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Bangladesch: Wirtschaft wichtiger für die Wähler als Politik

Arafatul Islam
5. Januar 2024

Eine Welle von Verhaftungen und nun der Boykott: Oppositionsparteien wollen an den Parlamentswahlen in Bangladesch nicht teilnehmen. Wähler sorgen sich mehr über steigende Preise als über Rückschritte in der Demokratie.

Passant vor Plakaten von Sheikh Hasina
Die 76-jährige Sheikh Hasina ist seit 2009 die Premierministerin von Bangladesch Bild: Indranil Mukherjee/AFP

An diesem Sonntag, den 7. Januar, finden in Bangladesch Parlamentswahlen statt. Premierministerin Sheikh Hasina und ihre regierende Awami League-Partei streben eine vierte Amtszeit in Folge an. Der Regierung wird vorgeworfen, sie unterdrücke die Opposition und untergrabe die Prozesse für freie und faire Wahlen. Oppositionsparteien werden daher die Wahlen aus Protest boykottieren. 

Hasinas Amtszeit war geprägt von Massenverhaftungen ihrer politischen Gegner. So ist auch die Vorsitzende der größten Oppositionspartei in Bangladesch, Khaleda Zia, in Haft. 2018 wurde die 78-jährige Zia wegen Korruptionsvorwürfen zu einer 17-jährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Ihre Gesundheit ist angeschlagen und sie ist derzeit im Krankenhaus. Viele Spitzenpolitiker ihrer Partei, der Bangladesh Nationalist Party (BNP), sind ebenfalls inhaftiert. Zusammen mit anderen Oppositionsparteien boykottiert die BNP die Wahlen. Sie habe kein Vertrauen in die Administration der Premierministerin, dass diese freie und faire Wahlen abhalten werde, so die Begründung.

Forderungen der Opposition nach einer neutralen Übergangsregierung, die die Wahlen überwachen sollte, hatte die regierende Partei abgelehnt.

Welche Themen beschäftigen die Menschen am meisten?

Viele Wähler, mit denen die DW im ganzen Land gesprochen hat, scheinen sich aber mehr Sorgen um Themen wie Inflation und wirtschaftliche Entwicklung zu machen als um politische Pluralität.

Smriti Rani Das arbeitet seit über zwei Jahren in einer Textilfabrik in Mohammadpur, einem Vorort der Hauptstadt Dhaka. Sie verdient 8700 Taka (umgerechnet 72 Euro) im Monat. Der Textilsektor ist für die Wirtschaft des Landes entscheidend. Etwa 3500 Bekleidungsfabriken machen rund 85 Prozent der jährlichen Exporte des Landes in Höhe von mehr als 50 Milliarden Euro aus. Sie beliefern viele weltweit führende Marken, darunter Levi's, Zara und H&M.

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In den vergangenen Monaten kam es in Bangladesch jedoch zu massiven Straßenprotesten. Tausende Arbeiterinnen und Arbeiter forderten dabei höhere Löhne. Die Demonstrationen zwangen die Behörden, den monatlichen Mindestlohn für Textilarbeiter von 8300 Taka auf 12.500 Taka (106 Euro) anzuheben. Einige Demonstrierende sagten jedoch, der Anstieg um 56 Prozent sei zu gering. Sie fordern einen Mindestbetrag von 23.000 Taka (196 Euro).

Smriti Rani Das und ihr Mann, der ebenfalls Textilarbeiter ist, versorgen eine fünfköpfige Familie. Sie sagen, es sei schwierig für sie, über die Runden zu kommen. "Die Ausbildung meines Kindes wird immer teurer. Die Preise für Reis, Gemüse und Speiseöl steigen. Es ist für uns schwierig, die Preiserhöhungen mit unserem Einkommen zu bewältigen", klagt Smriti Rani Das.

Ein kürzlich veröffentlichter Bericht der Weltbank besagt, dass steigende Lebensmittelpreise für 71 Prozent der bangladeschischen Familien eine ernste Sorge darstellen. Die Lebensmittelinflation lag im November bei über 12,5 Prozent, dem höchsten Stand seit einem Jahrzehnt. Durch die steigenden Lebensmittel- und Rohstoffpreise sind viele Bangladescher in Gefahr, wieder in die Armut abzurutschen.

Inflation trifft die Armen und Benachteiligten

Die Textilarbeiterin Smriti Rani Das hofft, dass die Wahl am 7. Januar einen Wandel bringen wird. Sie selbst werde ihre Stimme aber nicht abgeben können. Als Wählerin sei sie in ihrer Heimatstadt Sylhet registriert, die etwa 230 Kilometer von der Hauptstadt entfernt liegt, und nicht in Dhaka.

Khokon, ein Rikscha-Fahrer in Dhaka, macht sich ebenfalls Sorgen über die Preiserhöhungen. "Wir können nicht mehr so viel Geld verdienen wie früher. Die Passagiere zahlen uns jetzt weniger. Sie haben nicht genug zum Ausgeben", sagt er der DW.

Khokon verweist auf Unregelmäßigkeiten bei der letzten Parlamentswahl im Jahr 2018 und meint, er sei sich nicht sicher, ob er zumindest dieses Mal sein Wahlrecht ausüben könne. Er habe bei der letzten Wahl nicht wählen können. "Mir wurde gesagt, meine Stimme sei bereits von jemand anderem abgegeben worden. Ich weiß also nicht, ob ich dieses Mal wählen kann."

Der Boykott der Opposition entmutigt ihn. "Selbst wenn ich wähle, gehören alle Kandidaten derselben Partei an. Sie sind alle gleich", sagt der Rikscha-Fahrer.

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Auch Shantanu Majumder, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Dhaka, glaubt, dass sich die Wähler mehr Sorgen um die Wirtschaft machen als um Rückschritte in der Demokratie. Er betont: "Die Preiserhöhungen haben schwerwiegende Auswirkungen auf das Leben der Allgemeinheit, insbesondere auf die einkommensschwachen Gruppen. Und sie nagen an den Ersparnissen der Mittelschicht." Auch nach der Wahl werde die Inflation ein großes Thema bleiben, prophezeit Majumder.

Massenverhaftungen und Menschenrechtsverletzungen 

In den Gerichtsgebäuden in Dhaka geht es momentan hoch her. Oppositionsaktivisten und ihre Anwälte sind damit beschäftigt, eine Freilassung von inhaftierten Oppositionellen auf Kaution zu beantragen. Nach den tödlichen Protesten gegen die Regierung Ende Oktober hat die Polizei in den letzten Monaten eine Verhaftungswelle von Aktivisten und Führungspersonal der BNP in Gang gesetzt.

Nach Angaben der Oppositionspartei seien bisher fast 25.000 ihrer Anhänger festgenommen worden und noch viele mehr seien auf der Flucht. Die Opposition wirft den Behörden vor, mit erfundenen Anschuldigungen gegen sie vorzugehen. Sultana Kamal, eine Menschenrechtsaktivistin, kritisiert diese Massenverhaftungen. "Jemanden zuerst zu verhaften und erst später Beweise dafür vorzulegen, er sei ein Verbrecher, ist ein kompletter Verstoß gegen das Gesetz und die Menschenrechte. Das dürfen sie nicht", sagt sie der DW.

"Wir haben von den Angehörigen der inhaftierten BNP-Aktivisten gehört und auch selbst beobachtet, dass sie in verschiedenen Gefängnissen nach ihren Angehörigen gesucht haben, weil sie deren Aufenthaltsort nicht kennen und sie auch nicht finden konnten", sagt sie und fügt hinzu: "Aus menschenrechtlicher Sicht ist es inakzeptabel, Menschen solch ein Leid zuzufügen."

Kamal weist ferner darauf hin, dass einige Gerichtsurteile unerwartet schnell gefällt würden. Das sei ihrer Meinung nach ein Beispiel dafür, wie "die Justiz des Landes für politische Zwecke genutzt wurde".

Kamal sagt: "Wir sagen, verzögerte Justiz ist gleichbedeutend mit verweigerter Gerechtigkeit. Man sagt aber auch, dass vorschnelle Justiz die Gerechtigkeit begräbt. Wir vermuten, dass dies bei manchen Vorfällen der Fall ist."

Viele stehen der demokratischen Zukunft skeptisch gegenüber

Je näher der Wahltag rückt, desto weniger scheinen die Menschen bereit zu sein zu reisen, um in ihren Wahllokalen ihre Stimme abzugeben. Viele haben Angst vor politischer Gewalt während der Wahl und auch danach. Auf dem Busbahnhof Gabtoli, einer der Verkehrsknotenpunkte Dhakas, ist es derzeit ruhiger geworden.

Tanusri Das, eine 24-jährige Studentin, gehört zu den wenigen Passagieren, die darauf warten, in einen Bus zu steigen, der sie in  ihre Heimatstadt Rajbari fahren wird.

Sie sagt, sie wolle an der Wahl teilnehmen. "Viele meiner Freunde konnten bei der letzten Wahl ihre Stimme nicht abgeben. Aber ich habe es irgendwie geschafft. Ich hoffe, dass ich auch dieses Mal wählen kann", sagt sie der DW.

Sie sagt, Hasinas Regierung habe in die Infrastruktur Bangladeschs investiert und diese verbessert. Doch die Studentin bleibt skeptisch, was die demokratische Zukunft des Landes angeht. Sie weist darauf hin, dass die Behörden die freie Presse und freie Meinungsäußerung eingeschränkt hätten, so dass viele Menschen Angst davor hätten, die Politik der Regierung offen und frei zu kritisieren oder darüber zu sprechen. "Die BNP gehört zu Bangladeschs größten und mächtigsten politischen Parteien. Wenn eine Wahl ohne sie stattfindet, widerspricht das der Demokratie. Ich werde nicht sagen, dass es gut oder schlecht sein wird, aber wir müssen abwarten und sehen, ob die Demokratie sich durchsetzen wird".

Aus dem Englischen adaptiert von Shabnam von Hein

Arafatul Islam Multimedia-Journalist mit den Schwerpunkten Bangladesch, Menschenrechte und Migration@arafatul
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