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100 Jahre nach der Schlacht von Verdun

Andreas Noll20. Februar 2016

Vor 100 Jahren wurde Verdun zum Symbol für die Sinnlosigkeit des Krieges. An einen Wiederaufbau der zerstörten Dörfer war nicht zu denken. Nur die Bürgermeister sind geblieben. Andreas Noll, Fleury-devant-Douaumont.

Frankreich Soldatenfriedhof Douaumont bei Verdun
Bild: picture-alliance/dpa

Jean-Pierre Laparra hat es eilig. Bevor es dunkel wird, will der Bürgermeister den Besuchern noch einen besonderen Ort zeigen. Der 63-Jährige rückt seine schwarze Mütze zurecht und stapft los. Es sind nur ein paar Meter, dann bleibt der freundliche alte Herr an einem schmalen Weg stehen. "Hier haben wir im vergangenen Jahr den bayerischen Soldaten gefunden." Laparra deutet auf ein unscheinbares Stück Erde. "Noch haben wir keine Erinnerungsplakette installiert, aber das wird noch kommen."

Zuständig für ein Dorf, das nicht mehr existiert - der Bürgermeister von Fleury-devant-DouaumontBild: DW/A. Noll

Andere Bürgermeister in Frankreich mögen als Standesbeamte Ehen schließen, sich im Stadtrat für Schulen und den Bau von Umgehungsstraßen stark machen – Jean-Pierre Laparra muss die Exhumierung toter Soldaten organisieren, wenn der Waldboden sie wieder einmal preisgibt. Lebende Bewohner gibt es in Fleury-devant-Douaumont nicht mehr – das Dorf ist nur noch eine leere Hülle. Vor 100 Jahren ist das Leben hier erloschen. Fleury liegt in der sogenannten Roten Zone, dem einstigen Hauptkampfgebiet von Verdun, wo damals eine der blutigsten Schlachten der Weltgeschichte ausbrach.

Angriff auf eines der letzten Bollwerke gegen Deutschland

Als die deutschen Soldaten am Morgen des 21. Februar 1916 aus mehr als 1200 Kanonen mit dem Sperrfeuer auf die Franzosen begannen, flohen auch die Bewohner von Fleury. Sie wussten, was der deutsche Angriff für das Dorf bedeuten würde. Die mörderische Schlacht, die die beteiligten Soldaten als "Blutpumpe" oder "Knochenmühle" erlebten, wurde zum mythischen Ereignis. Eine Million Granaten fielen allein am ersten Tag auf die französischen Verteidiger, die unter schwersten Verlusten die Verteidigung organisierten. Als die Deutschen im Juni 1916 dann Fleury erreichten, hatten sie von 15 Kilometern Luftlinie bis Verdun elf überwunden. Viel weiter als bis zu dem 450-Einwohner-Dorf würden sie in diesem Krieg aber nicht kommen.

Mörderische Schlacht: 700.000 Opfer forderten die Kämpfe um VerdunBild: picture-alliance/AP Photo

Insgesamt 16 mal wechselte das Dorf im Verlauf der Kämpfe den Besitzer – am Ende haben die Granaten beider Seiten sämtliche Gebäude pulverisiert und das Dorf in eine Schlammwüste verwandelt. "Das ist das einzige Dorf, von dem wirklich nichts übriggeblieben ist", sagt Jean-Pierre Laparra heute. An einen Wiederaufbau nach dem Krieg war nicht zu denken, zu viele tote Soldaten liegen bis heute noch im Boden - und zuviel Munition. Einen Bürgermeister allerdings, entschied der französische Staat unmittelbar nach dem Krieg, brauchen Fleury und die anderen zerstörten Dörfer auf den Höhen um Verdun trotzdem. "Um die Seele der Dörfer zu bewahren", erklärt Laparras, der wie seine Vorgänger vom Präfekten ernannt wurde. Seine Vorgänger machten sich auf die Suche nach den früheren Bewohnern, kümmerten sich um Entschädigungen und errichteten Orte des Gedenkens. 1934 entstand das einzige Gebäude in Fleury: eine kleine Kapelle – dort, wo früher die Kirche stand. Die früheren Bewohner hatten es sich so gewünscht.

Bürgermeister für ein Dorf ohne Einwohner

Weil heute keine Franzosen mehr leben, die in Fleury geboren sind, muss allein der Bürgermeister das Vermächtnis des Dorfes bewahren. Fast täglich fährt der Pensionär von seinem Wohnort Verdun die acht Kilometer hinauf auf die Maashöhen. Mit seinem Budget von gut 22.000 Euro im Jahr organisiert er den Unterhalt der Wege und installiert Erinnerungsplaketten im Dorf. So können Besucher sehen, wo früher die kleine Schule stand oder wo sich die Bewohner im Bistro zum Plausch getroffen haben. Abgesehen von den schmalen Wegen, der kleinen Kapelle und einigen Mahnmalen ist Fleury so geblieben, wie der Krieg es hinterlassen hat, als die Schlacht um Verdun nach 300 Tagen und Nächten im Dezember 1916 zu Ende war. Einen Teil des Dorfes hat sich der Wald zurückgeholt, die alten Granattrichter sind aber an vielen Stellen noch zu sehen. Und immer wieder gibt der Untergrund Gebeine frei – vor drei Jahren sogar die Knochen von 27 französischen Soldaten an einzigem Fleck.

Politisches Symbol: Der französische Präsident und der deutsche Kanzler setzen 1984 in Verdun ein Zeichen der VersöhnungBild: picture-alliance / Sven Simon

Gedenken an die deutschen Opfer bekommt mehr Platz

Doch obwohl soviel blutige Vergangenheit allgegenwärtig ist, spielt die Zukunft eine besondere Rolle. Als 30-Jähriger hat Laparra tief bewegt den historischen Händedruck von Staatspräsident François Mitterrand und Bundeskanzler Helmut Kohl verfolgt. Wenn Ende Mai Angela Merkel und François Mitterrand nach Verdun kommen, wird der Bürgermeister in der ersten Reihe stehen. Das Beinhaus von Douaumont, der zentrale Gedenkort, liegt genauso auf dem Boden seiner Gemeinde wie das Mémorial de Verdun. Das neugestaltete Museum, einst im Gedenken an die französischen Veteranen gebaut, hat sich nun geöffnet. Die neue Ausstellung widmet sich den französischen Frontkämpfern genauso wie den deutschen Soldaten. "Wir haben nun beide Blicke berücksichtigt. Die Soldaten beider Seiten haben im Krieg ja auch häufig die gleichen Eindrücke vom Schlachtfeld beschrieben", so Kuratorin Edith Desrousseaux de Medrano.

Veteranen-Proteste

Doch auch 100 Jahre nach der Schlacht mit 700.000 deutschen und französischen Opfern (Tote, Verletzte und Vermisste) sind nicht alle Wunden verheilt. Bürgermeister Laparra hat das im Jahr 2014 erfahren müssen. Zusammen mit seiner deutschen Partnergemeinde hatte sich der Franzose dafür eingesetzt, dass im Beinhaus von Douaumont die erste Gedenktafel für einen deutschen Soldaten angebracht wurde. Widerstände gab es zunächst nicht. "Doch als die Tafel eingeweiht wurde, haben die Veteranen hier aus der Region protestiert. 'Warum machen Sie das?', haben einige gefragt. Die Großväter werden sich im Grabe herumdrehen."

Kreuze bis zum Horizont: Erinnerung an eine der blutigsten Schlachten der WeltgeschichteBild: DW/A. Noll

Der Bürgermeister selbst blickt optimistisch in die Zukunft. Die Beziehungen zu den Partnerstädten in Bayern und im Saarland sind eng und freundschaftlich – regelmäßig kommen deutsche Delegationen nach Fleury. Deutsche und Franzosen gedenken dann gemeinsam der Toten und feiern die Aussöhnung der einstigen Erbfeinde. Vor zwei Jahren haben sie in Fleury das Baby eines deutsch-französischen Paares symbolisch auf die Republik getauft. "Vielleicht wird der kleine Otto ja irgendwann mein Nachfolger in Fleury", sagt der Bürgermeister lächelnd, bevor er die Kraterlandschaft auf den Maas-Höhen hinter sich lässt und zurück nach Verdun fährt.

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