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Politik

Bürgerrat definiert Deutschlands Rolle in der Welt

Wolfgang Dick
22. Februar 2021

Welche Außenpolitik könnte Deutschlands Rolle in der Welt gerecht werden? Dazu haben fast zwei Monate lang nicht Politiker, sondern 154 zufällig ausgeloste Bürger beraten und ihre Empfehlungen formuliert.

Bürgerrat „Deutschlands Rolle in der Welt“, Diskussion 2021
Bild: Mehr Demokratie e.V.

Um jedes Wort wird gerungen: "Wollen wir wirklich am Satzanfang ´Vorbild´ schreiben oder unterstreicht das wieder zu sehr einen Führungsanspruch?" fragt eine Teilnehmerin. Die Mehrheit möchte während der intensiven Diskussionen über Deutschlands Auftritt in der Welt lieber von Zurückhaltung, Verantwortung, Transparenz, Respekt, Rücksichtnahme und Großzügigkeit sprechen und dies in den Vordergrund stellen. "Lass uns das mit dem Wort ´Vorbild´ einfach etwas abschwächen und ans Satzende stellen", lautet ein Vorschlag im Bürgerrat, der wegen der Pandemie digital per Videokonferenz im Internet tagt. Moderatorinnen und Moderatoren vermitteln.

Schließlich lautet die Empfehlung: "Wenn wir (…) innovativ und inspirierend im eigenen Land vorgehen, selbstkritisch voneinander lernen und konsequent handeln, können wir für andere zum Vorbild werden."

Das Verhalten im Inland und das Bemühen, erst einmal den eigenen Ansprüchen gerecht zu werden, soll das Auftreten Deutschlands im Ausland bestimmen. Einen "Lehrmeister" benötige niemand in der Welt, aber wohl ein Vorbild. 

"Wo bleibt denn das Wort Demokratie bei den Werten?" wird in der Videokonferenz gefragt. Die sei doch im Wort "Rechtsstaatlichkeit" bereits enthalten, wird sofort entgegnet und die beschlossene Empfehlung liest sich am Schluss so, damit auch zukünftige Generationen selbstbestimmt und gut leben können:

"Dazu setzen wir uns global für Nachhaltigkeit, Klimaschutz, die Wahrung der Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, Frieden und Sicherheit ein." Die Verpflichtung zur Nachhaltigkeit soll - bevor man auf andere Länder zugeht - in Deutschland im Grundgesetz verankert werden. Nur einige der insgesamt 32 Empfehlungen.

Die Bürgerratssitzung lief komplett digital abBild: Mehr Demokratie e.V.

Wie es zum Bürgerrat kam

"Deutschlands Rolle in der Welt" - zu diesem Thema wünschten sich 2020 die Fraktionen im Bundestag Ideen und Anregungen von Bürgerinnen und Bürgern. Ein Auslöser für diesen Wunsch: die gestiegenen Erwartungen vieler Länder an Deutschland, beispielsweise aus den USA.  

Klar war von Anfang an: Für das komplexe Thema benötigt ein Bürgerrat gute Beratung. So erhielten die Bürger für alle wichtigen Fragen zuerst einmal umfangreiche Informationen aus einem Kreis von über 40 Fachleuten. Die gaben sich sehr viel Mühe, viele Fakten mit Pro- und Contra-Argumenten verständlich zu erklären, um Grundlagen für Entscheidungen der Bürger zu schaffen.

Imme Scholz, stellvertretende Direktorin des deutschen Institutes für Entwicklungspolitik, war als eine der beratenden Expertinnen dabei und hatte den Eindruck, dass die Teilnehmenden mit dem Thema Außenpolitik nicht überfordert waren. "Die Bürger sind oft weiter, als es ihnen die Politik zutraut."  Teilnehmer bestätigen ihren Eindruck. "Kann ich da überhaupt mitreden?" hatte sich Daniel Betz gefragt, als er die Einladung zum Bürgerrat erhielt. Aber schon nach wenigen Sitzungen erzählt er: "Es ist toll die Informationen aufzusaugen und sich eigene Gedanken  machen zu können". 

Daniel Betz stellte wie viele Teilnehmer seiner Generation kritische FragenBild: Tom Jonas

Unterstützung auf breiter Front

Die Initiative, Bürgerräte als ergänzendes Gremium zu Berufspolitikern zu etablieren, hat der Verein "Mehr Demokratie" ergriffen und fand in Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble einen interessierten Unterstützer. "Ich bin wirklich gespannt auf das, was uns aus dem Bürgerrat an Anregungen auf den Weg gegeben wird", erklärte Schäuble zum Auftakt der Veranstaltung. Jetzt bekommt er auch zu lesen, dass Deutschland in der Welt viel verstärkter und selbstbewusster für seine Werte eintreten solle. Vor allem gegenüber Autokraten sollten Verstöße gegen Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit deutlicher angesprochen werden, fordern mehrheitlich die Teilnehmenden des Bürgerrates. Sie haben vor allem die Türkei und China im Blick.

Gab der jungen Generation eine Stimme: Elisabeth Grützmacher Bild: Privat

"Wir wollten einfach mal mutiger sein, ohne zuviel über den Alltag der Politik mit vielen Sachzwängen und Rücksichtnahmen nachzudenken", fasst Elisabeth Grützmacher ihren Ansatz und den ihrer Mitstreiter zusammen. Die 17-jährige Abiturientin gehört zu den Bürgerinnen und Bürgern, die bundesweit aus allen Regionen so ausgelost wurden, dass sie in allen Altersgruppen mit ihren Lebensläufen und Lebensumständen den Bevölkerungsdurchschnitt gut repräsentieren. "Das war eine spannende Erfahrung. Wir haben uns die Arbeit auch nicht leicht gemacht", erklärt Daniel Betz, 52, Klinikfachberater. Und Charlotte Volkert, 35, Familienhelferin, ergänzt: "Wir wollten einfach einmal Anstöße geben, die Dinge anders anzugehen - auch mit mehr Haltung".

Mehr Geld in die Verteidigung?

Von Deutschland wird zum Beispiel aus den USA erwartet,dass zwei Prozent des Bruttoinlandproduktes in den Verteidigungsetat investiert werden. An dieser Zusage müsse Deutschland schon festhalten, meinen die einen. Allerdings war im Bürgerrat aber dagegen gehalten worden, man könne hier vielleicht sinnvoller investieren. Die Institution der Vereinten Nationen wäre doch chronisch unterfinanziert. Die UN könne man doch solidarisch noch gezielter stärken und sich den Finanzbeitrag dann anrechnen lassen. Das möchte der Bürgerrat empfehlen.

Etliche Vorträge des Bürgerrats-Expertenkreises gingen als Livestream ins NetzBild: Mehr Demokratie e.V.

Der Vorschlag, Deutschland in Zukunft möglicherweise ganz ohne Streitkräfte als rein zivilen Sicherheitsakteur zu positionieren, erschien nach einem Vortrag als verlockende Aussicht. Die Befürworter hatten noch einmal Fakten verglichen und Studien betrachtet, die zeigten, welche Anzahl an militärischen Einsätzen gegenüber der Anzahl an humanitären Engagements weltweit den größeren Friedenserfolg gebracht hatte. Nach der Studie lagen die humanitären Einsätze vorne. Trotzdem stieß die rein antimilitaristische Haltung im Bürgerrat auf sehr starke Bedenken: Man dürfe auch nicht naiv sein, nicht alle Konflikte ließen sich friedvoll lösen. Der Bürgerrat empfiehlt jetzt im Zuge einer Spezialisierung der Truppe nicht eine quantitativ, sondern eine qualitativ bessere Ausrüstung. Außerdem wird vorgeschlagen, die sozialen Stärken der Bundeswehr auszubauen. Die Kultur des jeweiligen Landes eines Bundeswehreinsatzes soll noch mehr respektiert und auf autonome Waffen wie etwa Drohnen ganz verzichtet werden.

Auch wenn es nicht immer einfach war - alle Teilnehmenden waren bemüht, zu Ergebnissen zu kommen, die eine Mehrheit mittragen konnte. Das bedeutete immer wieder Kompromisse zu schließen. "Die Gespräche der Bürgerinnen und Bürger waren von einem sachlichen und sehr respektvollen Ton geprägt", schildert Expertin Imme Scholz ihren Eindruck von den Gesprächsrunden. Elisabeth Grützmacher bringt es auf den Punkt:  "Wir haben wirklich Demokratie geschmeckt".

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