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PolitikAsien

Bange Fragen nach Bidens Afghanistan-Beschluss

Shamil Shams Saifullah Masood
15. April 2021

Das Ziel der Taliban, der vollständige Abzug ausländischer Truppen, ist dank US-Präsident Biden in Reichweite. Was das für das Land bedeutet, ist offen.

US-Soldaten in Afghanistan
Bild: Brian Harris/Planet Pix/ZUMA/picture alliance

US-Präsident Biden hat den Abzug aller amerikanischen Truppen – derzeit noch rund 2500 Soldaten - aus Afghanistan bis zum 11. September angekündigt, den 20. Jahrestag des Terrorangriffs auf das World Trade Center und das Pentagon durch Al Kaida. Der Truppenabzug soll am 1. Mai beginnen. Dieses Datum hatte Bidens Vorgänger Trump bereits als Abschluss des US-Abzugs vorgesehen.

Die deutsche Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer sagte am Mittwoch vor einer Konferenz der NATO-Verteidigungsminister: "Wir haben immer gesagt: Wir gehen gemeinsam rein, wir gehen gemeinsam raus. Ich stehe für einen geordneten Abzug. Und deswegen gehe ich davon aus, dass wir das heute so beschließen werden." So geschah es am Mittwochabend, als NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg in Brüssel von einer  "harten Entscheidung" sprach, die Risiken beinhalte. Die Alternative wäre ein langfristiges militärisches Engagement mit "offenem Ende und potentiell zusätzlichen NATO-Truppen" gewesen.   

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg zwischen US-Außenminister Blinken (l) und US-Verteidigungsminister Austin am Mittwoch in Brüssel Bild: Johanna Geron/AFP/Getty Images

Militärische Mission beendet – wie weiter?

Bidens Entscheidung für den bedingungslosen und vollständigen Abzug aus Afghanistan hat manche Beobachter überrascht, die auf eine Kursänderung der Afghanistan-Politik unter Trumps Nachfolger gesetzt hatten. Aus deren Sicht hat Trumps Politik den militanten Islamisten in Afghanistan Auftrieb gegeben. Die Zahl der Anschläge in Afghanistan hat seit der Unterzeichnung des Abkommens zwischen den USA und den Taliban in Doha im Februar 2020 stark zugenommen. Zwar streiten die Taliban die Verantwortung für diese Anschläge ab, aber ihre Weigerung, eine landesweite Waffenruhe zu besiegeln, weckt Zweifel an ihren Beteuerungen und Absichten. 

Während Biden den militärischen Auftrag der USA in Afghanistan für beendet erklärt, kündigt die Türkei neue diplomatische Initiativen für eine Lösung des Konflikts in dem Land an. Vom 24. April bis 4. Mai will Ankara eine internationale Konferenz ausrichten, unter Beteiligung aller afghanischer Konfliktparteien. Die Taliban ließen allerdings bereits verlauten, dass sie vor dem kompletten Abzug aller ausländischen Truppen nicht teilnehmen würden.

Mohammad Shafiq Hamdam, sicherheitspolitischer Experte in Kabul, hält die Konferenz in der Türkei dennoch für bedeutsam, wie er gegenüber der DW ausführte: "(Ihr Ergebnis) wird bestimmen, wie sich der US-Truppenabzug  auf die Zukunft des Landes auswirken wird." Denn sollte es auf dem Treffen gelingen, eine nationale Regierung unter Einbeziehung von Taliban und anderen Afghanen zu formen, wäre der Schaden durch solch einen überhasteten Truppenabzug handhabbar. "Sollte die Konferenz aber scheitern und sollten die Taliban weiterhin allen Friedensbemühungen eine Absage erteilen, dann, fürchte ich, wird Afghanistan in einen offenen Bürgerkrieg stürzen."

Afghanistans Sicherheitskräfte bald auf sich allein gestelltBild: Hoshang Hashimi/AFP/Getty Images

Regierungstruppen in prekärer Lage

Die USA beenden ihr militärische Engagement in Afghanistan ungeachtet der Schwäche der afghanischen Regierungstruppen. Diese hat gerade der "Bedrohungsbericht" der US-Geheimdienste konstatiert: Demnach sind die Taliban "zuversichtlich, dass sie militärisch obsiegen können." Die Regierung in Kabul tue sich dagegen "schwer", sich gegenüber den Taliban zu behaupten.

Weiter heißt es: "Die Regierungstruppen können größeren Städten und anderen Stellungen der Regierungsseite weiterhin Schutz gewähren. Aber sie sind weiterhin in der Defensive und nur teilweise erfolgreich dabei, zurückerobertes Gebiet zu halten oder in Regionen, die sie 2020 verlassen mussten, erneut Flagge zu zeigen."

Sicherheitsexperte Shafiq Hamdam sagt ohne Umschweife: "Die afghanischen Sicherheitskräfte sind finanziell und militärisch von den USA abhängig; ohne deren Unterstützung werden sie es sehr schwer haben." Präsident Ashraf Ghani teilte per Twitter mit, die Regierungstruppen seien "vollständig in der Lage, Land und Volk zu verteidigen."

Anschläge wie die auf das Auto eines Journalisten haben in jüngster Zeit zugenommenBild: Abdul Khaliq/AP/dpa/picture alliance

"Abzug gefährlich für Afghanistan und darüber hinaus"

Raihana Azad, Abgeordnete im afghanischen Parlament, kritisiert gegenüber der DW die Entscheidung zum Abzug der US-Truppen: "Die Taliban sind stärker als je zuvor. Der IS und andere Terrorgruppen haben sich Stützpunkte in Afghanistan gesichert. Die Konsequenzen eines hastigen und unverantwortlichen Abzugs aus Afghanistan sind nicht nur für das Land, sondern auch für die Region und die Welt gefährlich."

Sorgen sind weit verbreitet, dass die während der vergangenen zwei Jahrzehnte erzielten Fortschritte, etwa bei Frauenrechten, zunichte gemacht werden könnten, wenn die Taliban weiterhin Gewalt anwenden. Ob sie sich dazu bereit erklären und dann auch dazu stehen würden, Menschenrechte und Meinungsfreiheit in Afghanistan zu achten, ist mehr als zweifelhaft.

"Die Amerikaner haben den Taliban zu viele Zugeständnisse gemacht", sagt die Abgeordnete Azad. "Das afghanische Volk wird dafür bezahlen. Die Menschen sind entmutigt und fühlen sich von der internationalen Gemeinschaft im Stich gelassen."

Es gibt aber auch die Ansicht, dass die Entscheidung zum bedingungslosen Truppenabzug die Taliban in Zugzwang gesetzt hat. "Damit haben die USA die Hauptforderung der Taliban erfüllt", sagt Assadullah Nadim, Militärexperte in Kabul. "Jetzt erwartet die internationale Gemeinschaft von den Taliban die Teilnahme am politischen Prozess. Sie haben keine Entschuldigung mehr für die Fortsetzung des Krieges."

Pakistans Außenminister Qureshi hofft auf mehr bilateralen Handel mit AfghanistanBild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Pakistans Rolle und Erwartungen

Mit dem Abzug der Amerikaner dürften sich verschiedene regionale Akteure, wie China, Russland, Indien und Pakistan, mehr Spielraum für die Wahrung ihrer Interessen in Afghanistan ausrechnen. Pakistans Außenminister Shah Mahmood Qureshi war Anfang der Woche zu Gesprächen mit seinem deutschen Amtskollegen Heiko Maas in Berlin. Gegenüber der DW sagte er: "Pakistan wird von Frieden in Afghanistan profitieren. Dadurch werden sich größere Handelsmöglichkeiten mit Kabul eröffnen, und viele angestoßene Entwicklungsprojekte können dann fertiggestellt werden."  

Pakistan betrachtet mit Misstrauen die Rolle Indiens in Afghanistan, die seit dem Einmarsch der USA 2001 stärker geworden ist. Das Abkommen zwischen Washington und den Taliban von 2020 wäre ohne die Unterstützung Pakistans nicht zustande gekommen, so die Einschätzung von Beobachtern. Demnach hat der Einfluss Pakistans viel dazu beigetragen, die Taliban an den Verhandlungstisch zu bringen. Allerdings wünscht Pakistan eine starke Stellung der Taliban in einer künftigen afghanischen Regierung und damit an seiner Westflanke. Ob dies Frieden für Afghanistan bedeutet, ist allerdings eine andere Frage.

 

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