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KatastropheLibyen

Überschwemmungen Libyen: 20.000 Tote in Darna befürchtet

14. September 2023

In Libyen herrscht nach den schweren Überschwemmungen weiter der Ausnahmezustand. Allein in der Hafenstadt Darna werden Zehntausende von Toten befürchtet. Inzwischen kommt die internationale Hilfe in Schwung.

Mann schaut auf Schutt
Darna wurden in Teilen dem Erdboden gleich gemacht. Die Fluten haben eine Spur der Verwüstung hinterlassenBild: Esam Omran Al-Fetori/Reuters

Die Zahl der Todesopfer in den Überschwemmungsgebieten in Libyen könnte noch sehr deutlich steigen. Besonders schlimm ist die Lage in der Hafenstadt Darna. "Wir erwarten eine sehr hohe Zahl von Opfern. Ausgehend von den zerstörten Bezirken in der Stadt Darna können es 18.000 bis 20.000 Tote sein", sagte Bürgermeister Abdel-Moneim al-Gheithy dem arabischen Fernsehsender Al-Arabija. Bislang gingen Regierungsvertreter von mehr als 5300 Todesopfern in Darna aus.

Der Sturm "Daniel" hatte am Sonntag das nordafrikanische Land erfasst. Nahe Darna brachen nach starken Regenfällen zwei Dämme, ganze Viertel der 100.000 Einwohner zählenden Stadt wurden von den Flutwellen ins Meer gespült. Komplette Straßenzüge sind in meterhohem Schlamm versunken. Rettungsteams suchten in den Trümmern weiter nach Überlebenden. Doch die Hoffnung, nach der Flutkatastrophe Menschen lebend zu finden, schwindet. Videos in sozialen Medien zeigten Fahrzeugkolonnen, die Tote abtransportierten, auf anderen Aufnahmen trieben Leichen im Meer. Geborgene Opfer wurden in Leichensäcken in Massengräbern bestattet. Auch in anderen Teilen des Bürgerkriegslandes herrscht weiter der Ausnahmezustand.

Unterdessen gibt es verzweifelte Rufe nach mehr humanitärer Hilfe für die Überlebenden. Allein in Darna sind mehr als 30.000 Menschen obdachlos geworden, wie die Internationalen Organisation für Migration (IOM) auf X mitteilte. 10.000 Menschen gelten als vermisst. Die beengten Lebensbedingungen in der Stadt und der Mangel an sauberem Trinkwasser führten zu einem hohen Krankheitsrisiko, sagte Ahmed Bayram vom Libya Response Team des Norwegischen Flüchtlingsrats der Deutschen Welle (DW). "Durch die Katastrophe sind fast alle funktionierenden Wassernetze zerstört, der Strom ist ausgefallen und die wenigen Gebäude, die noch stehen, beherbergen nun eine große Anzahl von Menschen." Diese Umstände könnten zu einer raschen Ausbreitung von Krankheiten wie Cholera beitragen, so Bayram.

Internationale Hilfe läuft an

Trotz logistischer Hürden wie zerstörten Zufahrtsstraßen kommt die internationale Hilfe für die Betroffenen im Osten Libyens in Schwung. Die Vereinten Nationen haben bereits zehn Millionen Dollar (etwa 9,3 Millionen Euro) Hilfsgelder für die Überlebenden der Überflutungen zugesagt. Das deutsche Technische Hilfswerk (THW) brachte Hilfslieferungen auf den Weg. Es handelt sich nach Angaben der Organisation um 100 Zelte mit Beleuchtung, 1000 Feldbetten, 1000 Decken, 1000 Isomatten und 80 Stromgeneratoren. Zwei Flugzeuge der Bundeswehr sollen die Fracht von Wunstorf bei Hannover aus nach Libyen fliegen. Libyen hatte zuvor ein internationales Hilfeersuchen gestellt.

Mitarbeiter des Technischen Hilfswerks bereiten in Ulm Stromaggregate für den Transport nach Libyen vorBild: Stefan Puchner/dpa

Für diesen Donnerstag wird ein italienisches Marineschiff zur logistischen und medizinischen Unterstützung vor der libyschen Küste erwartet. Die EU-Kommission hatte am Mittwoch mitgeteilt, erste Hilfsgüter aus Deutschland, Rumänien und Finnland in die Überschwemmungsgebiete gesendet zu haben. Frankreich schickte rund 40 Rettungskräfte und mehrere Tonnen medizinisches Material. Großbritannien kündigte am Mittwoch ein "erstes Paket" mit Hilfsgeldern in Höhe von bis zu einer Million Pfund (rund 1,2 Millionen Euro) für Libyen an.

Ankara schickt weitere Hilfsgüter

Die Türkei war eines der ersten Länder gewesen, die auf die Katastrophe reagierten. Ankara erklärte am Mittwoch, per Schiff weitere Hilfe ins Land zu senden, so etwa zwei Feldlazarette. Auch Algerien, Katar und Tunesien sagten Unterstützung zu. Die Vereinigten Arabischen Emirate schickten zwei Flugzeuge mit 150 Tonnen Hilfsgütern. Aus Kuwait startete am Mittwoch ein Flieger mit weiteren 40 Tonnen Material.

Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen kündigte für diesen Donnerstag die Ankunft eines Notfallteams in der schwer betroffenen Stadt Darna an. Es bestehe aus Logistikern und medizinischem Personal, gab die Organisation auf der Plattform X (vormals Twitter) bekannt. Man bringe zudem Notfallausrüstung und Leichensäcke mit. 

Wachsende Kritik an Krisenmanagement

Inzwischen wächst in Libyen aber auch die Kritik am Krisenmanagement der verantwortlichen Stellen. Der Politologe Anas El Gomati warf ihnen im DW-Interview grobe Fahrlässigkeit vor, weil sie die Menschen in den Tagen und Stunden vor der Überschwemmung nicht in Sicherheit gebracht und auch keine Notfallmaßnahmen vorbereitet hätten. El Gomati: "Zwei rivalisierende Regierungen, die sich damit zufrieden geben, über die Trümmer zu herrschen, während ihre Bürger darunter liegen."

Im DW-Interview: Anas El Gomati, Gründer und Direktor der in Tripolis ansässigen Denkfabrik Sadeq Institute Bild: Peter Hudec/picture alliance/dpa

An dieser "kriminellen Nachlässigkeit" offenbare sich wieder das systematische Versagen, das Libyen schon seit einem Jahrzehnt erlebe, betonte der Gründer und Direktor der in Tripolis ansässigen Denkfabrik Sadeq Institute gegenüber der DW. Als Konsequenz daraus forderte er die Abhaltung allgemeiner Wahlen, wie sie zuletzt 2014 stattfanden. Libyen brauche nun einen "drastischen Wandel", um die jahrzehntelange Herrschaft rivalisierender, nicht gewählter Regierungen zu beenden, so El Gomati weiter.

Ähnlich äußerten sich auch die Vereinten Nationen. Mit einem funktionierenden Warnsystem und einem besseren Krisenmanagement hätte die Mehrzahl der Todesopfer vermieden werden können, erklärte die UN-Weltwetterorganisation (WMO). Wenn es in dem von jahrelangem Bürgerkrieg zerrütteten Land eine bessere Koordination gegeben hätte, dann hätten Warnungen ausgegeben und die betroffenen Gebiete evakuiert werden können, betonte WMO-Vertreter Petteri Taalas vor Journalisten in Genf. "Und wir hätten die meisten der menschlichen Opfer vermeiden können."

kle/sti (dpa, afp, rtr, DW)