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Politik

Zeichnen gegen das Trauma

Lisa Louis
11. März 2020

Eine Überlebende des Anschlags auf das Bataclan in Paris hat einen Weg gefunden, besser mit ihrem Trauma umzugehen: Sie zeichnet. Sie will sich nicht unterkriegen lassen von der Angst, die der Anschlag ausgelöst hat.

Paris Catherine Bertrand vor dem Bataclan
Bild: DW/L. Louis

Zeichnen gegen die Angst

03:12

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Für Catherine Bertrand ist es ein Akt des Widerstands, zur Bataclan-Konzerthalle zurückzugehen. Die 39-jährige Pariserin hat einen von Frankreichs schlimmsten Terroranschlägen überlebt. Am 13. November 2015 erschossen drei Attentäter 90 Menschen während eines Konzerts der Rockband Eagles of Death Metal.

"Ich hab noch immer einen Kloß im Hals, wenn ich hierher komme," sagt sie als sie an einem bewölkten Freitag Nachmittag vor dem Bataclan im nordöstlichen Paris steht. "Aber ich wollte keine Phobie entwickeln und bin deshalb schnell regelmäßig zurückgekommen. Ich liebe es, zu Konzerten zu gehen, und wollte das nach der Attacke auch nicht aufgeben. Und es ist wie eine Pilgerfahrt für mich. Ich zolle den Toten meinen Respekt und erinnere mich daran, wie glücklich ich mich schätzen kann."

Das Massaker im Bataclan war eines von mehreren, fast gleichzeitig verübten Anschlägen in jener Nacht. Die sieben Attentäter töteten 131 Menschen, auch in Schießereien und Selbstmordanschlägen am Fußballstadion Stade de France und in mehreren Kneipen.

Frankreich gedenkt an diesem Mittwoch der Opfer - es ist der Französische und Europäische Gedenktag für die Opfer des Terrorismus. In den vergangenen fünf Jahren sind in Frankreich mehr als 250 Menschen bei Terroranschlägen getötet worden.

Catherine Bertrand kommt seit 2015 regelmäßig zum Bataclan, um der Getöteten zu gedenkenBild: DW/L. Louis

"Ich hatte das Gefühl, verrückt zu werden"

Catherine Bertrand hat einen Weg gefunden, mit dem Trauma umzugehen, das dieser Terrorangriff verursacht hat. Ihre Methode könnte auch anderen Traumatisierten in Frankreich und auch weltweit helfen.

Bertrand überlebte die Attacke unverletzt. Zumindest physisch. Denn kurze Zeit später bekam sie eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) - ein häufiges Phänomen bei Opfern von Terror und Krieg.

"Ich habe mir gesagt, dass alles ok ist. Schließlich war ich heil aus dem Bataclan herausgekommen," erinnert sich Bertrand. "Ich wollte mir die Symptome nicht eingestehen. Aber dann wurde ich extrem empfindlich. Geräusche,  wie eine zugeschlagende Tür, etwas, das auf den Boden fällt oder auch ein Luftballon, der platzt, haben mir richtig Angst gemacht. Ich hatte akustische Halluzinationen, habe auf einmal Sirenen gehört, die gar nicht da waren", sagt sie. "Außerdem habe ich mich schuldig gefühlt, dass ich noch lebe. Die anderen waren gestorben. Ich hatte das Gefühl, verrückt zu werden."

Ihre Familie und Freunde taten sich schwer damit, sie zu verstehen. Und Bertrand schaffte es nicht, ihre Gefühle in Worte zu fassen. Sie brachte sie mit einer Methode zum Ausdruck, die von klein auf eins ihrer Hobbys gewesen war: das Zeichnen.

Catherine Bertrand zeichnet, um ihr Trauma zu überwinden. "Die Eisenkugel steht für meine PTBS-Symptome", sagt sie. Bild: DW/L. Louis

Die unsichtbare Verletzung erklären

"Ich habe einen Monat nach dem Anschlag mit dem Zeichnen angefangen," sagt sie, während sie an einem Bild arbeitet, auf dem sie eine riesige Eisenkugel hinter sich eine Treppe hochzieht. "Ich habe all mein Leid auf Papier gebracht. Mir fiel ein Stein vom Herzen. Es war wie eine Katharsis. Ich wollte, dass die Menschen endlich meine unsichtbare Verletzung verstehen. Die Eisenkugel steht für meine PTBS-Symptome."

Auf anderen Bildern sieht man, dass Bertrand Panikattacken hat - zum Beispiel, wenn sie in eine überfüllte Metro einsteigen muss oder auf einmal auf der Straße einen Presslufthammer hört. Die Zeichnungen beschreiben, wie unverstanden sie sich von Freunden, Kollegen und ihrer Familie fühlte und wie viel Anstrengung und professionelle Hilfe es brauchte, damit sie sich letztendlich etwas besser fühlte.

Dann wurde ihr klar, dass diese Zeichnungen nicht nur ihr helfen könnten. "Als ich sie anderen Überlebenden gezeigt habe, haben sie gesagt, dass die Bilder genau das beschrieben, was sie selbst durchmachten," erklärt Bertrand. "Sie haben die Zeichnungen ihrer Familie und ihren Freunden gezeigt und es dadurch geschafft, wieder eine Verbindung zu ihnen herzustellen."

Deswegen veröffentliche Bertrand ihre Zeichnungen in einem Buch mit dem Titel "Chroniken einer Überlebenden" (Chroniques d'une survivante). Dieses Buch will sie nun auch in anderen Sprachen herausbringen lassen. "Meine Zeichnungen könnten Opfern des Terrors oder anderer Traumata auf der ganzen Welt helfen. Ich will ihnen zeigen, dass sie nicht alleine sind in ihrem Leiden, und dass es wichtig ist, sich professionelle Hilfe zu holen," meint sie.

"Chroniken einer Überlebenden", heißt das Buch von Catherine BertrandBild: DW/L. Louis

"Eine neue Catherine"

Natürlich haben die Zeichnungen das Problem nicht ganz aus der Welt geschafft. Bertrand leidet noch immer unter einigen PTBS-Symptomen - auch, weil andere Anschläge - egal wo - diese wieder auslösen. Aber sie versucht, so gut wie möglich nach vorne zu schauen. Sie hat ein zweites Buch herausgebracht, in dem sie Alltagsprobleme beschreibt, wie zum Beispiel die Schwierigkeiten einer Mutter, die von zuhause arbeitet und gleichzeitig auf ihre Kinder aufpassen muss, während sie zudem noch krank ist. Das Buch ist Bertrands Versuch, so gut es geht wieder zu einem normalen Leben zurückzufinden. Auch wenn der Anschlag sie für immer verändert hat.

"Es ist, als ob ich jetzt eine neue Catherine wäre", sagt sie. "Mein altes Ich ist tot. Ich traue mich viel mehr. Ich habe keine Zeit zu verlieren und will mein Leben voll ausschöpfen. Das zweite Buch ist ein Symbol dieses neuen Lebens", sagt sie. "Ich habe viele Ziele. Vorher war ich Archivarin, und in der Zwischenzeit habe ich eine Ausbildung zur Grafikerin gemacht. Ich will mich in meiner Kunst voll entfalten."

Bertrand will auch weiterhin regelmäßig zum Bataclan gehen. Sie will sich nicht unterkriegen lassen von der Angst, die die Terroristen in ihr ausgelöst haben.

 

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