Baerbock und Scholz wollen Eis in Polen brechen
9. Dezember 2021Angespannte politische Beziehungen, antideutsche Rhetorik der PiS-Regierung in Warschau und kaum Dialog - so sehen seit Jahren die Beziehungen zwischen Polen und Deutschland aus. Und das, obwohl die Ex-Kanzlerin Angela Merkel oft um versöhnliche Töne gegenüber Warschau bemüht war.
Ideologisch liegt die polnische Rechte von der neuen links-liberalen Koalition der Bundesrepublik noch weiter weg als von der früheren Berliner CDU/CSU-SPD-Regierungskoalition. Die SPD hat in den rechten Kreisen in Polen das Image einer prorussischen Partei, auch weil die umstrittene Erdgasleitung Nord Stream 2 in der Regierungszeit Gerhard Schröders (SPD) abgesegnet wurde.
Als der frischgebackene sozialdemokratische Bundeskanzler Olaf Scholz in seinem Interview mit dem Fernsehsender WELT einen Stopp von Nord Stream 2 nicht ausschloss, wurde dies deshalb von den polnischen Medien, darunter auch den PiS-nahen Portalen, sofort aufgegriffen. "Wir haben eine ganz klare Haltung. Wir wollen, dass die Grenzen von allen beachtet werden", sagte Scholz im WELT-TV auf die Frage nach der Ukraine-Krise und Nord Stream 2 - und fügte hinzu: "Jeder versteht, dass es Konsequenzen hat, wenn das nicht der Fall wäre."
Die Forderung nach einem Stopp wurde jedoch nicht explizit ausgedrückt, und in Warschau ist man davon überzeugt, dass sich die offizielle Position der Bundesregierung zur deutsch-russischen Gasleitung nicht verändert hat.
Dagegen wird die kritische Haltung der Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis90/Die Grünen) zu Nord Stream 2 in Polen hoch geschätzt. Gegen den Bau der Pipeline, die das russische Gas nach Europa transportieren soll, haben in den letzten Jahrzehnten alle polnischen Regierungen protestiert.
Bei ihrem Besuch an diesem Freitag (10.12.) in Warschau kann Baerbock sicher sein, dass dieser Dauerzankapfel zwischen Berlin und Warschau zum Thema wird. Am Sonntag kommt dann Olaf Scholz zu seinem Antrittsbesuch in die polnische Hauptstadt.
Agnieszka Lada-Konefal, Vizechefin des Polen-Instituts in Darmstadt, erwartet in der Pipeline-Frage eine zurückhaltende Haltung der beiden Politiker. "Sie werden sich sicherlich sehr vorsichtig äußern, werden sich die polnischen Positionen anhören und mit einer entscheidenden Aussage zögern. Es ist auch eine komplizierte Frage innerhalb der Regierungskoalition selbst, es gibt unterschiedliche Einstellungen zu Nord Stream 2", sagt die Politikwissenschaftlerin der DW.
Eine antideutsche Kampagne
Vor ihrer ersten Auslandsreise als Außenministerin sagte Annalena Baerbock am Donnerstag: "Bei diesen Antrittsbesuchen geht es mir vor allem darum, unseren engsten Partnern zuzuhören. Wir werden unsere Vorstellungen und Interessen nicht über die Köpfe unserer Nachbarn hinweg verfolgen, und schon gar nicht auf deren Kosten." Gerade bei kontroversen Themen komme es darauf an, sich "in die Sichtweise und Geschichte des anderen hineinzudenken".
Mit der polnischen Geschichte könnte die Grünen-Politikerin in Warschau auf eine ganz besondere Art und Weise konfrontiert werden. Auf Plakaten in der polnischen Hauptstadt werden von Deutschland Reparationen für Kriegsschäden gefordert. Die Bilder zeigen die Ex-Kanzlerin Angela Merkel, den Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier und den deutschen Botschafter in Warschau, Arndt Freytag von Loringhoven, in einer Reihe mit Adolf Hitler und Joseph Goebbels. Derartige Plakate kann man in Warschau seit einigen Jahren sehen, doch die aktuellen sind mit dem Logo des polnischen Kulturministeriums versehen und wurden von einer regierungsnahen Stiftung finanziert.
Das Ausmaß und die ständige Verstärkung der antideutschen Rhetorik seien in Deutschland unverständlich und wirkten sich negativ auf die deutsch-polnischen Beziehungen aus, sagt Lada-Konefal. "Sie wird oft mit innenpolitischen Gründen erklärt, aber jetzt hat sie bestimmte Grenzen überschritten und die Grundlagen einer Zusammenarbeit ausgehöhlt", meint sie.
Die antideutsche Rhetorik ist ein Teil der Geschichtspolitik der PiS, und die Kriegsreparationen sind dabei ein zentraler Punkt. Vor zwei Wochen wurde ein staatliches Institut für Kriegsschäden errichtet, das die Verluste Polens errechnen soll. Es sei eine "Pflicht" des polnischen Staates, diese Verluste zu beanspruchen, sagte Polens Premierminister Mateusz Morawiecki.
Vor einigen Jahren hat PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski den Wert der Reparationen, die Berlin auszahlen müsste, auf eine Billion Dollar geschätzt. Bislang hat Warschau keine offiziellen Forderungen an Berlin gerichtet. Deutsche Politiker wie zuletzt der Ex-Außenminister Heiko Maas (SPD) bei seinem Polen-Besuch im Juli erklärten mehrmals, dass die Reparationsfrage aus deutscher Sicht sowohl politisch als auch rechtlich abgeschlossen sei.
Doch die antideutsche Propaganda fällt in rechtspopulistischen Kreisen - genau wie die antieuropäischen Parolen - regelmäßig auf fruchtbaren Boden. PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski warf zuletzt der neuen Ampelkoalition in Berlin vor, sie würde ein "4. Reich errichten". Das war die Reaktion auf die im Koalitionsvertrag enthaltene Forderung nach einer Weiterentwicklung der EU zum föderalen europäischen Bundesstaat.
Gegen EU-Rechtsstaatsregelungen
Obwohl die meisten Polen überzeugte Europäer sind, betreibt die PiS-Regierung eine Politik, die sich gegen viele EU-Prinzipien richtet. Im Streit um die Rechtsstaatlichkeit laufen gegen Polen mehrere Vertragsverletzungsverfahren. In einem der Fälle wurden Polen sogar Strafen vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) auferlegt, die Warschau ignoriert.
Die Rechtsstaatlichkeit ist eines der Themen, über die Olaf Scholz mit Polens Premierminister Mateusz Morawiecki am Sonntag (12.12.) sprechen will. In einer Pressekonferenz am vergangenen Dienstag (7.12.) hat der neue Bundeskanzler vor dem Hintergrund des EU-Streits um Rechtsstaatlichkeit in Polen und Ungarn vor einer weiteren Spaltung Europas gewarnt.
In Warschau begegnet man Mahnungen und Appelle aus Europa um die Einhaltung der Rechtsstaatsprinzipien mit Misstrauen und tut sie als Einmischung in die inneren Angelegenheiten Polens ab. Im Oktober verkündete das polnische Verfassungstribunal den Vorrang des nationalen Rechts über das EU-Recht.
Zwar war während der Merkel-Ära oft auch Kritik aus Deutschland zu hören, doch die Ex-Kanzlerin galt in Warschau als Politikerin, die für Osteuropa Verständnis hat und auch in schwierigen internationalen Fragen in erster Linie nach Lösungen sucht. Bei ihrem letzten Besuch in Warschau im September sprach sie vor dem Hintergrund des Justizstreits zwischen Polen und Brüssel von einer Aufgabe der Politik, die darin bestehe, "nicht nur vor Gerichte zu gehen, sondern auch miteinander zu sprechen".
Laut der Deutschland-Expertin Lada-Konefal seien solche versöhnlichen Töne seitens der jetzigen Bundesregierung kaum zu erwarten. "Es wird weniger Nachsicht und Schweigen zu verschiedenen Themen geben, dafür mehr klare Rhetorik, auch in Sachen Rechtsstaatlichkeit", sagt sie.
Die Krise an der polnisch-belarussischen Grenze
Es gibt zwischen Deutschland und Polen auch Themen, bei denen Regierungspolitiker zumindest teilweise auf einer Wellenlänge liegen. Olaf Scholz hat Verständnis für den Umgang Polens mit Migranten im Grenzgebiet zu Belarus, wie er am Dienstag in Berlin betonte. Verantwortlich für die Lage sei Alexander Lukaschenko. Seit Monaten lässt der belarussische Machthaber Menschen aus Kriegs- und Krisenregionen nach Belarus einfliegen, um sie weiter in die EU zu schleusen.
Allerdings wird Polen für die Pushbacks an der Grenze in Richtung Belarus und für die Absperrung der Grenzgebiete heftig kritisiert. Hilfsorganisationen und Journalisten wird seit über zwei Monaten der Zugang zu den Gebieten verweigert, wo oft Menschen in der Kälte in Wäldern kampieren. Es gab schon mehrere Tote.
Am Donnerstag (9.12.) drängte die neue Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) darauf, dass die EU-Grenzschutzagentur Frontex und Hilfsorganisationen Zugang zum Grenzgebiet der EU mit Belarus bekommen. Bisher hat die polnische Regierung eine Unterstützung durch Frontex abgelehnt, und zwar mit dem Argument, Polens Soldaten und Polizei seien selbst in der Lage, die Grenze zu schützen. Kritiker glauben aber, Warschau wolle vermeiden, dass die europäischen Beamten dem polnischen Grenzschutz bei Pushbacks auf die Finger schauten.
Derzeit herrscht Kälte zwischen Warschau und Berlin, es gibt viel mehr Streitpunkte als Gemeinsamkeiten. "Keine Kommunikation, keine gemeinsamen Initiativen, kein Vertrauen und keine Dialogplattform. In dieser Lage kann man nur von einem riesigen Verbesserungspotenzial sprechen", kommentiert Agnieszka Lada-Konefal.