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Politik

Basra, die Hitze und der Zorn

16. Juli 2018

Seit Tagen protestieren die Menschen im Süden des Irak für eine Verbesserung ihrer Lebensumstände. Die Demonstrationen haben aber auch einen politischen Hintergrund. Der weist weit über die Landesgrenzen hinaus.


Naher Osten Irak Demonstration
Bild: picture-alliance/AP Photo

Es ist heiß im Süden des Irak. Stechende Sonne bei über 50 Grad Celsius, gegen die derzeit einzig der Schatten schützt. Auf ihre Klimaanlagen und Ventilatoren können die Bewohner rund um Basra nicht hoffen - für ihren Betrieb fehlt der Strom, da die Elektrizitätswerke der Region immer wieder ausfallen.

Zur Hitze gesellt sich der Mangel an sauberem Wasser. Der Fluss Schatt al-Arab trocknet seit Jahren immer weiter aus. Wie Euphrat und Tigris, aus denen er sich speist, gehen seine Wassermassen aufgrund der seit Jahren anhaltenden Dürre immer weiter zurück. Das Bild der Ödnis erinnert an Zeiten einer politisch begründeten Katastrophe: Aus Rache für den Aufstand der Schiiten 1991 hatte Saddam Hussein weite Teile der aus dem Fluss gespeisten einzigartigen Sumpflandschaft trockenlegen lassen. Nach seinem Sturz verwandelten deren Bewohner sie erneut in blühende Landschaften - um jetzt ein weiteres Mal ihren Niedergang erleben zu müssen.

Im Süden der Stadt leiden die Menschen zudem am hohen Salzgehalt des Wassers, das sie - theoretisch - auch zum Trinken benutzen. Von Süden nämlich dringt das Salz des Persischen Golfs in die Flussarme vor - mit der Folge, dass das Wasser ungenießbar wird, für Menschen, Vieh und Pflanzen gleichermaßen. Fällt dann auch noch die Müllabfuhr aus, wird das Leben völlig unerträglich.

Seit mehreren Tagen gehen die Menschen der Region für bessere Lebensbedingungen auf die Straße. Sie fordern eine grundlegende Verbesserung der Infrastruktur und auch, dass ihre Steuergelder zu ihrem Nutzen verwendet werden. Auch fragen sie sich, wohin eigentlich die Einnahmen aus dem Verkauf des Erdöls gehen. Die Region um Basra ist das Zentrum der irakischen Petro-Wirtschaft, dort lagern die größten Ölvorkommen des Landes. In ihrer Verzweiflung stürmten Demonstranten auch die Gebäude der staatlichen "South Oil Company". Es brauchte eigens aus Bagdad entsandte Sicherheitskräfte, um die Besetzung wieder aufzulösen. Die Proteste verliefen nur zu Teilen friedlich: Lokalen Medienberichten zufolge starben in verschiedenen Städten mehrere Menschen, als es zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und irakischen Sicherheitskräften kam.

Ödland: Grenzgebiet zwischen Irak und IranBild: picture-alliance/NurPhoto/N. Falk Nielsen

"Die Menschen wollen eine Perspektive" 

Wie brisant die Lage ist, deutet der Umstand an, dass in vielen Teilen des Landes der Zugang zum Internet und den sozialen Netzwerken gesperrt ist. Nachdem Bürger auch in anderen Regionen protestierten, fürchten die Behörden offenbar ein weiteres Überspringen der Proteste auf weitere Landesteile.

Anlass zur Sorge haben sie: Die Arbeitslosigkeit lag im Jahr 2017 bei knapp 15, die Jugendarbeitslosigkeit sogar bei rund 33 Prozent. Seit Jahren träumen die Iraker von besseren Lebensbedingungen. Insbesondere die jungen Menschen wollten die derzeitigen Zustände hinter sich lassen, sagt Nils Wörmer, Leiter des für den Irak und Syrien zuständigen und in Beirut ansässigen Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung, im Gespräch mit der DW: "Es geht ihnen um Arbeitsplätze und eine Perspektive im Irak, um eine Familie gründen zu können und diese mit einem Einkommen zu versehen. Nach den kriegerischen Auseinandersetzungen der letzten Jahre ist dies der Punkt, für den sich junge Iraker am meisten interessieren."

Die Lage ist besonders angespannt, weil sich die wirtschaftlichen Hoffnungen trotz fortschreitender politischer Liberalisierung nicht erfüllt haben. Als die Iraker vor über vier Jahren den schiitischen Politiker Haidar al-Abadi zum Premierminister wählten, verbanden sie damit die Hoffnung, er würde auch ihre persönlichen Lebensumstände verbessern. "Abadi ist vor allem als Reformer angetreten, der im Bereich der Verwaltungs- und vielleicht auch der Wirtschaftsreform Impulse setzen kann", sagt Nils Wörmer. "Doch diese Erwartungen haben sich nicht erfüllt."

Demonstration für die Zukunft: Proteste im IrakBild: AFP/Getty Images/A. Al Rubaye

Einen Durchbruch sollten die Parlamentswahlen im Mai bringen. Doch im Juli ordnete das Oberste Bundesgericht des Landes an, rund elf Millionen Stimmzettel wegen Manipulationsverdacht neu auszuzählen. Danach löste sich das Parlament auf, die Regierungsbildung kommt nur stockend voran.

Gerüchte um Einfluss Irans

Das Durcheinander im Irak mache sich sein Nachbar Iran zunutze, sagt der irakische Politikwissenschaftler Saad Jawad, der an der London School of Economics lehrt. Er weist darauf hin, dass die Proteste in den schiitischen Provinzen des Landes begonnen haben - und dabei habe der Iran womöglich "eine größere Rolle" gespielt", erklärt er im katarischen Nachrichtensender Al-Dschasira.

Der Iran nutze die Schwäche des Irak zunächst politisch aus. Das seit der Aufkündigung des Atomabkommens durch US-Präsident Donald Trump wirtschaftlich geschwächte Land habe die Strom- und Wasserzufuhr in den Irak gekappt, weil es diese für sich selbst brauche. Vor allem aber seien die Unruhe auch eine diskrete politische Botschaft an die USA, meint Jawad: "Die Iraner wollen den Amerikanern eines zu verstehen geben: Wenn ihr uns irgendwo Probleme macht, können wir euch überall schlagen - in Syrien, im Irak, am Golf, wo auch immer." So gesehen, wäre der Irak ein weiteres Mal Spielball fremder außenpolitischer Interessen.

Für einen geeinten Irak: Schiitenführer Muktada al-SadrBild: picture-alliance/AP Photo/K. Kadim

Den Einfluss des Auslandes wollten die Iraker auch durch die Parlamentswahlen im Mai überwinden. Damals wählten sie das Bündnis des Schiitenführers Muktada al-Sadr. Der warb damit, die Iraker nach Jahren des Krieges wieder miteinander versöhnen zu wollen. Über die konfessionellen Gegensätze stellte er das Bekenntnis zum irakischen Nationalstaat. Die Iraker ließen sich von diesem Angebot überzeugen. Die nationale Einheit schien ihnen der einzige Weg, zu außenpolitischer Stabilität zu gelangen.

Dieser Prozess ist noch nicht an sein Ende gekommen, schreibt die in London erscheinende Zeitung Al Quds al-Arabi anlässlich der jüngsten Proteste. Der Iran habe weiterhin einen "starken Einfluss auf die Angelegenheiten des Irak", heißt es in dem Blatt: Die Proteste würden in Teilen aus dem Iran gesteuert. Belegt sind diese Vermutungen nicht. Die im Lande zirkulierenden Gerüchte zeigen aber, wie angespannt die politische Lage ist - nicht nur in Basra.

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika