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PolitikAsien

Bürgerkrieg in Myanmar: "Viele gegen viele"

26. April 2024

Seit dem Putsch vor vier Jahren herrscht Bürgerkrieg in Myanmar. Das Land zerfällt und die Nachbarstaaten sind in Alarmbereitschaft.

Kämpfer der ethnischen Armee KNLA patrouillieren einen zerstörtes Dorf in der Nähe der Grenzstadt Myawaddy
Kämpfer der ethnischen Armee KNLA patrouillieren einen zerstörtes Dorf in der Nähe der Grenzstadt MyawaddyBild: Athit Perawongmetha/REUTERS

Der Bürgerkrieg in Myanmar steht im vierten Jahr. Nach einer Offensive im nordöstlichen Shan-Staat vom Oktober 2023 hat die Militärregierung, der State Administrative Council (SAC), die Kontrolle über große Gebiete an der Grenze zu China verloren. Anfang April fiel die Grenzstadt Myawaddy, ein Knotenpunkt für den Warenverkehr zwischen Thailand und Myanmar, in die Hände der ethnischen Minderheit der Karen. Diese kämpfen seit Jahrzehnten gegen die Zentralregierung. Inzwischen ist das Militär zwar wieder zurück in Myawaddy, aber die Situation bleibt volatil. Im Westen, an der Grenze zu Bangladesch, setzt die Arakan Army (AA) dem Militär zu.

Das Militär ist in den Grenzregionen des Landes auf dem Rückzug und steht massiv unter Druck. Es ist nur noch in der Lage, Vergeltungsangriffe mit der Luftwaffe oder mit weitreichender Artillerie auszuführen. Doch ein Experte aus Yangon, der aus Sicherheitsgründen nicht namentlich genannt werden kann, sieht das Militär noch nicht vor einer Niederlage:  "Der Bürgerkrieg geht weiter und wird so schnell nicht enden."

Fragmentierung

Im Grunde genommen ist die aktuelle Situation Myanmars nicht völlig neu. Das heutige Myanmar, ehemals Birma, ist seit der Unabhängigkeit 1948 weder ein Staat noch eine Nation. Keiner Zentralregierung ist es je gelungen, das ganze Land zu regieren. Und noch viel weniger hat sich in dem Vielvölkerstaat jemals eine gemeinsame nationale Identität herausgebildet. Dabei wechselten sich in den letzten 76 Jahren Phasen hoher und verminderter Konfliktintensität mit entsprechender weniger oder mehr zentralstaatlicher Kontrolle ab.

Der Militärputsch vom Februar 2021 gegen die Regierung um Staatsrätin und Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi haben das Land in eine neue Phase der Fragmentierung gestürzt. Im Unterschied zu früher ist der Prozess aber heute viel augenfälliger, wie der Experte in Yangon sagt: "Früher war das Land auch fragmentiert, aber es war nicht so sichtbar. Heute sehen es die Menschen, wegen der sozialen Medien und wegen der Vernetzung." Darum werde die Frage nach dem Zerfall des Landes vermehrt diskutiert.

Flickenteppich aus bewaffneten Gruppen

Die ohnehin unübersichtliche Konfliktlandschaft Myanmars hat sich seit dem Putsch nochmal verkompliziert. Vor dem Putsch gab es in Myanmar etwa 24 bewaffnete ethnische Armeen und mehrere hundert Milizen. Die Truppenstärke der Gruppen variierte von einigen Hundert Kämpfern bis zu schätzungsweise 30.000 Kämpfern etwa der United Wa State Army (UWSA), aber auch der Arakan Army.

Seit dem Putsch sind nochmals etwa 250 bis 300 sogenannte People's Defense Forces (PDF) hinzugekommen, die insgesamt über etwa 65.000 Kämpfer verfügen sollen. Die PDFs stehen zum Teil unter Kontrolle der Gegenregierung (dem National Unity Government, NUG), agieren teilweise unabhängig und teilweise in enger Abstimmung mit der ein oder anderen ethnischen Armee. Hinzu kommt eine Vielzahl krimineller Kartelle, die im Chaos der letzten vier Jahre an Einfluss gewonnen haben und bei denen es Überschneidungen mit dem Militär, aber auch einigen ethnischen Gruppen gibt.

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Auch zwischen den ethnischen Gruppen gab und gibt es Konflikte, auch wenn zurzeit die Bekämpfung der Militärregierung im Vordergrund steht. "Der Konflikt ist nicht einfach einer gegen viele, sondern viele gegen viele. Es ist nicht nur einfach das Militär gegen den Rest", bestätigt der Experte aus Yangon.

Zerfall des Landes

Die Frage, ob das Land in der aktuellen Lage endgültig auseinanderbricht, gewinnt also an Bedeutung und wird auch bei den Vereinten Nationen und unter Diplomaten diskutiert, wie Charles Petrie, der ehemalige UN-Koordinator für Myanmar im Interview mit der DW bestätigte.

Richard Horsey, Senior Advisor der International Crisis Group und langjähriger Beobachter des Landes, hat im Gespräch mit der DW keinen Zweifel daran, dass die Fragmentierung zunehme. Er glaube aber nicht an einen totalen Zerfall mit einer massiven Ausweitung der Gewalt, wie es sie etwa in Ländern Libyen oder in Somalia gegeben hat, "weil Myanmar kein gut funktionierender, zentralisierter Staat ist, sondern schon immer auf die eine oder andere Weise zersplittert war." Das Chaos und der Zerfall betreffen seit dem Putsch vor allem das Zentrum des Landes.

 

Ein thailändischer Soldat schiebt an der Grenze zu Myanmar Wache. Thailand beobachtet die Lage im Nachbarland genauBild: Sakchai Lalit/AP/picture alliance

Ist Föderalismus ein Ausweg?

In der Vergangenheit wurde immer wieder diskutiert, wie das multiethnische Land zu einer angemessenen politischen Struktur kommen kann, in der alle ethnischen Gruppen repräsentiert sind. Das Schlagwort lautete: Föderalismus und föderale Demokratie. Deutsche Stiftungen, vor allem die Hanns-Seidl-Stiftung, waren beim Thema Föderalismus sehr aktiv. Auch jetzt gibt es Bestrebungen, eine föderale demokratische Verfassung zu schaffen. Aber der Prozess gestaltet sich schwierig. Immer wieder brechen Gruppen die Verhandlungen ab, andere haben gar nicht erst teilgenommen.

Die Nachbarländer fürchten die Auswirkungen einer weiteren Desintegration des Landes. Indien baut einen Zaun an der Grenze zu Myanmar, Thailand bereitet sich auf den Zustrom weiterer Flüchtlinge vor, China hat im April diesen Jahres Militärmanöver an der Grenze zu Myanmar abgehalten und Bangladesch wird auf absehbare Zeit die Rohingya versorgen müssen. Der Experte in Yangon stellt fest: "Die Nachbarländer befassen sich mehr mit den Folgen als mit den Ursachen der Fragmentierung."

Horsey beobachtet einen "eigennützigen und zynischen" außenpolitischen Ansatz, der alle Optionen offen hält. Die Nachbarn wissen, "dass in Myanmar fürchterliche Dinge geschehen, aber sie halten aus Eigeninteresse die Beziehungen zum Regime aufrecht."

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