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Bangladesch will Rohingya auf Insel umsiedeln

Naomi Conrad | Arafatul Islam | Stefan Czimmek
3. September 2019

Mehr als eine Million Rohingya leben in Flüchtlingslagern in Bangladesch. 100.000 von ihnen will die Regierung jetzt umsiedeln - auf die abgelegene Insel Bhasan Char. Doch die wollen das gar nicht.

Rohingya Camp Süd Blangladesch
Bild: DW/N. Conrad

An diesem Morgen im späten August ist die Sonne noch nicht durch die dichten Regenwolken gedrungen, die in der Monsun-Zeit den Himmel Bangladeschs bedecken. Gemächlich fährt eine Reihe von Lastkähnen auf den geschäftigen Hafen von Chittagong zu, in dem kleine Fischerboote in den unruhigen, grauen Wellen schaukeln.

Etwa 30 Kilometer vom Festland entfernt hebt sich eine flache Insel vom Horizont ab. Die Einheimischen nennen sie Bhasan Char, "schwimmende Insel". Vor 20 Jahren gab es sie noch nicht, doch mit der Zeit ließen angeschwemmte Sedimente die Insel aus dem Meer wachsen. Schon aus der Ferne sind die Silhouetten der Gebäude zu erkennen, die heute weite Teile der Insel bedecken.

Deutsche Welle bekam Zutritt

In diesen Häusern sollen bald 100.000 Menschen leben - aber nicht etwa Staatsbürger von Bangladesch, sondern Rohingya aus dem Nachbarland Myanmar. Nach Gewaltexzessen waren sie nach Bangladesch geflohen und hatten in rasch errichteten Flüchtlingslagern Schutz gefunden. Jetzt forciert die Regierung in Dhaka ihre Umsiedlung auf die abgelegene Insel Bhasan Char - nach Informationen der DW auch gegen ihren Willen.

Die Schutzbunker (links im Bild) können als Schulen, Moscheen und Krankenhäuser benutzt werdenBild: DW/N. Conrad

Nach wochenlangen Verhandlungen mit der Regierung bekamen Reporter der Deutschen Welle die Erlaubnis, Bhasan Char zu besuchen, wenn auch nicht allein. Begleitet von Marine-Soldaten, die die Bauarbeiten auf der Insel überwachen, konnten sie auf die noch unbewohnte Insel übersetzen und sich umschauen.

Flucht aus Myanmar

Der Plan, Bhasan Char für Flüchtlinge herzurichten, entstand bereits im Jahr 2015. Doch im August 2017 spitzte sich die Lage zu: Mehr als 730.000 Rohingya flohen binnen weniger Wochen über die Grenze nach Bangladesch. Vorausgegangen waren gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen der Rohingya-Miliz ARSA und der Armee von Myanmar, die Dörfer der Rohingya bombardierte und in Brand steckte. Die Vereinten Nationen verurteilten die Angriffe gegen die muslimische Minderheit als "Paradebeispiel für ethnische Säuberungen".

Das Nachbarland Bangladesch nahm die Rohingya großzügig auf und brachte sie in provisorischen Zeltstädten nahe der Stadt Cox's Bazar unter. Diese dehnten sich immer weiter aus und sind heute das größte Flüchtlingslager der Welt. Die Situation ist prekär: Die Lager nahe der Küstenstadt Cox's Bazar sind überfüllt. Es besteht jederzeit die Gefahr, dass Erdrutsche die ärmlichen Hütten aus Wellblech und Planen mitreißen. Im Sommer ist die Hitze kaum auszuhalten. Auch die Sicherheit ist ein Problem, vor allem nachts, wenn die meisten Helfer die Camps verlassen haben. Morde, Entführungen und Vergewaltigungen seien keine Seltenheit, berichten Bewohner der DW.

Rohingya sollen weg

03:52

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Feste Häuser für die Flüchtlinge

Die Bauarbeiten auf der Insel begannen im Frühjahr 2018 und stehen jetzt kurz vor dem Abschluss. Das Ergebnis konnten die Reporter der DW in Augenschein nehmen: Lange Reihen gleichförmiger Bungalows aus Beton und Stahl, von denen sich jeweils vier um einen Hof mit einem Teich gruppieren. In jedem Bungalow befinden sich 16 spartanisch eingerichtete, luftige Räume sowie zwei Küchen und zwei Badezimmer mit Duschen und Toiletten. Jeder Raum bietet Platz für bis zu vier Personen. Ein Teil des Stroms wird mit Solarpaneelen auf den Dächern gewonnen, auch eine Biogas-Anlage und eine Anlage zur Aufbereitung von Regenwasser sind vorhanden. Die Sicherheit auf der Insel sollen Polizeiwachen und 120 Videokameras gewährleisten, die nach Angaben der Marine bald installiert werden.   

Zeitraffer: Die Siedlung im Bau. Gut erkennbar: die roten Dächer

"Ein Paradies" für die Rohingya

Entworfen hat die Siedlung, deren Bau bisher 272 Millionen Dollar (ca. 248 Millionen Euro) gekostet hat, der Architekt Ahmed Mukta. Er habe keinen Zweifel daran, sagte Mukta der DW, dass die Siedlung "ein Paradies" für die Rohingya sein werde. "Wir bieten ihnen etwas, das sie bis zu ihrem Lebensende nicht vergessen werden." Muktas Firma "MDM Architekten" hat sich mit Schutzbauten gegen Wirbelstürme in Bangladesch einen Namen gemacht. Für den Entwurf der Siedlung habe er nur eine Woche Zeit gehabt, erzählt der Architekt. Auf das Ergebnis sei er stolz.

An der Hauptstraße durch die Siedlung, auf der Schafe entlangtrotten, lehnen zwei Arbeiter an einer Tür. Verwundert starren sie die Besucher an. Würden sie selbst gerne auf der Insel wohnen? Ja, sagt einer von ihnen, wenn man ihm ein Haus anböte, würde er bleiben. "Das ist ein guter Ort zum Leben."

Nicht nur flache Wohn-Bungalows wurden auf der Insel gebaut, sondern auch 120 stabile, vierstöckige Gebäude, die Stürmen mit einer Geschwindigkeit von bis zu 260 Stundenkilometern standhalten können. Sie sollen Krankenhäuser, Schulen und Gemeindezentren beherbergen. 40 Krankenhaus-Betten seien vorgesehen, erzählt Architekt Ahmed Mukta. Medizinische Notfälle könnten in das nächste Krankenhaus auf der Insel Hatiya gebracht werden, die in etwa einer Stunde per Boot zu erreichen sei.

Die DW-Reporter können einen Blick in eines der Schutzgebäude werfen: Dieses ist ausgestattet mit einer Klimaanlage und Badezimmern. Hier könnten nach der Vorstellung der Regierung Mitarbeiter von Hilfsorganisationen untergebracht werden. Vom Dach öffnet sich der Blick auf endlose Bungalowreihen.

Innerhalb von ein oder zwei Jahren, ist Architekt Mukta überzeugt, könnte die Siedlung sogar für bis zu 400.000 Menschen ausgebaut werden.  

Rohingya wollen nicht nach Bhasan Char

Fällt die Entscheidung für die Umsiedlung, könnten 400 bis 500 Flüchtlinge pro Tag von Bangladeschs Marine auf die Insel gebracht werden. Doch dagegen wehren sich die Rohingya mit Händen und Füßen. Flüchtlinge, die die DW im Lager Kutupalong in Cox's Bazar befragt, reagieren erbost: "Wir wollen nicht nach Bhasan Char", erklärt Hamida Khatun, "denn die Insel könnte überflutet werden und Menschen sterben." Während die ältere Frau ihrem Ärger Luft macht, wird sie von einer Menschenmenge umringt. "Unsere Kinder werden ertrinken. Für sie ist das nur eine weitere Falle, in der sie ihr Leben verlieren könnten." Die Umstehenden nicken zustimmend, als sie hinzufügt: "In Bhasan Char werden wir isoliert sein. Bitte helft uns, dass wir hierbleiben können."

Seine Regierung werde die Rohingya notfalls auch gegen ihren Willen umsiedeln, betont Außenminister Abul Kalam Abdul Momen, dessen Ministerium mitverantwortlich für die Umsiedlung der Rohingya ist und der die DW-Reporter in seinem Büro in Dhaka empfängt. "Wenn sie nicht willens sind zu gehen, dann werden wir sie dazu zwingen." Es sei höchste Zeit, die Rohingya umzusiedeln. Blieben sie in den überfüllten Lagern, fürchtet er, dann könnten sie sich radikalisieren.   

Keine Rückkehr nach Myanmar

"Die Rohingya machen uns Ärger", betont Außenminister Momen. "Immer wieder werden Einheimische ermordet. Das können wir nicht zulassen, wir müssen Recht und Ordnung bewahren. Um das zu gewährleisten, müssen wir ihre Umsiedlung nach Bhasan Char vielleicht erzwingen."

Inzwischen hat die Regierung die vier größten Mobilfunkanbieter angewiesen, Rohingya-Flüchtlingen künftig keine SIM-Karten mehr zu verkaufen. Andere Möglichkeiten scheint die Regierung derzeit nicht zu sehen. Kurz vor dem Interview mit dem Außenminister war der zweite Versuch gescheitert, mehrere Tausend Rohingya nach Myanmar zurückzuschicken. Kein einziger Flüchtling stimmte der Rückkehr zu - aus Angst, in Myanmar wieder verfolgt zu werden.

Die Insel ist in den letzten Jahren entstanden - und wird deshalb "schwimmende Insel" genannt

 

Um Unterstützung für den Umsiedlungsplan zu bekommen, übt das Außenministerium von Bangladesch Druck auf die Vereinten Nationen aus, die in den Flüchtlingslagern humanitäre Hilfe leisten. Das geht auch aus dem Protokoll eines Treffens zwischen beiden Seiten hervor, in das die DW Einblick hatte. "Wir empfehlen den UN-Agenturen dringend, Bhasan Char einzubeziehen", wird darin ein Regierungsvertreter zitiert. Konkret geht es um den "Joint Response Plan", einen gemeinsamen Aktionsplan für das Jahr 2020. Werde Bhasan Char darin nicht berücksichtigt, werde die Regierung diesem Plan nicht zustimmen. Der Vertreter der UN in Dhaka wollte die Differenzen nicht kommentieren. Andere UN-Mitarbeiter bestätigten der DW aber, dass die Regierung erheblichen Druck ausübt.

Für immer abgeschoben?

Dass die UN skeptisch gegenüber der geplanten Umsiedlung sind, hat mehrere Gründe. Zum einen fürchten sie, dass die Flüchtlinge für viele Jahre auf der Insel festsitzen könnten - bei stark eingeschränkter Bewegungsfreiheit. Außerdem sei es logistisch schwierig, die Hilfsleistungen für die Flüchtlinge auf zwei Standorte aufzuteilen, auf die Lager in Cox's Bazar und die Insel Bhasan Char.

Über all dem schwebt aber die Frage, ob die Insel tatsächlich dauerhaft bewohnbar ist. Zwar werden im Golf von Bengalen immer wieder neue Inseln aufgeschwemmt, aber nicht alle können den Gezeiten und den Wirbelstürmen im Golf von Bengalen standhalten. Auch die Insel Bhasan Char, die erst im Verlauf der letzten 20 Jahre entstanden ist, ist ein fragiles Gebilde. Hinzu kommen die Folgen des Klimawandels: Eine steigende Zahl heftiger Wirbelstürme und der Anstieg des Meeresspiegels. All das, warnen von der DW befragte Experten, könnte der Insel zusetzen.

Ein 13 Kilometer langer Deich soll die Siedlung vor Hochwasser schützenBild: DW/A. Islam

Ein Deich gegen die Fluten

Die Verantwortlichen verweisen auf einen drei Meter hohen Deich, ergänzt durch Pflöcke, Schotter und Sandsäcke, gegen die Erosion. Das, so sagen die Behörden, sei im Normalfall völlig ausreichend. Treffe ein Wirbelsturm die Insel, dann müssten die höheren, besonders geschützten Häuser aufgesucht werden, die über eine eigene Wasser- und Stromversorgung verfügen. Niemand, betonen die Vertreter der Marine, müsse bei einem Wirbelsturm von der Insel gebracht werden.

Von der DW befragte Fachleute sind uneins: Einige halten den Deich für zu niedrig und schlagen vor, seine Höhe zu verdoppeln. Andere halten den Bereich innerhalb des Deichs für einen relativ sicheren Wohnort. Architekt Ahmed Mukta wehrt sich gegen den Vorwurf, Bhasan Char sei unsicher und schwimme davon: Wer das behaupte, der habe "die Insel nicht verstanden und nicht gesehen".

Deutlich kritischer ist ein Mann, der auf Bhasan Char in dem kleinen Basar arbeitet, der außerhalb des Deichs entstanden ist. Hier versorgen sich 15.000 Bauarbeiter mit Essen. Bei Flut habe er die Insel manchmal nicht erreichen können, erzählt er. Einmal sei die See so rau gewesen, dass er um sein Leben gebangt habe. Und zweimal im Monat werde der Basar überschwemmt.

Die muslimische Minderheit der Rohingya wird in Myanmar seit Jahrzehnten als Bürger zweiter Klasse behandeltBild: Getty Images/AFP/D. Sarkar

Konfrontation mit der UN?

Die UN finanzieren die humanitäre Hilfe für die Rohingya. Es ist unklar, ob die Regierung die Flüchtlinge auch umsiedelt, wenn die Vereinten Nationen und die anderen Hilfsorganisationen dem nicht zustimmen. "Möglicherweise", so Außenminister Momen. Für ihn ist sogar vorstellbar, die UN-Vertreter des Landes zu verweisen, sollten sie nicht mitziehen. "Wenn das nötig ist, werden wir das machen", sagt er verärgert.  

Zurück auf Bhasan Char, der noch unbewohnten Insel, werden die DW-Reporter zu einem Leuchtturm geführt, der den Namen "Zeichen der Hoffnung" trägt. An einer weißen Wand wurde Platz gelassen für eine Plakette, die im Vorfeld der Umsiedlung durch Premierministerin Sheikh Hasina hier angebracht werden soll - wann das passieren soll, sei aber noch offen, sagt ein Regierungsmitarbeiter der DW. 

Mitarbeit von Nina Werkhäuser

Naomi Conrad Investigativ-Reporterin@NaomiConrad
Arafatul Islam Multimedia-Journalist mit den Schwerpunkten Bangladesch, Menschenrechte und Migration@arafatul
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