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Bangladesch: Sorge um freie Wahlen - Hoffnung auf EU

Arafatul Islam
4. August 2023

Im Januar kommenden Jahres sollen in Bangladesch Parlamentswahlen stattfinden. Es besteht die Gefahr, dass sie weder frei noch fair verlaufen. Kann die Europäische Union helfen, dies zu verhindern?

Szene aus einem Wahllokal in der Stadt Bogra, 2023
Wie fair sind Wahlen in Bangladesch? Szene aus einem Wahllokal in der Stadt Bogra bei Nachwahlen im Jahr 2023Bild: Partho Sarothi Das

Steine wurden geworfen, Fahrzeuge in Brand gesetzt: Vergangenes Wochenende blockierten regierungskritische Demonstranten wichtige Straßen in Dhaka, der Hauptstadt von Bangladesch. Die Polizei feuerte Gummigeschosse und Tränengas. Auch mit regierungstreuen Demonstrierenden gab es Zusammenstöße. Viele Menschen sollen verletzt worden sein. Die Polizei wurde beschuldigt, mit exzessiver Gewalt gegen die Regierungskritiker vorgegangen zu sein. Amnesty International hat die Behörden aufgerufen, nur das unbedingt nötige Minimum an Gewalt anzuwenden.

Schon vor rund zwei Wochen gab es zwei Tote und hunderte Verletzte, als zehntausende Demonstranten den Rücktritt von Premierministerin Sheikh Hasina forderten. Zu den Protesten hatten die oppositionelle Bangladesh Nationalist Party (BNP) und Dutzende ihrer Partner aufgerufen. Sie forderten, dass die kommenden Wahlen unter einer neutralen Übergangsregierung stattfinden sollen.

Sheikh Hasina regiert Bangladesch seit dem Jahr 2009. Kritiker werfen ihr Menschenrechtsverletzungen, Unterdrückung der Presse- und Meinungsfreiheit sowie die Inhaftierung von Kritikern vor. Sheikh Hasinas Partei, die Awami League, bestreitet die Vorwürfe. Forderungen nach einer neutralen Übergangsregierung lehnt sie ab.

Übermäßige Gewalt? Polizisten und Anhängern der Bangladesh Nationalist Party in Dhaka Ende JuliBild: Mohammad Ponir Hossain/REUTERS

Viele der Inhaftierten sind Anhänger der BNP, der größten Oppositionspartei im Land, unter ihnen Parteichefin Khalida Zia. Sie war von 1991 bis 1996 die erste Frau, die einer Regierung in Dhaka vorstand. Sie gilt als Erzrivalin von Sheikh Hasina und war unter deren Herrschaft zu zehn Jahren Gefängnis wegen Korruption verurteilt worden.

Die BNP spricht von einer politisch motivierten Verurteilung. Im März 2020 konnte Zia das Gefängnis verlassen, als sich ihr Gesundheitszustand verschlechterte. Bedingung war, "dass sie in ihrer Residenz in Dhaka verbleibt zur medizinmischen Behandlung und in ihrem Zustand auch nicht das Land verlässt", sagte der Justizminister von Bangladesch, Ansul Haq. Es sei nicht klar, ob sie an politischen Veranstaltungen teilnehmen könne.

Regierung steht international in der Kritik

Die Regierung steht unter Druck. Massive Kritik rief beispielsweise ein Angriff auf einen Kandidaten für eine Nachwahl zum Parlament in der Hauptstadt Dhaka hervor - dem Vernehmen nach stecken Anhänger der Regierungspartei hinter der Attacke. In einer gemeinsamen Erklärung verurteilten westliche Botschaften, darunter auch die deutsche, den Angriff.

Der Vorfall ereignete sich just zu der Zeit, als eine sechsköpfige Mission der Europäischen Union das Land besuchte, um die Voraussetzungen für eine mögliche Entsendung von EU-Wahlbeobachtern zu sondieren.

Die EU könnte ihren Einfluss spielen lassen

Die EU könne Beobachter entsenden, wenn die Mindestvoraussetzungen für eine freie und faire Wahl gegeben seien, sagt Jasmin Lorch, Südasien-Analystin und Gastdozentin an der Humboldt-Universität in Berlin. "Wenn sich herausstellt, dass diejenigen, die an der Wahl teilnehmen, nicht die gleichen Bedingungen bekommen, könnten die EU und ihre Mitgliedstaaten versuchen, Druck auszuüben", so die Expertin weiter.

Die EU könne eine entscheidende Rolle bei der Durchführung freier und fairer Wahlen in Bangladesch spielen, meint auch Ali Riaz, Politologe an der Illinois State University. Zwar sei der Einfluss der EU eher wirtschaftlicher Natur. Doch nun stelle sich durchaus die Frage, inwieweit die EU bereit ist, diesen Einfluss zu nutzen. "Die EU kann die Vorteile herausstellen, die ein demokratisches und integratives Bangladesch bei der wirtschaftlichen Zusammenarbeit, der sozialen Entwicklung und beim Zugang zu EU-Märkten erhalten würde."

Freihandel mit der Europäischen Union als Druckmittel

Als mögliches Druckmittel der EU gilt die Vereinbarung "Everything but Arms" (EBA), übersetzt "Alles außer Waffen", eine Initiative für Länder, die von der UN als am wenigsten sozioökonomisch entwickelt definiert wurden. Bangladesch fällt in diese Kategorie. Die Initiative ermöglicht diesen Ländern zollfreie Importe ohne Mengenbeschränkung in die Europäischen Union - außer eben Waffen. Bei unfairen Wahlen könnte die EU das Abkommen für Bangladesch einschränken, sagt die Südasien-Analystin Lorch.

Gewann bereits zwei Wahlen: Bangladeschs umstrittene Premierministerin Sheikh HasinaBild: PID Bangladesh government

Zwischen 2017 und 2020 betrugen die EU-Importe aus Bangladesch durchschnittlich 14,8 Milliarden Euro pro Jahr. Das entspricht der Hälfte aller Exporte Bangladeschs. Die Europäische Union stellt dem Land außerdem jedes Jahr Hilfe in Millionenhöhe zur Verfügung. "Der Rückzug aus der EBA-Vereinbarung wäre ein wirksames Instrument", so Lorch. Denn die EU sei Bangladeschs wichtigster Handelspartner, insbesondere im Bekleidungssektor. "Die EU könnte auch damit drohen, ihre erhebliche Entwicklungszusammenarbeit mit Bangladesch zu reduzieren."

Allerdings seien solche Maßnahmen umstritten. "Wenn sie nicht dazu beitragen, dass die Regierung freie und faire Wahlen gewährleistet, könnten die einfachen Bürger darunter leiden, während die politische Situation sich nicht ändern würde", gibt Lorch zu Bedenken. Und damit die EU solche Beschränkungen verhängen könne, müsse sich die Union auf eine gemeinsame Position einigen. Die Einigung über Sanktionen in der EU sei in der Regel allerdings ein schwieriger Prozess. "Zudem ist unklar, inwieweit derartige Einschränkungen überhaupt von Nutzen sind. Möglicherweise drängen sie Bangladesch nur weiter in Richtung China."

Wahlen unter einer Übergangsregierung

Sheikh Hasinas Partei gewann die vorangegangenen nationalen Wahlen 2014 und 2018. Beide Abstimmungen waren geprägt von Gewalt und beide Male standen Vorwürfe der Wahlfälschung im Raum. Nun fordern Kritiker und Oppositionsparteien, die bevorstehenden Wahlen unter einer neutralen "geschäftsführenden" Regierung stattfinden zu lassen. Über ein derartiges System verfügte Bangladesch bereits bis zum Jahr 2011. Damit sollten Wahlmanipulationen und Fehlverhalten der Regierungsparteien verhindert werden.

Opposition auf der Straße: Kundgebung der Bangladesh Nationalist Party (BNP)Bild: Samir Kumar Dey/DW

Nach Ablauf der fünfjährigen Amtszeit einer gewählten Regierung übernahm eine aus Vertretern der Zivilgesellschaft bestehende Übergangsregierung für drei Monate die Kontrolle über staatliche Institutionen und organisierte die Wahlen. 1996, 2001 und 2008 wurden die Parlamentswahlen auf Grundlage dieses Systems abgehalten. Inländischen und internationalen Beobachtern galten sie als frei, fair und inklusiv.

Im Jahr 2011 schaffte die Awami League das System jedoch ab. Ein Jahr zuvor hatte der Oberste Gerichtshof entschieden, dass es verfassungswidrig sei, da es gegen die Grundsätze der repräsentativen Demokratie verstoße.

Wahlmanipulation nicht ausgeschlossen

Die Ergebnis der seitdem abgehaltenen Wahlen fallen jedoch ernüchternd aus. "Die nationalen Wahlen der Jahre 2014 und 2018 sowie weitere Kommunalwahlen haben zweifelsfrei erwiesen", so Riaz, "dass eine freie und faire Wahl unter einer parteiischen Regierung unmöglich sind."

Sie sei skeptisch, dass die kommenden Parlamentswahlen frei und fair verlaufen werden, sagt Lorch. "Bislang hat die Regierung keine Bereitschaft erkennen lassen, die Durchführung der Wahlen unter einer unparteiischen Übergangsregierung zuzulassen. Werden die Wahlen unter der Obhut der Awami League durchgeführt, dürften sie ebenso manipuliert werden wie die im Jahr 2018."

Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.

Die Chauras von Bangladesch - Leben zwischen Fluch und Segen

42:36

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Arafatul Islam Multimedia-Journalist mit den Schwerpunkten Bangladesch, Menschenrechte und Migration@arafatul
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