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Politik

Battle Royal an Irlands Grenzen

Tim Schauenberg
15. Januar 2019

An der britisch-irischen Grenze wächst nach 20 Jahren Frieden wieder die Gefahr einer gewaltsamen Auseinandersetzung. Radikale bringen sich in Stellung, Bewohner wappnen sich mental. Tim Schauenberg aus Nordirland.

Irland Grenze
Bild: Saoradh

Patrick Gallager mag es aufgeräumt, sortiert in Ruhe ein paar Dokumente. An der Seite kurz geschorenes Haar, Hipster-Brille. Er sitzt an einem Schreibtisch im Hinterraum eines kleinen Ladenlokals im nordirischen Londonderry, unweit der irischen Grenze, und lächelt.

An der Wand hinter Gallagers Schreibtisch zeigt er stolz extra große Bilder seiner Vorbilder: eine Auswahl an Vordenkern und Kämpfern für eine irische Republik. Der 26-jährige Gallager ist Sprecher einer radikalen Gruppierung names "Saoradh", auf irisch: Freiheit.

Es überrascht deshalb nicht, dass in der Ecke von Gallagers Büro eine gelb-grüne Flagge steht, darauf abgebildet sind Pflug, Schwert und eine Konstellation aus sieben Sternen. Sie ist das Symbol der Irish-Republican-Army (IRA), jener paramilitärischen Untergrundorganisation, die im Nordirlandkonflikt gegen die britische Armee kämpfte. 3500 Menschen starben dabei, erst nach fast 30 Jahren endete der Krieg, das Karfreitagsabkommen von 1998 sorgte für Frieden.

Britische Polizei - eine Provokation

Britische Polizisten und Soldaten sind für die Gruppe ein rotes Tuch und verhasst. Doch gerade die könnten nach dem Austritt Großbritanniens aus der EU zur Sicherung der britischen Außengrenzen bald wieder vermehrt in Londonderry zu sehen sein. Für Gallager eine Kriegserklärung an alle radikalen Republikaner. "Wenn es wieder eine Grenze geben sollte, kann ich nur davon ausgehen, dass es Angriffe geben wird."

Patrick Gallager vor dem Bild eines Aufmarsches von "Saoradh" zum "Bloody Sunday" 2017. Die radikale Gruppierung ist noch jung und zählt rund tausend Mitglieder.Bild: DW/T. Schauenberg

Molotowcocktails fliegen wieder

Vor 37 Jahren, am "Bloody Sunday", schossen britische Soldaten in Gallagers Heimat Londonderry während eines friedlichen Protests für die Unabhängigkeit auf 28 Zivilisten - einige von ihnen wurden tödlich getroffen. Londonderry war in Zeiten des Krieges ein Zentrum der Gewalt zwischen Untergrundkämpfern und den Einheiten des Königreichs und könnte es bald wieder sein, denn im Falle eines Brexits hat die nordirische Polizei bereits mehrere hundert Polizisten für die Überwachung der Grenze angefordert.

Das Stadtbild Londonderrys ist bis heute, 20 Jahre nach dem Friedensabkommen, gesäumt mit Aufrufen, Schriftzügen und Solidaritätsbekundungen der IRA. Bereits im Frühling und Sommer vergangen Jahres gab es in Londonderry Ausschreitungen zwischen britischen Einheiten und Radikalen aus dem Dunstkreis von Saoradh: Molotowcocktails flogen, Autos brannten, es gab einige Verhaftungen.

Hier trennt die Brücke zwei Länder, aber nicht die Gemeinschaft der Menschen. Ein Grenzübergang würde in Zukunft Familien und Freunde trennen.Bild: DW/T. Schauenberg

Die Gewalt, von der Patrick Gallager spricht, hat Mervin Johnson vor über 40 Jahren selbst zu spüren bekommen. Er lebt an einem der über 200 Grenzübergänge. Die meisten führen durch Weiden, Wälder, oder durch winzige Ortschaften - wie Pettigo. Die eine Seite befindet sich in Irland, die andere in Nordirland. Johnsons Autowerkstatt ist auf der irischen Seite direkt an der kleinen Brücke, die damals schon beide Dorfhälften miteinander verband - und damit in Reichweite der Molotowcocktails der IRA war. "Alle Geschäfte hier wurden ausgebombt, auch meine Werkstatt. Wir konnten damals zum Glück immer wieder rechtzeitig löschen. Als dann der Frieden kam, war es einfach fantastisch."

Absurde Linien

Eine erneute Grenze wäre heute für die Gemeinschaft des Dorfes eine Katastrophe. Menschen werden auf der einen Seite geboren und auf der anderen beerdigt, in Irland geht man zur Post, in Nordirland bei Mervin Johnson lässt man sein Auto reparieren.

Die Tankstelle von Terry Hughes ist mitten auf der Grenze. Demnächst müssten einige Kunden die EU verlassen, um den vollen Service zu nutzen.Bild: DW/T. Schauenberg

Wie bizarr die Situation für die Gemeinden an der Grenze ist, zeigt sich auch einen Ort weiter an der Tankstelle von Terry Hughes. Seine Zapfsäulen für Benzin und Diesel befinden sich in Irland, die für Biokraftstoff im Hinterhof sind auf nordirischem und damit britischem Hoheitsgebiet, aus Steuergründen." Ich laufe jeden Tag 30 bis 40 Mal über die Grenze. Jedes Mal, wenn ich Bier oder Kohle hole oder zur Arbeit fahre", sagt er. Wenn es eine "harte Grenze" und damit einen Grenzzaun gebe, müsse er einen Teil seines Geschäfts definitiv aufgeben.

"Die IRA ist zu einigem fähig"

Nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen ist Hughes sehr besorgt über die Situation. "Als Kind bin ich mit Maschinengewehren im Alltag aufgewachsen. Ich will nicht, dass es meinen Kindern auch so geht." Die Situation, wie sie zur Zeit an der Grenze ist, hat er so noch nicht erlebt. "In 20 Jahren Frieden habe ich mein Land noch nie so polarisiert gesehen wie jetzt. Wir warten nur noch auf das Streichholz und die Explosion."

Auch wenn er hofft, dass die Politik in London dies verhindern wird: Mit dem Eintreffen der britischen Einheiten für die Kontrolle der Grenzen könnte die Explosion nicht lange auf sich warten lassen. Zumindest, wenn es nach Patrick Gallager geht. Er wolle zwar nicht zur Gewalt aufrufen, aber "wenn sich die Menschen gegen die Präsenz der Briten wehren, kann ich mich nicht dagegen aussprechen. Ich kann ihnen nicht das Recht auf Gewalt absprechen. Besonders die IRA ist im Untergrund aktiv, es gibt sie nach wie vor in unseren Gemeinden und was ich so höre, sind sie zu einigem fähig."

Wie auf einem Pulverfass

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