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Baerbock in Zentralasien: Werte und Wirtschaft

3. November 2022

Drei Tage war Außenministerin Baerbock in Zentralasien und erstmals nahm sie eine Wirtschaftsdelegation mit. Die Reise sollte zeigen, dass werteorientierte Außenpolitik und Wirtschaftsinteressen zusammen passen.

Kasachstan Gedenkstätte ALZHIR | Besuch Außenministerin Baerbock
Außenministerin Baerbock zu Besuch in der Gedenkstätte Alzhir in AstanaBild: Florian Gaertner/photothek/IMAGO

Eine Stunde von Astana, der Hauptstadt Kasachstans, entfernt, mitten in einer inzwischen besiedelten Steppe, stehen ein Viehwagon und eine Baracke - es sind Reste eines Frauenlagers aus der stalinistischen Zeit. Zwischen 1937 und 1953 wurden dort rund 18.000 Frauen unschuldig inhaftiert. Viele hatten Kinder, die ihnen entzogen und dann unter falschem Namen in weit entfernte Kinderheime verschleppt wurden.

Rund 80 Jahre später kommt die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock an den Ort des ehemaligen Gulags und zieht eine Parallele zur Gegenwart: zu Frauen in der Ukraine, die vergewaltigt oder deren Kinder nach Russland verschleppt werden. "Die Kriegsmethoden haben sich nicht verändert. Frauen werden gequält, vergewaltigt, ihnen werden Kinder geraubt, das Böse wirkt in vielen Abstufungen bis heute", sagt sie.

Menschenrechte und Wirtschaft

Drei Tage lang reiste Baerbock durch Kasachstan und Usbekistan. Der Krieg in der Ukraine und seine Folgen waren die eigentlichen Themen von Baerbocks Besuch in Zentralasien. Auch dort löst der Krieg Unruhe aus, da die Abhängigkeit von Russland besonders groß ist. Auch Deutschland führte der Krieg vor Augen, wie abhängig man wirtschaftlich von Russland ist. 

Baerbock hat auch den kasachischen Außenminister Muchtar Tileuberdi getroffenBild: Str/AFP/ Getty Images

Baerbock spricht bei ihrem Besuch in Zentralasien offen den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine an, ihre Gastgeber meiden klare Worte zur aktuellen Lage. Auch wenn Kasachstans Führung sich von Putins Kriegstreiben distanzierte, gilt dort wie im Nachbarland Usbekistan das Prinzip der "multivektoralen Außenpolitik": Punktuelle Abgrenzung von dominanten Nachbarn, aber am Ende doch keine klare Positionierung auf einer Seite.

Von Anfang ihrer Amtszeit an hat Baerbock immer wieder betont, sich einer werteorientierten und feministischen Außenpolitik verpflichtet zu fühlen. Dazu gehört auch, Menschenrechtsverletzungen und Missstände zu thematisieren.

An Wirtschaft interessiert

Die Gastgeber in Zentralasien hörten zu und nickten, doch ihr Hauptinteresse lag woanders. Sie blickten lieber nach vorne, zumal Baerbock auf ihrer 54. Auslandsreise erstmals überhaupt von einer Wirtschaftsdelegation begleitet wurde. Das machte ihren Besuch für die Regierungen in Astana und Taschkent attraktiver. Investoren aus Deutschland sind heiß begehrt, da sie für Qualität und neue Technologien in Branchen der Zukunft stehen. Für deutsche Firmen ist die Region attraktiv, weil sie schnell neue Quellen für Rohstoffe und seltene Erden erschließen müssen. In Zentralasien und in Deutschland will man derzeit vor allem eins: diversifizieren.

Auch wenn die Wirtschaft diesmal dabei war, blieb Baerbock bei ihren Schwerpunkten. Auch diesmal waren es Schulbesuche und Diskussionen in kleinen Runden - mit Schülern, mit Vertretern der Zivilgesellschaft und mit Frauen. Als sie in Samarkand ein Frauenhaus besucht, will sie von den Bewohnerinnen wissen, wie usbekische Frauen durch häusliche Gewalt betroffen sind und auf welche Hilfe sie zählen können. Und sie erzählt, dass auch in Deutschland Frauen Gewalterfahrungen in ihren Familien erleben. Wo auch immer die  Außenministerin hinkommt fragt sie: Was müsste sich ändern, damit es besser läuft - für den Staat und für die Menschen?

Vorteile durch Kooperationen

Während Baerbock für bessere Arbeitsbedingungen und Frauenrechte wirbt, macht sie klar, was Deutschland zu bieten hat. "Fair, auf Augenhöhe, ohne Knebelkredite und ohne versteckte Agenda" - so beschreibt Baerbock die Prinzipien der Zusammenarbeit und verweist darauf, dass viele Staaten auf Unterwerfung und gegenseitige Abhängigkeiten setzen. Alle verstehen, wen sie damit meint: Russland und China.

Baerbocks werteorientierte Agenda steht für die deutschen Geschäftsleute nicht im Vordergrund, doch sie empfinden sie durchaus als hilfreich. "Wenn die Ministerin offen die Werte anspricht, signalisiert sie den Rahmen, in dem wir uns bewegen wollen", so die Unternehmerin Angela Papenburg, deren Firma in Zentralasien seit Jahren agiert und inzwischen stark bei der Berufsausbildung in Usbekistan investiert. "Dort gelten die Deutschen als Vorreiter. Wer also mit ihnen kooperiert, ist auch im eigenen Land ganz vorne", sagt die Unternehmerin aus der Baubranche.

Wandel durch Handel 2.0

Baerbock versucht, die werteorientierte Diplomatie mit wirtschaftlichen Interessen zu verbinden, auch wenn sie selbst nicht weiß, wie nachhaltig das im Ausland wirkt. "Man weiß nicht, wie sich diese Länder in Zukunft entwickeln, aber sie merken jetzt, dass deutsche Politiker es ernst mit den Menschen- und Frauenrechten meinen", sagt der SPD-Politiker Andreas Larem, der als Parlamentarier die Reise begleitet.

Denn der Wandel durch Handel gehe heute nur, wenn Menschenrechte eingehalten würden, so übersetzt Baerbock den neuen deutschen Ansatz für die Gastgeber - das macht sie auch beim Besuch der größten Kupfermine auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion unweit von Taschkent. Als die Diplomatin erfährt, dass 35.000 Menschen dort arbeiten und die Mine expandiert, fragt sie nach Beteiligungen, Besitzverhältnissen und Umsätzen, nach Umweltstandards, Arbeitsbedingungen und woher die Arbeiter kämen. Was passiert mit den Dorfbewohnern, wenn die Mine wächst?

Wirtschaft und Umwelt: Baerbock besuchte auch die Almalyk-Bergbauanlage in der Nähe von TaschkentBild: Fabian Sommer/dpa/picture alliance

Jahrzehntelang hat Deutschland den Ansatz Wandel durch Handel praktiziert, gute wirtschaftliche Beziehungen zu Russland und China gepflegt - in der Hoffnung, dass sich die Autokratien der Demokratie öffnen. Dies ist nicht passiert, eher das Gegenteil ist eingetreten, deshalb gilt vielen der Ansatz als gescheitert.

Baerbock versucht derzeit einen neuen Wandel durch Handel 2.0-Ansatz, indem sie diesmal offensiv den Stellenwert der Menschenrechte für Deutschland kommuniziert und ihn auch mit europäischen Standards begründet. Ob diese Außenpolitik wirklich funktioniert? Ein schneller Erfolg ist jedenfalls noch nicht in Sicht. Denn deutsche Industrie braucht Alternativen zu China und Russland, woher sie heute viele Rohstoffe beziehen. Auch dass weiß man in Zentralasien.

Vorbildfunktion nicht zu unterschätzen

"Es geht in kleinen Schritten voran, aber wenn die deutsche Außenministerin in Zentralasien für feministische Außenpolitik wirbt, befeuert das hier jedenfalls Diskussionen", sagt die FPD-Politikerin Anikó Glogowski-Merten. Die Bundestagsabgeordnete stößt auf der Reise in Taschkent die Gründung einer deutsch-usbekischen Parlamentarierinnen-Gruppe an. Bald sollen die weiblichen Abgeordneten aus Usbekistan nach Berlin kommen, sich mit ihren deutschen Kolleginnen über die Erfahrungen als Frauen in der Politik austauschen.

"Was nicht zu unterschätzen ist, ist die Vorbildrolle, die Baerbock auf den Reisen hat, vor allem für jüngere Frauen", sagt Glogowski-Merten. "Sie verstehen, es könnte auch ihre Biografie sein."

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