den Mindestlohn, der ab Oktober auf zwölf Euro erhöht werden soll. "Das wird für sechs Millionen Bürger eine große Lohnerhöhung sein." Es sei ihm immer darum gegangen, dass diejenigen, die arbeiten, "besser zurechtkommen". Um die Preissteigerungen abzufedern, habe die Regierung für finanzielle Entlastung gesorgt, jetzt müsse man solidarisch sein und zusammenstehen.

Selfie mit dem Kanzler

Als "angesichts der momentanen Lage nicht passend und nicht zeitgemäß" kritisiert ein Unternehmer aus Lübeck die groß gefeierte Hochzeit von Bundesfinanzminister Christian Lindner am Wochenende auf der Nordsee-Insel Sylt. Darauf will sich der Kanzler, der am Samstag mitfeierte, nicht einlassen. "Das schönste im Leben ist die Liebe", sagt er. "Und wenn zwei sich finden und heiraten wollen, sollte man ihnen nicht allzu viel reinreden. Und ich glaube, das gilt auch in diesen Zeiten."

Nach 90 Minuten ist Olaf Scholz sichtlich zufrieden mit dem Verlauf seines ersten Bürgerdialogs. Zum Abschluss dürfen sich alle Gäste in einer Reihe aufstellen und einzeln oder in Gruppen mit dem Bundeskanzler fotografieren lassen. "Super, cool", sagen zwei Frauen und blicken begeistert auf ihre Handys mit den Fotos. Olaf Scholz steht geduldig und lächelnd in der warmen Abendsonne. In Lübeck ist es gut für ihn gelaufen.

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