Ein Bild des NS-Künstlers Adolf Ziegler hängt in der Dauerausstellung der Münchener Pinakothek. Georg Baselitz fordert das Museum dazu auf, das Werk zu entfernen. Denn Ziegler verfolgte jüdische und "entartete" Künstler.
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Es ist ein Werk, das ins Auge sticht, allein aufgrund seiner Größe: Das dreiteilige Gemälde "Vier Elemente" von Adolf Ziegler stellt vier nackte blonde Frauen dar, die die Elemente Feuer, Wasser, Luft und Erde verkörpern sollen. Es hängt in der neu kuratierten Dauerausstellung der Pinakothek der Moderne in München, einem der wichtigsten Kunstmuseen Deutschlands.
Dagegen hat sich nun der deutsche Künstler Georg Baselitz in einem Brief ausgesprochen - und die Abhängung des Werkes gefordert. "Das Triptychon beleidigt seine Umgebung!", so Baselitz, der sich regelmäßig unter den Top Ten der wichtigsten Künstlerinnen und Künstler der Welt wiederfindet. Über den Brief berichtete zunächst die "Süddeutsche Zeitung".
"Es schockiert, dass Nazipropaganda auf diese schmuddelige Art in einem Münchner Museum möglich ist", schrieb Baselitz an den Generaldirektor der Staatsgemäldesammlungen, Bernhard Maaz, und an Bayerns Kunstminister Markus Blume. Außerdem sei es ein "schlechtes" Bild.
Wer war Adolf Ziegler?
Laut Süddeutscher Zeitung wird das Triptychon im Museum als eines der "bekanntesten Werke nationalsozialistischer Kunstproduktion" ausgewiesen. In der Tat war Adolf Ziegler ein wichtiger Nazi-Funktionär. Von 1936 bis 1943 fungierte er als Präsident der Reichskulturkammer. Seine Aufgabe war es, die Kunst in Deutschland gleichzuschalten: Jüdische und solche Künstlerinnen und Künstler, die Kunst erschufen, die den Nazis nicht gefielen, wurden mit einem Berufsverbot belegt, ihre Werke als "entartet" bezeichnet und beschlagnahmt oder vernichtet.
Laut Jürgen Kaumkötter, Direktor des Zentrums für verfolgte Künste in Solingen, war es Adolf Ziegler, der die große Nazi-Ausstellung "Entartete Kunst" organisierte. Kaumkötter bezeichnet den Nazi-Funktionär als einen der Haupttäter, "was die Verfolgung der entarteten Kunst anging".
Was bedeutet "entartete Kunst"?
Adolf Hitler erklärte Kunst zur Chefsache, war er doch selbst einige Jahre Kunstmaler gewesen. Ihm gefielen Werke der Romantik mit ihren verklärten Darstellungen deutscher Landschaften. Die moderne Kunst hingegen verabscheute er: den Surrealismus, Expressionismus, auch den Kubismus eines Pablo Picasso.
Für die Ausstellung "Entartete Kunst", die 1937 zum ersten Mal in München gezeigt wurde, ließen Ziegler und die Nationalsozialisten 650 moderne Gemälde, Grafiken und Skulpturen aus 32 Museen beschlagnahmen, darunter bedeutende Meister wie Wassily Kandinsky, Emil Nolde, Lyonel Feininger, Ernst Barlach oder Ernst Ludwig Kirchner. Die stellten sie aus, begleitet von Parolen und höhnischen Kommentaren, die sie auf die Wände geschmiert hatten.
"Entartete Kunst": Wie Hitler und die Nazis Kunst diffamierten
Adolf Hitler war vor der Machtergreifung 1933 selbst Kunstmaler. Als "Führer" kategorisierte er Kunstwerke nach seinem Gusto - was er verabscheute, wurde als “entartete Kunst” gebrandmarkt und aus Museen entwendet.
Bild: picture-alliance/akg-images
Entartete Kunst
Als "entartete Kunst" bezeichneten Adolf Hitler und die Nationalsozialisten Kunstwerke der Moderne, deren Stil, Künstler oder Sujet ihnen nicht genehm waren. Die Nazis beschlagnahmten solche Kunstwerke ab 1937 aus deutschen Kunstmuseen. In einer Wanderausstellung wurde "entartete Kunst" vor Publikum an den Pranger gestellt. Hier besichtigen Goebbels und Hitler die Originalausstellung in München.
Bild: picture-alliance/dpa
Hitler und die Kunst
Hitler mochte die Romantik sowie Malerei des 19. Jahrhunderts, bevorzugt ländliche Idyllen. In seiner Privatsammlung fanden sich z.B. Werke von Cranach, Tintoretto und Bordone. Hitler wollte sich in seinem Ruhestand - analog zu seinen Vorbildern Ludwig I. von Bayern und Friedrich dem Großen - selbst einer Kunstsammlung widmen. Sie sollte in Linz an der Donau im "Führermuseum" gezeigt werden.
Bild: picture-alliance/Everett Collection/Actual Films
Die Enteignungen
Die Nationalsozialisten waren nicht die Ersten, die Avantgarde-Künstler verfemten, aber sie gingen einen Schritt weiter, indem sie ihre Werke aus den Kunsthäusern verbannten. Über 20.000 Werke ließen die Machthaber 1937 aus 101 staatlichen deutschen Museen abtransportieren. Alles, was den Nazis als nicht erbaulich für das deutsche Volk erschien, wurde abtransportiert.
Bild: Victoria & Alber Museum
Hitlers Nationalstil
Abstrakte Kunst hatte in Hitlers “Nationalstil” nichts verloren. Das machte auch die “Große Deutsche Kunstausstellung” klar, die am 18.7.1937 in München die traditionellen Landschafts-, Historien- und Aktmalereien u.a von Fritz Erler, Hermann Gradl oder Franz Xaver Stahl zur Schau stellte. Je näher das Sujet der realen Vorlage kam, umso schöner war sie in den Augen des Führers.
Bild: Bundesarchiv, Bild 183-C10110/CC-BY-SA
Was als entartet galt
Sogar unter seinen Untergebenen herrschte große Unsicherheit darüber, welche Künstler Hitler akzeptierte. Klarheit brachten die Große Deutsche Kunstausstellung 1937 und die zeitgleiche Ausstellung "Entartete Kunst" in den Münchner Hofgarten-Arkaden. Verfemt wurden Kunstschaffende der Moderne, darunter Max Beckmann, Otto Dix, Wassily Kandinsky, Paul Klee, Ernst Ludwig Kirchner und Max Pechstein.
Bild: picture-alliance/akg-images
Entartete Kunst auf Tournee
Die Ausstellung "Entartete Kunst" zeigte 650 konfiszierte Kunstwerke aus 32 deutschen Museen. Sie setzte die Exponate mit Zeichnungen von geistig Behinderten gleich und kombinierte sie mit Fotos verkrüppelter Menschen, die bei den Besuchern Abscheu und Beklemmungen erregen sollten. Über zwei Millionen Besucher sahen die Schau, die in verschiedenen Städten gezeigt wurde.
Bild: cc-by-sa/Bundesarchiv
Rechtsgrundlagen
Das "Gesetz über Einziehung von Erzeugnissen entarteter Kunst" vom 31.5.1938 legalisierte rückwirkend den entschädigungslosen Einzug der Kunstwerke. Nach Kriegsende behielt das Gesetz seine Gültigkeit, es habe lediglich Staatsbesitz umverteilt, beschieden die Alliierten. Werke, die Nazis als "entartete Kunst" aus den Museen trugen, können im Gegensatz zu Raubkunst bis heute frei gehandelt werden.
Bild: CC by Österreichische Nationalbibliothek
Handel mit "entarteter Kunst"
Die beschlagnahmten Werke kamen in Depots in Berlin und ins Schloss Schönhausen. Viele Verkäufe enteigneter Werke wurden durch die vier Kunsthändler Hitlers, Bernhard A. Böhmer, Karl Buchholz, Hildebrand Gurlitt und Ferdinand Möller, durchgeführt. Ein Bestand an ca. 5000 nicht verkauften Kunstwerken wurde am 20.3.1939 von der Berliner Feuerwehr in einer als Übung bezeichneten Aktion verbrannt.
125 Werke waren für eine Versteigerung in der Schweiz vorgesehen. Eine von Hermann Göring und anderen eingesetzte Kommission zur Verwertung der Produkte entarteter Kunst schätzte die Mindestgebote und wählte schließlich die Galerie Fischer in Luzern für die Auktion aus. Diese Auktion fand am 30.6.1939 statt und fand großes Interesse in der ganzen Welt.
Bild: Fotolia/Fredy Thürig
Viel “entartete Kunst” bei Gurlitt
Über 21.000 Werke "entarteter Kunst" waren beschlagnahmt worden. Über die Anzahl, die seitdem verwertet worden sind, herrscht bis heute Uneinigkeit. Je nach Quelle ist die Rede von 6000 bis 10.000 veräußerten Werken. Anderes wurde vernichtet oder verschwand. Hunderte verschollen geglaubter Werke sind in Cornelius Gurlitts Sammlung wieder aufgetaucht. Und haben die Diskussion neu entfacht.
Bild: privat/Nachlass Cornelius Gurlitt
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"Wir sehen um uns herum diese Ausgeburten des Wahnsinns, der Frechheit, des Nichtskönnertums und der Entartung", soll Adolf Ziegler damals gesagt haben. Die Schau, die anschließend in weiteren zwölf Städten zu sehen war, wurde zum Publikumsrenner: Mehr als zwei Millionen Menschen sahen die Wanderausstellung. Es war die bis dahin erfolgreichste Schau moderner Kunst - und markierte einen Wendepunkt in der NS-Kunstpolitik.
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Wie die Nazis moderne Kunst vernichteten
Ab August 1937 begannen die Nationalsozialisten die Kunst, die ihnen nicht passte, systematisch zu vernichten. In einer zweiten, gründlicheren Beschlagnahmung wurden weitere 20.000 Werke von rund 1400 Künstlerinnen und Künstlern konfisziert, in einem Berliner Depot eingelagert, verbrannt oder im Ausland versteigert.
Dabei gingen viele Werke verloren - und manche Künstlerinnen und Künstler sind bis heute nicht wiederentdeckt worden. "Junge Künstler, die gerade erst am Anfang ihrer Karriere standen, sind nun gänzlich vergessen, anders als die schon damals bekannten Maler", beklagte Meike Hoffmann von der Freien Universität Berlin 2017 gegenüber der DW.
Wie geht man in Deutschland heute mit NS-Kunst um?
Die Pinakothek der Moderne ist das einzige Museum in Deutschland, das ein Werk der NS-Kunst in seiner Dauerausstellung zeigt. Zwar betont Kaumkötter, NS-Kunst dürfe nicht einfach weggesperrt werden. "Das Bild muss aber sehr deutlich kontextualisiert werden. Der Besucher muss sofort erkennen können, dass das Werk im ideologischen Zusammenhang eines verbrecherischen Regimes steht", forderte der Direktor des Zentrums für verfolgte Künste in Solingen. Eine bloße Texttafel reiche dafür nicht aus.
Baselitz hingegen stellt in seinem Brief die Frage, warum die Kuratoren dem Werk überhaupt wieder einen Platz in der Dauerausstellung gegeben haben. Gerade erst wurde diese unter dem Motto "Mix'n'Match" umorganisiert, um Inhalte zu beleuchten, "die für die Gesellschaft des 21. Jahrhunderts von zunehmender Relevanz sind - wie sozialer Zusammenhalt, Migrationsbewegungen, neue Formen der Arbeit oder Umweltfragen", wie es auf der Internetseite des Museums heißt.
Inwiefern das auf Adolf Ziegler zutrifft, kann sich Georg Baselitz offensichtlich nicht erklären. Er empfindet es als Beleidigung, dass Zieglers Werk in einem Raum hängt mit den Künstlern, die dieser verfolgte. "Ziegler hat Kunst und Künstler vernichtet. Er gehört nicht in den Saal seiner Opfer", schreibt Baselitz laut der "Süddeutschen Zeitung".
Wie reagiert die Pinakothek?
Sammlungsleiter Maaz und der Kurator Oliver Kase wiesen den Vorwurf der propagandistischen Wirkung des Bildes zurück, das während der NS-Zeit ein beliebtes Postkartenmotiv war und das Adolf Hitler in der NSDAP-Zentrale in München aufgehängt hatte.
Die kritische Auseinandersetzung mit NS-Kunst sei eine wichtige Aufgabe von Kunstmuseen, sagten sie der Deutschen Presse-Agentur (DPA). Sie plädieren für eine "historisch versachlichte Beschäftigung mit NS-Kunst jenseits moralisierender Vorwürfe". Gegenüber der DPA bleibt eine Erläuterung aus, inwiefern ihre Präsentierung des Werkes in der erneuerten Dauerausstellung diese kritische Auseinandersetzung ermögliche oder wie eine "versachlichte Beschäftigung" konkret aussehe.
Der Kunstexperte Jürgen Kaumkötter übt deutliche Kritik. "Ich halte das für höchst problematisch. Man kann solche Kunst nicht hoffähig machen", sagte er der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Georg Baselitz fordert in seinem Brief schlicht: "Hängt ihn ab!"
Nazi-Werke im Museum: Ausstellung "Artige Kunst"
Kunstwerke aus der NS-Zeit gelten als Propaganda, die Hitler gezielt für seine Zwecke einsetzte. Die Schau "Artige Kunst" zeigt sie im Dialog mit eben jener Kunst, die die Nazis als "entartet" bezeichneten.
Bild: picture-alliance/dpa/B. Thissen
"Bodybuilding-Idealität" statt Realität
Arno Breker war der Lieblingskünstler von Adolf Hitler. In der Wanderausstellung "Artige Kunst" begegnen sich die Skulptur "Zehnkämpfer" und das Gemälde "Ruhrrevier" von Conrad Felixmüller, das die Nazis 1937 als "entartet" diffamierten. Anders als die "Bodybuilding-Idealität" - wie der Kunsthistoriker Max Imdahl Brekers Skulpturen bezeichnete - zeigt es ausgemergelte Arbeiter im Ruhrgebiet.
Bild: picture-alliance/dpa/B. Thissen
Heile Welt versus KZ-Elend
Ein kleiner Junge läuft an Leichen vorbei, die achtlos am Straßenrand abgelegt wurden. Das Foto entstand 1945, kurz nach der Befreiung des Konzentrationslagers Bergen-Belsen durch die Amerikaner. Daneben hängt das Nazi-Propaganda-Plakat "Gesunde Eltern - Gesunde Kinder" und das "Familienbild" von Hans Schmidt-Wiedenbrück. Es zeigt eine Familie mit blonden Kindern, das Idealbild der Nazis.
Bild: picture-alliance/dpa/B. Thissen
Falsche Idylle
Gemälde wie "Arbeitsmaiden, vom Felde heimkehrend" von Leopold Schmutzler, "Pflügen" von Paul Junghanns und "Bauernmahl" von Herman Otto Hoyer zeigen die verlogene Bildsprache der Nationalsozialisten, die nichts mit der Realität der Zeit zu tun hatten. Das "ehrliche" Landleben zählte zu den Hauptmotiven der Nationalsozialisten. Die vorindustrielle Agrargesellschaft wurde dabei überhöht.
Bild: picture-alliance/dpa/B. Thissen
Kämpfen auf hoher See
"Im Kampfgebiet des Atlantiks" nannte Claus Bergen dieses Gemälde. Die Wellen türmen sich meterhoch, das Marineschiff kämpft sich durch die Gischt geradewegs in den erleuchteten Himmel. Die Wolken unterstreichen Dramatik und Romantik des Szenarios. Die Botschaft ist klar: Das Meer ist kein Kampfgebiet, sondern ein großer Abenteuerspielplatz für Helden.
Bild: picture-alliance/dpa/B. Thissen
Krisenfreie Kunst
Stilistisch liegt die Kunst des Nazi-Regimes weit hinter den Strömungen der Zeit zurück. Während Künstler der Moderne das Gemälde als Abbild der Realität hinterfragen, greifen Künstler wie Hermann Otto Hoyer auf einen plumpen und verfälschenden Realismus zurück. Das "Bauernmahl" malte Hoyer 1935, es zeigt ein Lieblingsmotiv der Nazis: die deutsche Familie.
Bild: picture-alliance/dpa/B. Thissen
Geschönte Kindheit
Das Foto "Captured Boy Soldier" von John Florea (l.) und das Gemälde "Der Urlauber (Auf Heimaturlaub)" von Paul-Mathias Padua hängen nebeneinander. Den Soldaten als Urlauber zu bezeichnen, ist purer Hohn. Die Kinder kleben dem Vater an den Lippen, während er - in Uniform - wahrscheinlich vom Krieg erzählt. Die Realität sah anders aus, wie das Foto des verzweifelten gefangenen Soldatenjungen zeigt.