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Politik

Urgestein gegen Newcomer

Daniel Derya Bellut
22. Juni 2019

Nach einer Beschwerde von Staatschef Erdogan wurde die Bürgermeisterwahl Ende März in Istanbul annulliert. Jetzt treten die beiden Kandidaten noch einmal gegeneinander an. Sie könnten nicht unterschiedlicher sein.

Bildkombo Istanbuler Bürgermeisterkandidaten Binali Yildirim und Ekrem Imamoglu
Binali Yildirim (li.) und Ekrem Imamoglu

Der türkische Präsidenten Recep Tayyip Erdogan schickte ein Großkaliber um das Bürgermeisteramt von Istanbul ins Rennen. Binali Yildirim von der islamisch-konservativen AKP gilt als religiös, kommt gebürtig aus der ostanatolischen Provinz Erzincan, baute neben seiner politischen Karriere auch ein umsatzstarkes Schifffahrtsunternehmen auf, das nun seine Kinder leiten. Yildirim ist ein Urgestein der türkischen Politik und ist neben dem Finanzminister Berat Albayrak - der zugleich Erdogans Schwiegersohn ist - der vielleicht wichtigste Weggefährte des türkischen Präsidenten. 

Schon seit den 90er Jahren verbindet die beiden AKP-Männer eine innige Freundschaft. Sie lernten sich in Erdogans Zeit als Istanbuler Bürgermeister kennen. Damals leitete der gelernte Schiffbauingenieur Yildirim den Fähren-Dienst der Stadt (IDO). Als Erdogan im Jahr 2002 mit der AKP die türkischen Parlamentswahlen gewonnen hat und etwas später auch Ministerpräsident wurde, nahm er Yildirim in seinem inneren Machtzirkel auf: Bis 2016 war er fast durchgehend Verkehrsminister der Türkei. 2016 der nächste Karriereschritt. Präsident Erdogan ernannte Yildirim zum Ministerpräsidenten. Nichts zeigte Yildirims Verbundenheit zum türkischen Präsidenten mehr, als das Verfassungsreferendums im Jahr 2017. Yildirim setzte sich im Wahlkampf stark für die Einführung eines Präsidialsystems ein, obwohl das von ihm umworbene Regierungssystem gleichzeitig die Abschaffung seines eigenen Postens als Ministerpräsident bedeutet hatte.

Auch im "zweiten" Wahlkampf um das Istanbuler Bürgermeisteramt wirbt Präsident Erdogan am 19.Juni für den AKP-Kandidaten Yildirim Bild: picture-alliance/Presidential Press Service via AP

Erdogan wollte bei den Kommunalwahlen am 31. März mit allen Mitteln die Bosporusmetropole halten, denn er weiß, wie wichtig die 15-Millionen-Stadt für sein politisches Überleben ist. Daher schickte er seinen "besten Mann". Die Regierungspartei AKP war sich so siegessicher, dass sie noch während der Stimmenauszählung überall Plakate verteilte, auf denen sich Yildirim bei der Bevölkerung für den Wahlsieg bedankte.

Imamoglu vermiest die Siegesfeier

Doch man hatte sich zu früh gefreut: Ein unterschätzter Mann stellte sich Erdogan in den Weg. Der Sozialdemokrat Ekrem Imamoglu war der türkischen Bevölkerung über Istanbul hinaus vor den Kommunalwahlen vollkommen unbekannt; nicht einmal die forschesten Experten hatten den 49-Jährigen auf dem Zettel. Doch am Ende des Wahltags lag er knapp vor Yildirim und konnte das Bürgermeisteramt antreten. Eine Beschwerde von Präsident Erdogan bei der Wahlbehörde brachte dann die Annullierung und machte die Neuwahl erforderlich.

Hier feiern die Anhänger Imamoglus noch dessen Sieg - die Freude währte nur kurzBild: Getty Images/AFP/Y. Akgul

Imamoglu war fünf Jahre lang Bürgermeister des Istanbuler Stadtteils Beylikdüzü im Osten Istanbuls. Der Vater von drei Kindern kommt aus Trabzon, eine konservative Stadt am Schwarzen Meer. Er wuchs in einer Unternehmerfamilie auf, die eine mittelständige Baufirma besitzt. 

Imamoglu: Bekennender Kemalist

Imamoglu gilt als liberal und progressiv, betont im Wahlkampf gerne, dass er sich in der "kemalistischen Tradition" sieht. Werte wie Demokratie, Fortschritt, Laizismus und Gleichheit, die sich an dem Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk anlehnen, seien ihm wichtig. So machte er Furore, als er in seiner kurzen Amtszeit als Istanbuler Bürgermeister - bevor ihm die Hohe Wahlkommission den Wahlsieg nahm - in seinem Arbeitszimmer im Rathaus sofort ein Porträt des Staatsgründers anbringen ließ.

Was Imamoglu zu einem so erfolgreichen Wahlkampf verhalf, ist auch das Talent, sich volksnah zu geben. Während die meisten Vertreter der sozialdemokratischen Partei CHP oft als elitär und verkopft wahrgenommen werden, spricht Imamoglu problemlos die Sprache des Volkes. Gerne tritt er auf den Straßen Istanbuls in den Dialog mit dem "kleinen Mann" und verspricht, seine Bedürfnisse zu berücksichtigen. 

Der CHP-Kandidat erreicht verschiedene Wählergruppen

Trotz seiner progressiven Orientierung ist Imamoglu gleichzeitig konservativ-religiösen Wählern vermittelbar: Während des Wahlkampfes im März, der mit dem Fastenmonat zusammenfiel, punktete er bei dieser Schicht. Denn auch er zelebrierte das muslimische Ritual, zeigte sich beim Fastenbrechen mit Istanbuler Familien - gelegentlich zitierte er dabei Koransuren.

Die beiden Kandidaten während des einzigen TV-DuellsBild: picture-alliance/AA

Für Viele ist Imamoglu auch eine Symbolfigur der Versöhnung. Beim TV-Duell mit seinem Gegenkandidaten Yildirim betonte er, dass er zunächst die Polarisierung beenden wolle, um wieder zu einem Miteinander von allen Türken zurückzukehren wolle. Das ist Balsam auf der Seele vieler Türken. Sie mögen es, dass Imamoglu besonnen und freundlich auftritt. 

Trotz der überraschenden Wahlwiederholung und somit des bitteren Verlustes des Bürgermeisterpostens drängt Imamoglu weiterhin unermüdlich auf den Wahlsieg. Die Chancen des Aufsteigers stehen gut. Umfragen sehen ihn vor dem Gegenkandidaten Binali Yildirim - bis zu sechs Prozentpunkte könnte der Vorsprung am 23. Juni betragen, heißt es. Wenn es Imamoglu gelingen sollte, sich durchzusetzen, dann hätte diese Personalie, so malen es sich viele Türken aus, eine gesamttürkische Dimension. Es wird ihm viel zugetraut. Viele Istanbuler vergleichen ihn sogar mit dem türkischen Präsidenten Erdogan. Auch er verkörperte am Anfang seiner Karriere den Wandel, wurde nach hartem Kampf Bürgermeister von Istanbul und stellte aus dieser Position heraus die Weichen für die Eroberung der gesamten Republik.

Neuwahlen in Istanbul

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