Die "Universalwaffe" der SPD tritt an
17. Oktober 2018Man kann einen Menschen auf mehrere Arten beschreiben. Zum einen über seinen formalen Lebenslauf. Katarina Barley wurde am 19. November 1968 in Köln als Tochter einer Deutschen und eines Briten, der als Redakteur bei der Deutschen Welle arbeitete, geboren. Sie studierte Rechtswissenschaften in Marburg, Paris und Münster. Die promovierte Juristin arbeitete als Rechtsanwältin in Hamburg und als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Bundesverfassungsgericht. Sie war Richterin am Landgericht Trier und am Amtsgericht Wittlich.
Parallel dazu heiratete Katarina Barley und bekam zwei Kinder. 2008 wurde sie Referentin im Justizministerium in Mainz. Dort arbeitete sie, bis sie 2013 als Abgeordnete für die SPD in den Bundestag einzog. 2015 wurde sie Generalsekretärin ihrer Partei, im Juni 2017 übernahm sie das Bundesfamilienministerium von Manuela Schwesig, die als Ministerpräsidentin nach Mecklenburg-Vorpommern wechselte.
So beliebt, dass es für einen Fanclub reicht
Nach der Bundestagswahl kam zusätzlich das Arbeitsministerium hinzu, das Barley geschäftsführend übernahm, um ihre Parteikollegin Andrea Nahles zu ersetzen, die an die SPD-Fraktionsspitze wechselte. Mit dem erneuten Antritt der Regierungskoalition aus Union und SPD im März dieses Jahres wurde die 49-jährige zur Bundesjustizministerin ernannt.
Wer mehr über Katarina Barley wissen möchte, wen der Mensch hinter der Politikerin interessiert, dem sei ein Blick auf den Kurznachrichtendienst Twitter empfohlen. Unter dem Hashtag #stilllovingkatarina schrieben sich ihre Fans und Bewunderer dort im Frühjahr wochenlang die Finger wund, weil sie unbedingt wollten, dass ihr Idol weiter politische Karriere macht.
Sympathisch und beliebt – das ist selten
Dass sie sich darüber freut, daraus macht Barley keinen Hehl. Sie gilt als unverstellt und natürlich, als klug, offen und umgänglich. Man könne einfach nicht anders, als sie sympathisch zu finden, heißt es. Mit ihrer Art hat sie auch das Herz der SPD erreicht, in der sie moderat links angesiedelt ist.
Für das Amt der SPD-Generalsekretärin reichte das aber nicht aus. Zu wenig Attacke, zu wenig Durchsetzungsvermögen, so lautete die Kritik, die immer lauter wurde, als der Bundestagswahlkampf von SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz im Frühling 2017 nach einem ersten Hoch ins Stocken geriet. Tatsächlich ist Barley keine Frau der lauten Töne. Aber sie ist verbindlich - und beharrlich.
Klare Kante, das kann sie
Der Bundesjustizministerin fällt es nicht schwer, Stellung zu beziehen. Sie scheut auch keine Auseinandersetzung. Mit Facebook stritt sie über mehr Transparenz in dem sozialen Netzwerk. In der großen Koalition stellte sie sich gegen den von der CSU geprägten Begriff des Asyltourismus ebenso wie gegen das von der Union so vehement verteidigte Werbeverbot für Abtreibungen.
Beharrlich sorgte sie dafür, dass die Geschädigten des VW-Dieselskandals noch vor Ablauf entsprechender Fristen von der Musterfeststellungsklage Gebrauch machen können. Das Gesetz aus ihrem Ministerium wurde trotz mancherlei Bedenken in der Union noch rechtzeitig beschlossen.
In ihrer Zeit als Familienministerin machte sie in der #MeToo-Debatte nicht nur eine "Kultur des Schweigens" auch im deutschen Filmgeschäft aus und forderte "rückhaltlose Aufklärung" im Fall des Regisseurs Dieter Wedel, sondern kritisierte auch Sexismus im politischen Alltag.
Vielseitig einsetzbar
Katarina Barley hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie für viele Aufgaben offen ist. Sie sei die "Universalwaffe" der SPD, sagte sie, als es um die Besetzung der Ministerposten in der großen Koalition ging. Sie könne Familienministerin bleiben, oder Arbeitsministerin, oder stünde natürlich auch als Außenministerin zur Verfügung. Das war in den Augen vieler etwas zu dick aufgetragen, auch wenn der Sprecher der Ministerin sich beeilte, von einer ironisch-witzigen Bemerkung im Rahmen eines politischen Aschermittwochs zu sprechen.
Tatsächlich hat Katarina Barley schon immer versucht, sich thematisch breit aufzustellen. Auf ihrer Webseite finden sich unter "Standpunkte" die Themen Soziales, Familie, Rente, Gesundheit, Demographie, Europa, Energie und Verkehr. Europa hat es Barley sicherlich auch wegen ihres familiären Hintergrunds angetan. Obwohl sie nie in England gelebt hat, begreift sie sich sowohl als Deutsche als auch als Britin, in erster Linie aber als Europäerin. Nicht ohne Grund hielt sie ihre erste Bundestagsrede 2013 zum Thema "Europa".
"Barley" heißt "Gerste"
Barley lebt bei Trier und betont immer wieder die großen Vorteile eines offenen Europas für Frieden und Wohlstand. "Hier kann man an einem Tag mit dem Fahrrad durch vier Länder fahren", sagte sie jüngst bei einem Europadialog mit Bürgern in Trier mit Blick auf die angrenzenden Länder Luxemburg, Frankreich und Belgien.
Ihre beiden Staatsangehörigkeiten hätten sich nicht nur auf ihr ganzes Leben ausgewirkt, sondern auch ihre Grundeinstellungen geprägt, schreibt sie in "Migrationsgeschichten aus dem Bundestag", eine Aufsatzsammlung, die der frühere grüne Abgeordnete Özcan Mutlu herausgegeben hat. Darin erfährt man übrigens auch, dass die meisten Deutschen den Nachnamen "Barley", der übersetzt "Gerste" heißt, falsch aussprechen (das "ey" wie "ei").
Erst wollte sie nicht nach Europa
Lange Zeit schien es so, als würde Martin Schulz, der Spitzenkandidat bei der Europawahl des Jahres 2014 und langjährige Präsident des Europaparlaments im kommenden Jahr für die SPD erneut ins Rennen gehen. Zumal Katarina Barley zunächst wohl kein Interesse daran hatte, die Kandidatur zu übernehmen. Doch der 62-jährige Schulz wollte dann doch nicht und der SPD-Spitze um Parteichefin Andrea Nahles gelang es, Barley zu überzeugen.
Sie sei "eine sehr gute Wahl", so Schulz jetzt. Eine überzeugte Europäerin, "die einen Kampf für ein Europa der Humanität, der Gerechtigkeit und Solidarität" führe. Anders als Schulz bei der letzten Europawahl wird Katarina Barley aber nur nationale Spitzenkandidatin der SPD. Der Spitzenkandidat der europäischen Sozialdemokraten und damit auch Kandidat für das Amt des Kommissionspräsidenten soll der auch von Nahles unterstützte Niederländer Frans Timmermans werden.