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Politik

Bürgertest-Abrechnung außer Kontrolle

29. Mai 2021

Viel und schnell testen, lautet die Devise im Kampf gegen Corona. Überall in Deutschland entstanden Bürgertest-Zentren. Die Staatsanwaltschaft geht Hinweisen auf massiven Abrechnungsbetrug nach.

Deutschland | COVID-19 Antigen-Schnelltests
"Goldgrube" Antigen-Schnelltests: Wird weniger getestet als abgerechnet?Bild: Hannibal Hanschke/Reuters

Die Schwerpunkt-Staatsanwaltschaft Wirtschaftskriminalität in Bochum hat Ermittlungen aufgenommen wegen des Verdachts des Abrechnungsbetruges bei Corona-Bürgertests. Im Visier stehen Verantwortliche eines Unternehmens, das an mehreren Standorten Teststellen betreibt. Im Ruhrgebiet wurden bereits Geschäftsräume und Privatwohnungen durchsucht, wie die Staatsanwaltschaft mitteilte. Dabei seien auch Unterlagen beschlagnahmt worden. Den Namen des Unternehmens wollte die Behörde nicht nennen.

Anlass der Ermittlungen waren gemeinsame Recherchen des Westdeutschen Rundfunks (WDR), des Norddeutschen Rundfunks (NDR) und der "Süddeutschen Zeitung" (SZ). Nach ihren Informationen lädt das Abrechnungssystem für die Bürgertests zum Betrug ein, da eine Kontrolle fehlt. Stichproben hätten etwa an einer einzigen Teststelle in Köln ergeben, dass statt 70 wirklich genommener Proben fast 1000 abgerechnet worden seien.

"Kostenlos & so oft sie möchten": Einfallstor für AbrechnungsbetrugBild: Christoph Schmidt/dpa/picture alliance

Die Testzentren erhalten 18 Euro pro Test. Verteilt wird das Geld über die Kassenärztlichen Vereinigungen, die es wiederum aus Steuermitteln erstattet bekommen. Dafür mussten die Betreiber laut WDR, NDR und SZ bisher nicht einmal nachweisen, dass sie überhaupt Antigen-Schnelltests gekauft haben. Es genügte, wenn sie die Zahl der Getesteten ohne jeglichen Beleg übermittelten.

SPD attackiert Spahn

Die Regierungspartei SPD erhob schwere Vorwürfe gegen Bundesgesundheitsminister Jens Spahn vom Koalitionspartner CDU. "Nach den Masken jetzt die Schnelltests. Das Managementversagen im Gesundheitsministerium hat inakzeptable Ausmaße angenommen", sagte der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Carsten Schneider. Spahn habe Warnungen und Hinweise von Abgeordneten ignoriert. "Er trägt die Verantwortung für den verantwortungsvollen Umgang mit dem Geld der Steuerzahler und muss die Selbstbedienung unverzüglich beenden."

Steht in der Kritik: Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (Archiv)Bild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Spahns Ministerium verwies auf die Kontrollzuständigkeit der Bundesländer und örtlichen Behörden: "Wir haben ja ausdrücklich eine Zulassung der Testzentren durch die Behörden vor Ort vorgesehen." Die Länder und die Kassenärztlichen Vereinigungen hätten Kontrollmöglichkeiten. "Wenn einzelne Akteure diese scheinbar kriminell unterlaufen, ist das nicht akzeptabel", betonte ein Sprecher. Und er fügte hinzu: Nachdem die Marktpreise mittlerweile gesunken seien, sei auch eine Absenkung der Vergütung geplant. "Bei der Gelegenheit werden wir auch stärkere Kontrollmechanismen prüfen."

Spahn setzt auf schärfere Kontrollen

Spahn selbst kündigte inzwischen schärfere Kontrollen an. "Wo es nötig ist, schärfen wir nach", schrieb der Minister auf Twitter. Es werde nun "stichprobenartig mehr Kontrollen geben." Und er unterstrich: "Egal ob bei Masken oder beim Testen - jeder, der die Pandemie nutzt, um sich kriminell zu bereichern, sollte sich schämen."

Spahn begrüßte es, dass Staatsanwaltschaften in den bislang bekannt gewordenen Fällen Ermittlungen eingeleitet hätten. Der CDU-Politiker verwies darauf, dass es bei der Einrichtung der Teststellen wegen der Infektionslage schnell gehen musste - dies dürfe aber keinen Anreiz für Betrügereien liefern. "Pragmatismus ist in dieser Zeit notwendig", schrieb er. "Wer das aber ausnutzt, darf nicht davonkommen."

Wegen der möglichen Betrugsfälle ermittelt unterdessen neben der Staatsanwaltschaft in Bochum auch die Staatsanwaltschaft Lübeck. Unionsfraktionsvize Thorsten Frei bezeichnete die Ermittlungen als "gutes Signal". "Denn wenn solcher Abrechnungsbetrug tatsächlich vorläge, wären es am Ende die Steuerzahler, die geprellt würden", erklärte er.

wa/jj/kle (dpa, afp)

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