Bangladesch: Ein Vater klagt an
20. April 2018Das Atmen bereitet Ajoy Roy Schwierigkeiten. Die angeschlagene Gesundheit fesselt ihn immer stärker an die eigenen vier Wände. "Ich bin wütend und verletzt, aber ich bin auch eine sehr geduldige Person, die einen Schock mit Würde verkraften kann", erklärt Ajoy Roy mit fester Stimme während eines langen Treffens mit der Deutschen Welle. "Manchmal kann ich die Tränen nicht zurückhalten", ergänzt er wenig später: "Ich bin ja schließlich auch sein Vater. Und wenn ich auf die Bilder meines Sohnes schaue, dann frage ich mich immer: Warum Avijit, warum nur bist du zurückgekommen?"
"Die bürgerliche Freiheit schrumpft"
Ajoy Roy ist ein renommierter Physik-Professor im Ruhestand. Er ist für seine Arbeit mit Auszeichnungen überhäuft worden. Roy gehört zur Generation der Freiheitskämpfer, die 1971 für die Unabhängigkeit Bangladeschs zur Waffe griff. Das mehrheitlich muslimische Bangladesch spaltete sich damals mit Hilfe Indiens von Pakistan ab. Seitdem ringen in Bangladesch säkulare und islamistische Kräfte um die Macht. Der Wissenschaftler steht für einen säkularen Staat, in dem die Religion Privatsache ist. Er hat sich in seiner akademischen Laufbahn immer für eine humanistische Bildung eingesetzt, die mit Hilfe der Wissenschaft nach Antworten sucht. "Ich bin stolz auf das, was ich wissenschaftlich geleistet habe", sagt Ajoy Roy. "Aber die Dinge haben sich verändert. Die bürgerliche Freiheit schrumpft und der Raum für freiheitliches Denken wird immer kleiner."
Auch sein ermordeter Sohn Avijit wählte eine wissenschaftliche Karriere. Er studierte Ingenieurwissenschaften in Dhaka, promovierte in Singapur und wanderte 2007 in die USA aus. Dort fasste er als Softwareentwickler Fuß und betrieb nebenbei den religionskritischen Blog "Mukto Mona" (Freigeist). Wie sein Vater Ajoy war auch Avijit ein Humanist und Freidenker. Doch im Gegensatz zu seinem Vater war Avijit ein Kind der Generation Internet. Einer, der die sozialen Medien nutzte, um im Zeitalter des Terrors Debatten über die Rolle des Islam anzustoßen. Ajoy veröffentliche auch mehrere Bücher, darunter 'Das Virus des Glaubens'.
Der ungelöste Mordfall
Als Avijit Roy im Februar 2015 aus den USA zurück nach Bangladesch reiste, um auf der nationalen Buchmesse in Dhaka aufzutreten, warnte ihn sein Vater eindringlich. Zu diesem Zeitpunkt waren schon mehrere religionskritische Blogger, Atheisten und Andersgläubige ermordet worden. Sein Sohn habe den Preis für seine Arglosigkeit bezahlt, sagt Ajoy Roy. Avijit habe ihn damals gefragt: "Warum sollten Fundamentalisten mich töten, ich bin doch nur ein Schriftsteller."
Nach Angaben von Augenzeugen waren Polizisten in der Nähe, als die islamistischen Attentäter den Blogger angriffen - mit Hackmessern und Macheten. Doch bis heute ist niemand verurteilt worden. Das gilt für die meisten der mindestens zehn Morde an Bloggern. Ist der Staat nicht an Aufklärung interessiert? Ajoy Roy lacht sarkastisch. "Das kann ich so direkt nicht beantworten. Entweder sind die Verantwortlichen unfähig oder untüchtig. Oder sie haben gar nicht die Absicht aufzuklären. Was soll ich anderes dazu sagen?"
Der Physiker sieht sein Land aber nicht auf dem Weg zu einem Gottesstaat. "Die Morde sind das Werk von Fundamentalisten. Das sind kleine Gruppen. Die Mehrheit der Bevölkerung zieht einen säkularen, toleranten Staat vor", versichert Ajoy Roy. Die Regierung müsse sich wieder daran erinnern, "dass unsere Verfassung einen säkularen und sozialistischen Nationalstaat festgeschrieben hat."
Der Veteran des Befreiungskrieges blättert durch alte Fotoalben. Avijit und sein jüngerer Bruder hätten von klein auf Bücher verschlungen und kritische Fragen gestellt, erzählt der stolze Vater, bevor seine Gedanken zurückkehren zur Politik: "Bangladesch wird politisch schlecht geführt. Wir haben dabei versagt, den ermordeten Bloggern Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Wenn das so weitergeht, dann wird aus Bangladesch ein anarchisches Land."
Berater der Premierministerin: Mitschuld der Blogger
Hossain Toufique Imam ist nur vier Jahre jünger als Ajoy Roy. Auch er gehört zur Generation der Freiheitskämpfer. Doch der 79-jährige Imam hat sich nach dem Befreiungskrieg für eine politische Karriere entschieden. Der politische Berater der Premierministerin wehrt sich gegen die Vorwürfe. Es gäbe in allen offenen Fällen laufende Ermittlungen, die meisten Morde an Bloggern stünden kurz vor der Aufklärung, sagt er: "Sie werden in Kürze von den Urteilen hören." Im Fall Roy existiert bis heute keine Anklageschrift.
Imam betont, dass seine Regierung keine Militanz dulde und eine Null-Toleranz-Politik gegenüber gewaltbereiten Radikalen verfolge. Gleichzeitig gibt er wie andere Minister vor ihm den Bloggern eine Mitschuld an ihrer Ermordung. Bangladesch sei ein mehrheitlich muslimisches Land mit sehr gläubigen Menschen. "Wenn du das Leben des Propheten und den Koran verzerrt kommentierst, dann reagieren die Gläubigen empört. Sie verlieren ihre innere Balance. Das haben die Blogger selber zu verantworten."
Meinungsfreiheit sei kein Freifahrtschein, die religiösen Gefühle anderer zu verletzen. Auch Imam betont den säkularen Charakter Bangladeschs, den es zu schützen gelte: "Die Feinde des Säkularismus sind die Blogger und ihre Mörder. Beides sind Extremisten. Wir müssen diese Extremisten in den Mainstream holen. Das ist die Hauptaufgabe der Politik." Die Regierung geht verstärkt auf Islamisten zu, um sie nicht an den globalen Dschihadismus zu verlieren. Außerdem sollen bald Parlamentswahlen stattfinden. Es geht der politischen Elite auch um Machterhalt.
Auf dem Dach der Koranschule der Lal Bagh Moschee im Herzen der Altstadt von Dhaka lehnt Mufti Fayezullah jede Mitverantwortung für die Morde an religionskritischen Bloggern und Publizisten ab. In einem "wahren islamischen Staat", ergänzt er, gebe es keine Morde an Bloggern. Fayezullah glaubt an eine Verschwörung von außen, die dem Islam schaden soll. Er gehört zu den bekanntesten Islamisten des Landes und steht gerne in der Öffentlichkeit.
"Für Muslime sind Allah und der Prophet das Allerwichtigste. Wenn du sie missbrauchst, fühlen wir uns angegriffen." Er befürworte keine Selbstjustiz, versichert er mehrfach: "Aber wir verlangen, dass der Staat handelt und Feinde des Islam bestraft." Dazu gehört für ihn auch die Todesstrafe. Der Mufti rief 2014 selbst zur Hinrichtung eines Ministers auf, der sich kritisch über Pilgerreisen nach Mekka geäußert hatte. Nach massiven Protesten aus Islamistenkreisen trennte sich Premierministerin Sheikh Hasina tatsächlich vom betroffenen Minister Latif Siddiqui.
Warnung vor einem "Spiel mit dem Feuer"
Sara Hossain beobachtet die Entwicklung mit Sorge. Sie gehört zu den besten Juristen des Landes und kämpft regelmäßig vor dem Obersten Gerichtshof. Ihr Vater war Vorsitzender der Kommission, die nach dem Befreiungskrieg von 1971 die säkulare Verfassung ausarbeitete. "Wir erleben heute die Bereitschaft, die Intoleranz nicht nur zu tolerieren, sondern sie zu umarmen", sagt Sara Hossain. Man fühle sich dem Säkularismus nicht mehr verpflichtet, obwohl er als Prinzip in der Präambel der Verfassung verankert sei: "Aber wir glauben nicht mehr daran, dass jeder ein Recht auf Leben, auf Freiheit und auf eine freie Meinungsäußerung hat, unabhängig von seiner Religion."
Wie viele andere Länder auch hat Bangladesch einen großen Terroranschlag im Herzen seiner Hauptstadt erlebt, der Anfang Juli 2016 weltweit für Entsetzen sorgte. Damals waren bei einem Attentat in einem beliebten Szene-Café im Diplomatenviertel 20 Zivilisten ermordet worden, darunter viele Ausländer. "Was die Welt kaum zur Kenntnis nimmt", betont Sara Hossain, "ist das sanfte Abgleiten", seien die vielen kleinen Zugeständnisse an die Forderungen der Islamisten - wie das Umsetzen der "Lady Justice" vor dem Obersten Gerichtshof. Die frisch errichtete Statue der antiken Gerechtigkeitsgöttin Justitia wurde im vergangenen Sommer vom Haupteingang des hohen Gerichts wieder entfernt, weil sich Islamisten wie Mufti Fayezullah über die "kulturelle Entartung" beklagten und gegen die "Götzenanbetung" mobil machten.
Menschenrechtsanwältin Hossain warnt vor einem "Spiel mit dem Feuer". Der schleichende Wandel in Bangladesch sei nicht so greifbar, "aber er verändert den Raum, in dem du lebst. Er verändert, wie du lebst. Er verändert, was du sagen kannst."