Battir kämpft um seine Landschaft
1. Februar 2014Überall gluckert das Wasser und bahnt sich seinen Weg durch die steinernen Kanalrinnen auf die Felder. Idyllisch liegen die Terrassenanlagen des palästinensischen Dorfes Battir in der Morgensonne. Seit Generationen werden die Felder und Gärten hier landwirtschaftlich genutzt. Hier gibt es alles, was das Herz begehrt: Bohnen und Zucchini, Zitronen und Aprikosen - und Auberginen, für die Battir besonders bekannt ist. "Ich muss nie auf den Markt, es gibt alles hier", sagt Abu Hussam. "Im Winter haben wir die Zitronen und Orangen, und im Sommer Tomaten, Auberginen und viele Kräuter." Seine Familie ist heute an der Reihe, ihre Felder mit dem Quellwasser zu bewässern.
In Battir hat jede der acht großen Familien, die in dem Dorf am südlichen Rand von Jerusalem leben, ihren eigenen Bewässerungstag. Dann dürfen sie das Quellwasser aus den Zisternen über die vielen Rinnen auf ihre Felder leiten. Am nächsten Tag ist dann der nächste Clan an der Reihe. Das ausgeklügelte Bewässerungssystem stammt zum Teil noch aus römischen Zeiten - und funktioniert bis heute "zu 100 Prozent", wie Abu Hussam mit einem zufriedenen Lächeln erklärt. Um die Zukunft der einzigartigen Landschaft macht sich der ältere Herr jedoch große Sorgen: Denn die israelische Regierung will auch hier ihre Sperrmauer hinbauen.
Nach jahrelangem Streit vor israelischen Gerichten mit Petitionen und Klagen hat sich nun auch das Oberste Gericht in einer letzten Anhörung damit befasst. Eine Entscheidung wurde nochmal vertagt, aber aufatmen können die Bewohner von Battir deshalb nicht.
Züge schützen, Land nutzen
Die Lage sieht so aus: Entlang der Bahngleise verläuft die "Grüne Linie" - die Waffenstillstandslinie zwischen Israel und dem palästinensischen Westjordanland aus dem Jahr 1949. Battir ist eines der letzten palästinensischen Dörfer rund um Jerusalem, das noch nicht durch die israelische Sperranlage abgetrennt ist. Diese Sperranlage windet sich schon jetzt auf mehr als 700 Kilometern durch das Land. Mit dem Bau war 2003 auf dem Höhepunkt der Zweiten Intifada begonnen worden, als es zahlreiche Selbstmordanschläge gab. Mit dem Teilstück um Battir wollen die israelischen Sicherheitsbehörden nun eine der letzten Lücken um Jerusalem schließen. Außerdem soll so die Bahn geschützt werden, die alle halbe Stunde in gemächlichem Tempo durch das Tal von Tel Aviv nach Jerusalem und zurück fährt.
Für Battirs Bürgermeister Akram Bader ist das ein vorgeschobenes Argument. "In all den Jahren ist nicht ein Stein auf die Züge geflogen“, sagt Bader, während er entlang der Bahngleise durch das Tal läuft. Denn die Bewohner wüssten um die Konsequenzen. Vor 60 Jahren hatten die damaligen Bewohner von Battir ein Abkommen mit den Israelis erzielt, dass sie die Felder auf beiden Seiten der Bahnlinie nutzen konnten. Im Gegenzug sollten sie die vorbeifahrenden Züge schützen. Daran habe man sich immer gehalten, sagt der Bürgermeister.
Israels Naturschutzbehörde unterstützt Bewohner
Neben den Petitionen und Klagen setzt er auch auf internationalen Druck. "Das ist eine Zivilisation, die vor vielen tausenden Jahren entstanden ist. Und heute kommt eine Barriere daher, die das ganze in wenigen Stunden zerstört. Damit wird auch ein Stück internationales Kulturerbe zerstört.“ Landwirt Abu Hussams größte Sorge ist, dass er das Land jenseits der Bahnlinie künftig womöglich nur noch mit besonderer Erlaubnis israelischer Soldaten betreten darf. „Es fühlt sich an, als ob sie einen Teil von mir abtrennen, eine Hand oder gar ein Bein. Dieses Land bedeutet für mich Leben”, sagt der Mann, der seinen Kopf mit der traditionellen Kuffiyeh bedeckt hat. “Sie nehmen mir meine Erinnerung an das Land meines Vaters und Großvaters.“
Israel begründet den Bau seiner gesamten Sperranlage damit, dass dadurch Terroranschläge verhindert würden. Im Fall Battir betont das israelische Verteidigungsministerium gegenüber der DW in einer Stellungnahme schriftlich, dass die "Sicherheitsbehörden besonders umsichtig vorgehen, um nicht die Lebenswelt der Dorfbewohner zu beeinträchtigen und nicht die besonderen Terrassenanlagen zu beschädigen“. Anders als der Nachbarort Walaje, wo die Sperranlage in Form einer Betonmauer gebaut wurde, könnte die Sperranlage im Tal als elektronisch gesicherter Zaun errichtet werden.
Doch Umweltorganisationen wie “Friends of the Earth Middle East” und sogar die israelische Naturschutzbehörde sind skeptisch, dass damit auf die einzigartige Landschaft Rücksicht genommen wird. Sie unterstützen die Bewohner in ihrem Kampf.
Auch im Cremisan-Tal regt sich Widerstand
Auch ein paar Kilometer entfernt, in Beit Jala bei Bethlehem, ist noch eine Lücke in der Sperranlage. Jeden Freitag Nachmittag feiern die mehrheitlich christlichen Bewohner eine Messe unter freiem Himmel, auf einem Olivenhain - als Protest gegen den Bau der Sperranlage. Diese soll im Cremisan-Tal entstehen, das zwischen Jerusalem und Beit Jala liegt. Dort sind auch zwei Klöster des Salesianer-Ordens ansässig. Die Nonnen des Ordens unterhalten eine Grundschule für palästinensische Kinder, die Mönche stellen den bekannten Cremisan-Wein her. Sollte die Sperranlage hier gebaut werden, wären beide Klöster voneinander getrennt und die Dorfgemeinschaft von ihrem Land.
“Das Tal hier ist ökonomisch wichtig, aber auch die einzige Möglichkeit, die es zur Erweiterung des Dorfes rund um Bethlehem noch gibt”, sagt Anica Heinlein, Beraterin bei der katholischen Menschenrechtsorganisation Society of St. Yves. Wie in Battir versuchen die Anwohner auch hier seit Jahren, mit Petitionen und Klagen an israelische Gerichte den Verlauf der Sperranlage zu ändern. Sie argumentieren, dass die Barriere auch auf der anderen Seite des Tals verlaufen könnte. “Wir riskieren sonst", sagt Pfarrer Ibrahim Shomali, “dass wir damit unsere Identität als Christen, aber auch als Palästinenser, verlieren. Und damit unsere Zukunft im Heiligen Land.”