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Politik

Bangladeschs vergessener Genozid an den Jumma

15. Oktober 2017

Hunderttausende Rohingya sind vor der Gewalt aus Myanmar nach Bangladesch geflohen. Doch auch dort schwelt ein ungelöster ethnischer Konflikt, der blutig geführt wird, wie Ulrich Delius im Gespräch mit der DW berichtet.

Bangladesch   Jhum Kultur
Bild: DW/M. Mamun

Deutsche Welle: Die ganze Welt redet über das Schicksal der Rohingya, die unter Lebensgefahr aus Myanmar nach Bangladesch fliehen. Aber nicht weit von der Grenze zu Myanmar, in den Bergen der Chittagong Hill Tracts, gibt es eine andere Minderheit, die um ihr Überleben kämpft, die Jumma. Wie ist ihre Situation?

Ulrich Delius, Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV): Die Jumma haben sich jahrzehntelang gewehrt gegen das, was sie als systematische Besiedlung empfinden und eine Kolonisierung ihrer Bergregion nennen - durch bengalische Siedler aus dem dicht besiedelten Tiefland. Im dicht bevölkerten Bangladesch war der Drang sich auszubreiten und in anderen Regionen wie dieser Hügelregion zu siedeln, immer groß und wurde durch die Regierung gezielt gefördert. Es gab dann immer mehr Probleme mit den indigenen Bewohnern der Berge. Die sagten: Das ist doch unser Land. Wir verlieren hier immer mehr von unserem Land, unsere Lebensgrundlage. Und dann haben sie angefangen, sich auch mit Waffengewalt dagegen zu wehren.

In den 1980er und 1990er Jahren eskalierte der Konflikt, was sehr viele Menschenleben gefordert hat. Bis heute sagen die Jumma: Wir sind die vergessenen indigenen Bewohner Bangladeschs, warum tut Bangladesch nichts für uns? Jetzt kommen auch noch die Flüchtlinge aus Myanmar dazu, die ebenfalls Land brauchen, um ihre Flüchtlingslager einzurichten. Und das genau in der Heimat-Region der Jumma.   

Von Menschenrechtsaktivisten wird immer wieder von einem Völkermord an den Rohingya gesprochen. Es ist aber auch die Rede von einem Völkermord, wenn es um die Jumma geht. Wann hat dieser Völkermord stattgefunden?

Der hat in den 1980er und 1990er Jahren stattgefunden, als die Armee des jungen Staates Bangladesch systematisch und mit brutalsten Mitteln gegen die Dorfbevölkerungen vorging. Die Armee hat Dörfer zerstört und systematisch die Menschen aus diesen zwölf indigenen Gruppen, die sich als Jumma bezeichnen, getötet. Das Ganze hat hier in Europa relativ wenig Aufmerksamkeit gefunden. Es war einer der großen vergessenen Konflikte Südasiens, und so ging das noch Jahre weiter, bis endlich 1997 ein Friedensvertrag unterzeichnet wurde.

Ulrich Delius von der Gesellschaft für bedrohte VölkerBild: GfbV

Ist dieser Friedensvertrag jemals umgesetzt worden?

Leider nicht. Der wird jetzt im Dezember 20 Jahre alt, und bis heute kritisieren die Jumma, dass die meisten Bestimmungen dieses Friedensvertrages, was den Schutz ihres Landrechts angeht, was den Abzug der Armee von ihrem Land angeht, nicht umgesetzt wurden. Erst 2009 hat sich die Regierung dazu bequemt, einen ersten Ausschuss zur Umsetzung dieses Friedensabkommens zu schaffen. Es ist schon verrückt, wie die Situation der indigenen Bevölkerung in Bangladesch von den Behörden ignoriert wird und wie systematisch diese Besiedlung weitergeht. Das äußert sich in massiver Gewalt gegen die indigenen Bewohner: Frauen werden von Soldaten vergewaltigt, immer wieder kommt es zu Auseinandersetzungen um Land, so dass Dörfer niedergebrannt und Häuser zerstört werden. 

Nach Angaben der NGO Survival International wurden im Juni erneut Dörfer der Jumma in den Chittagong Hill Tracts niedergebrannt. Den Gewaltexzessen bengalischer Neusiedler sollen die Sicherheitskräfte tatenlos zugesehen haben. Wie glaubhaft sind solche Berichte?

Wir bekommen auch viele von diesen Berichten und wir halten sie für sehr glaubwürdig. Unsere eigenen Beobachter in der Region haben immer wieder über ähnliche Vorfälle berichtet. Es gehört fast zum Alltagsleben der Jumma, das sie das Gefühl haben, es gibt keinen Schutz ihrer Landrechte durch staatliche Behörden oder die Sicherheitskräfte. Und so sind sie dieser Auseinandersetzung mit bengalischen Siedlern, die in ihr Land kommen, relativ schutzlos ausgesetzt. Meistens ziehen sie in diesen Auseinandersetzungenden den Kürzeren, weil die neuen Siedler zahlenmäßig sehr stark auftreten und dadurch die Urbevölkerung relativ einfach an den Rand drängen.

Völkermord mit 200.000 Opfern

Es soll heute 700.000 dieser Ureinwohner in den Chittagong Hill Tracts geben. Bis zu 200.000 Jumaa sollen bei den Gewaltexzessen des bangladeschischen Militärs vor wenigen Jahrzehnten getötet worden sein. Was ist von diesen Zahlen zu halten?

Unter Druck durch Neusiedler: Siedlung der Jumma in den dicht bewaldeten Bergen BangladeschsBild: DW/M. Mamun

Die Zahlen sind schon realistisch. Es gab in den 1980er Jahren und zu Beginn der 1990er Jahre mehrere Untersuchungskommissionen, die diese Verbrechen ausführlich erfasst und dokumentiert haben. Auch wir haben bei diesen Untersuchungskommissionen als Gesellschaft für bedrohte Völker mit Beobachtern mitgearbeitet. Es handelte sich um ein gezieltes Vorgehen, um diesen indigenen Gruppen die Lebensgrundlage zu nehmen.

Insofern halten wir den Vorwurf eines Genozids, eines Völkermords, durchaus für gerechtfertigt. Auch die  Zahl von ungefähr 200.000 Opfern ist durchaus realistisch. Wie hoch heute die Zahl der Jumma ist, lässt sich nicht genau sagen. Die Zahlen schwanken, manche sagen es sind 700.000, manche gehen von 800.000 Menschen aus. Die genaue Zahl ist sehr schwer zu erfassen, weil sich viele Jumma schwer tun mit Volkszählungen und ähnlichen Aktionen der Regierung. Sie befürchten immer, dass noch mehr Landnahme stattfinden soll. Daher sind offizielle Zahlenangaben problematisch.

Wie ist die Politik von Bangladesch im Umgang mit Minderheiten insgesamt zu bewerten? Die Rohingya werden zwar als Schutzsuchende angesehen, aber nicht in die Gesellschaft Bangladeschs integriert. Es gibt Flüchtlinge, die seit über 20 Jahren mehr oder weniger ohne Perspektive zu Zehntausenden in Flüchtlingslagern in der Grenzregion zu Myanmar in der Nähe der Stadt Cox's Bazar leben. Und jetzt kommen noch einmal mehrere hunderttausend.  

"Geplantes Mega-Lager ist Verbrechen gegen die Menschlichkeit"

Die Rolle der Regierung Bangladeschs sehen wir als sehr problematisch an. Dass jetzt die Grenzen geöffnet wurden, war ja nicht der Wille der Regierung Bangladeschs. Das war letztlich dem internationalen Druck geschuldet, der Anfang September 2017 massiv ausgeübt wurde, Man hielt tagelang die Grenze geschlossen und schickte systematisch alle Flüchtlinge zurück, die man an der Grenze aufgreifen konnte, obwohl man über die Situation in Myanmar Bescheid wusste.Es wäre völlig verfehlt, die Regierung Bangladeschs als Retterin der Rohingya darzustellen. Sie sind dazu mehr oder weniger von den muslimischen Staaten gezwungen worden, die irgendwann gesagt haben: 'Jetzt reicht's! Wir können nicht als OIC, als Organisation Islamischer Staaten, dafür eintreten, dass die Menschenrechte der Rohingya eingehalten werden und unser Mitgliedsland Bangladesch macht die Grenzen zu und lässt sie nicht rein - das geht so nicht.' 

Wir haben bei unserem Engagement für die Rohingya-Flüchtlinge in den vergangenen Jahren erfahren müssen, dass die Auseinandersetzung mit Bangladeschs Behörden extrem schwierig ist. Das habe ich selten in einem Land erlebt, dass man soviel Missachtung Flüchtlingen einer bestimmten ethnischen Gruppe entgegen brachte wie in Bangladesch. 

Man musste - und das wurde uns auch von der Europäischen Union bestätigt - quasi um jede Toilette ringen, die neu errichtet werden konnte in den zwei Flüchtlingslagern, die es bis Anfang dieses Jahres offiziell zur Aufnahme von Rohingya gab. Weil argumentiert wurde: 'Jede neue Toilette schafft einen Anziehungspunkt für diese Flüchtlinge und es werden noch mehr Flüchtlinge kommen. Wir wollen diese Leute nicht!' Das war die klare Ansage. Und dann haben EU-Diplomaten mehr oder weniger wochenlang um eine Toilette gekämpft in diesen Lagern - eine absurde Situation. Das sagt eigentlich alles über die Hilfsbereitschaft der Regierung Bangladeschs in diesem Fall.

Auch jetzt, wenn man sich die Pläne für das Mega-Lager für Rohingya anschaut. Da haben wir den Eindruck, dass nicht etwa die Hilfe und eine bessere Versorgung der Flüchtlinge entscheidend war, sondern dass man jetzt wieder den gleichen Weg der Eskalation der Flüchtlingskrise versucht, um auf Myanmar Druck auszuüben. Dass die Flüchtlinge möglichst bald zurückgenommen werden müssen. Man schafft einfach so katastrophale humanitäre Bedingungen in diesem Mega-Lager, dass Myanmar sie irgendwann zurücknehmen muss. Das ist in gewisser Weise auch ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, das da von einem Staat begangen wird, der eigentlich kein Verfolgerstaat der Rohingya ist, der aber nicht die Empathie und Bereitschaft zeigt, Flüchtlinge so zu versorgen, wie es die Genfer Flüchtlingskonvention vorsieht.

 

 

Thomas Kohlmann Redakteur mit Blick auf globale Finanzmärkte, Welthandel und aufstrebende Volkswirtschaften.
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