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Bürgermeister für Aufnahme von Flüchtlingen

15. September 2020

Die Politik in Deutschland streitet über die Aufnahme von Flüchtlingen aus dem griechischen Lager Moria. Viele Städte wollen helfen und Migranten aufnehmen. Doch sie fühlen sich von der Politik ausgebremst.

Griechenland Lesbos | Flüchtlinge | Hilferuf
Bild: picture-alliance/dpa/P. Giannakouris

Das politische Gezerre um die Aufnahme von Migranten aus dem abgebrannten Flüchtlingslager Moria ist zum heftigen Parteienstreit geworden. Inzwischen hat sich die Regierungskoalitions aus Union und SPD auf einen ersten Schritt geeinigt:  Genau 1553 Flüchtlinge dürfen nach Deutschland. Dabei bekunden viele Städte und Gemeinden schon seit Tagen ihre Bereitschaft, in Griechenland gestrandete Menschen unterzubringen.

Dazu sei man in dieser humanitären Ausnahmesituation gut vorbereitet, hatten mehrere Stadtoberhäupter in einer Petition erklärt. Vor allem durch die Erfahrungen nach der Flüchtlingswelle 2015. Doch Teile der CDU-Spitze zeigen sich eher skeptisch, glauben nicht, dass Städte und Landkreise genügend Unterkünfte bieten können. Kanzlerin Merkel will nun selbst mit Bürgermeistern aus ganz Deutschland über das Thema sprechen und sich so ein eigenes Bild machen. 

Noch kein Anruf vom Kanzleramt

Nein, bei ihm habe sich das Kanzleramt noch nicht gemeldet, sagt der parteilose Oberbürgermeister Martin Horn aus der liberalen Universitätsstadt Freiburg in Baden-Württemberg der DW: "Aktuell liegt noch keine Meldung aus dem Kanzleramt vor. Das kann ganz gerne noch kommen." Horn ist gesprächsbereit, würde der Kanzlerin gerne erklären, warum er sich dafür einsetzt, sofort Moria-Flüchtlinge in Freiburg aufzunehmen.

Horn ist einer von 10 Oberbürgermeistern, die sich schon einen Tag nach dem Brand im Flüchtlingslager Moria in einem Brief an Kanzlerin Merkel gewandt hatten. Darin hatten die Stadtoberhäupter ihre Bereitschaft erklärt, Flüchtlinge aus dem Lager aufzunehmen, "um die humanitäre Katastrophe zu entschärfen".

Bereit für die Aufnahme von Flüchtlingen: Freiburgs Oberbürgermeister Martin HornBild: picture-alliance/dpa/P. Seeger

Oberbürgermeister Horn macht darauf aufmerksam, dass die 10 Kommunen nicht allein seien. "Wir stehen insgesamt für ein Netzwerk von über 170 Städten und Kommunen in Deutschland, die noch einmal ganz deutlich appellieren." Gemeint ist damit die Initiative "Städte Sicherer Häfen". Die 170 Mitgliedskommunen erklären sich schon seit Monaten bereit, unbürokratisch Migranten aufzunehmen.

Nach Ansicht des Deutschen Beamtenbundes (dbb) gibt es derzeit in Deutschland für Migranten zahlreiche Plätze in Aufnahmeeinrichtungen. Die meisten Flüchtlinge von 2015 wohnten mittlerweile in regulären Wohnungen oder seien nicht mehr in Deutschland.

In vielen Flüchtlingsunterkünften gibt es PLatzBild: Imago/C. Mang

Platz in der Erstaufnahme

Die Erfahrungen von 2015 hätten die Kommunen in die Lage versetzt, mit Flüchtlingsströmen besser umgehen zu können, heißt es weiter. Damals waren knapp 900.000 Asylbewerber weitgehend unkontrolliert nach Deutschland gekommen. Für das vergangene Jahr hatte das zuständige Innenministerium eine Zahl von rund 140.000 Asylanträgen genannt.

Freiburg jedenfalls, eine Stadt mit 230.000 Einwohnern, so sagt es Oberbürgermeister Horn, hätte Platz für Menschen aus Moria. "Wir haben aktuell rund 5000 Geflüchtete in unserer Stadt. Wir haben bei uns eine Erstaufnahmeeinrichtung in der Stadt. Wir haben freie Zimmer, wir haben freie Kapazitäten. Gerade jetzt können wir Leid lindern." Er wolle, so Horn im DW-Interview, ein "mutiges, klares, humanes Zeichen" für Flüchtlingsaufnahme setzen.

Nach dem Appell: Hassbotschaften

Unumstritten ist sein Engagement, sein Appell an die Kanzlerin, aber auch im liberalen Freiburg nicht. Seit der Appell bekannt geworden sei, empfange er jede Menge Hass- und Hetzbotschaften, sagt Horn. "Man wirft mir vor, dass mit so einem Appell, selbst wenn wir nur 20, 30, 40, 50 Geflüchtete mehr aufnehmen würden oder 100, dass dann weitere Vergewaltiger, Mörder, Räuber, Gesindel, schlechte Menschen nach Freiburg kommen würden." Die meisten dieser Kommentare würden Bezug nehmen auf zwei "furchtbare Verbrechen, die Freiburg erleben musste". Den Mord an einer Studentin und eine Gruppenvergewaltigung. "Beides Mal überwiegend von Menschen mit Migrationshintergrund ausgeübt", erläutert der junge Oberbürgermeister.

Auch die die Oberbürgermeisterin der rund 90.000-Einwohner Stadt Gießen in Hessen hatte den Aufruf an Bundeskanzlerin Merkel unterzeichnet. Dietlind Grabe-Bolz (SPD) ist schon mehr als ein Jahrzehnt im Amt und hat während der sogenannten "Flüchtlingskrise" viele Erfahrungen sammeln können. Sie würde Kanzler Angela Merkel deutlich machen - wenn sie denn anrufen sollte, dass ihre Stadt gut auf Migranten vorbereitet wäre. Im Interview mit der DW sagte Grabe-Bolz: "Wir meinen es ernst! Wir haben gesagt, wir können 40 Kinder und Jugendliche aufnehmen. Dafür haben wir die Hilfsstruktur. Dafür stehen hier die Wohlfahrtsverbände bereit."

Meint es ernst mit der Aufnahme von Flüchtlingen: Gießens OB Dietlind Grabe-BolzBild: Imago Images/R. Eibner

Deutschland müsse nun vorangehen, man könne nicht auf eine europäische Lösung warten, "dann können wir bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag warten", ergänzt die Oberbürgermeisterin. Die meisten Bürger hätten positiv reagiert, als sie vor einigen Tagen die Bereitschaft zur Aufnahme von Migranten signalisiert habe.

Umstrittener Vorstoß

Allerdings: Einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Yougov zufolge befürwortet nur knapp die Hälfte der Deutschen (47 Prozent) eine Aufnahme von Geflüchteten aus dem Lager Moria. 39 Prozent der Befragten lehnen eine Aufnahme dagegen ab.

Die Initiative der Bürgermeister und Bürgermeisterinnen war auch unter Verbandsvertretern auf ein geteiltes Echo gestoßen. So hatte Städtetagspräsident Burkhard Jung, der Mitglied der SPD ist, für eine mutige Soforthilfe plädiert, als Zeichen der Menschlichkeit. "Die Debatte um eine faire Verteilung von Flüchtlingen innerhalb der EU muss jedoch unbedingt weitergeführt werden", hatte Jung der Nachrichtenagentur dpa gesagt.

Zuständigkeit Innenminister

Dem hält der Präsident des Deutschen Landkreistages, Reinhard Sager (CDU) entgegen, er halte nichts von "Alleingängen" der Kommunen. Das, so Sager, "birgt auch vermeidbares Konfliktpotential nach innen". Außerdem seien die Kommunen gar nicht zuständig, "das entscheidet der Bund". Er allein sei für das Asylrecht zuständig.

Tatsächlich hat Innenminister Horst Seehofer (CSU)- etwas vereinfacht gesagt - das letzte Wort. Er trägt die Verantwortung für die Einhaltung des EU-Asylrechts; er muss die Genehmigungen erteilen. Und solche Genehmigungen können auch schon einmal Jahre dauern.

Immerhin: Die Oberbürgermeisterin von Gießen wertet es als positives Zeichen, dass nun gut 1500 Menschen aus Griechenland aufgenommen werden: "Es ist wenigstens Bewegung in die Sache gekommen", sagt Dietlind Grabe-Bolz. "Aber ich glaube, insgesamt könnten wir noch mehr Flüchtlinge aufnehmen."