Bauen mit Müll
1. August 2022Das Haus hat eine bunte Mischung an Fenstern. Klein, groß, länglich, quadratisch, weiß, braun und schwarz eingefasst, da passt scheinbar nichts zusammen. "Wir haben sie uns bei Ebay und als B-Ware von den Herstellern zusammengekauft und die Fassade danach ausgerichtet", sagt Elena Boerman.
Sie forscht am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) über Sekundärbaustoffe und hat am studentischen Projekt RoofKIT mitgebaut. RoofKIT war der Beitrag des Teams aus Karlsruhe zum diesjährigen Solar Decathlon Europe in Wuppertal, dem größten internationalen Hochschulwettbewerb um das nachhaltigste Gebäude, und hat dort den ersten Platz gewonnen.
RoofKIT hat den Kreislauf-Gedanken auf die Spitze getrieben: Die Pflastersteine am Haus sind aus Bauschutt gefertigt, die Fassade stammt aus einer alten Scheune, was man ihr ruhig ansehen darf. Second Hand ist auch die Metalltreppe, die ins obere Stockwerk führt. Auch im Inneren lässt es sich mit ausrangierten Gegenständen und mit wiederaufbereiteten Materialien prima einrichten.
Die Küchenfronten aus weißem Kunststoff mit Farbtupfern waren laut Boerman einst Joghurtbecher. Die Duschkabine besteht aus geschmolzenen Glasflaschen. "Der übliche Weg von der Erdkruste zur Deponie, das muss aufhören", bekräftigt die Projektmitarbeiterin. Besucherinnen und Besucher des Wuppertaler Solardorfs konnten sich Informationen über Bauteilbörsen und Resteverwerter holen, die aus Gebrauchtem Hochwertiges machen.
Rohstoff oder Abfall?
Recycelbarkeit, Wiederverwertung und -verwendung haben sich praktisch alle Teilnehmenden des Solar Decathlons auf die Fahnen geschrieben. Es wurden scheckige Altholz-Wände stolz präsentiert, Dämmungen bestanden aus geschredderten Jeans, Wollfilz und Altpapier. Es gab wenig Verbundmaterialen und für ein besseres künftiges Recycling wurde geschraubt und vernagelt statt geklebt und verleimt. Während die Kreislaufwirtschaft im Studium der Architekten und Bauingenieure mittlerweile ein wichtiges Thema ist, ist auf den Baustellen jedoch kaum etwas davon zu spüren.
Beim Gebäudeabriss landen 45 Prozent der Baustoffe auf der Deponie, weitere 45 Prozent werden thermisch verwertet. Nur zehn Prozent davon werden im Straßenbau zum Belag downcycelt, sagt Prof. Natalie Eßig, die Architektur an der Hochschule München unterrichtet. "Wir könnten die Wiederverwertung und -verwendung problemlos auf 70 bis 80 Prozent anheben. Leider schiebt uns vor allem die Gesetzgebung noch einen Riegel vor", so die Expertin für nachhaltiges Bauen. Erstens, brauche es eine Dokumentation der verbauten (Schad)Stoffe. Zweitens, "was die Baustelle verlässt, muss als Abfall deklariert werden".
Pionierin des Betonrecyclings
Und welcher Bauherr will schon "Abfall" in seinem Bauwerk haben, welcher Bauunternehmer für etwaige Probleme des alten Zeugs haften? Um eigene Risiken zu vermeiden, werde oftmals untersagt, wiederverwertete Baustoffe einzusetzen und damit die Recyclingquote grundlos reduziert, sagte Peter Hübner, Präsident des Hauptverbands der Bauindustrie, auf dem Branchentag im Mai. "Oftmals scheitern wir an Verordnungen und Regelwerken, deren Überarbeitung dann 20 Jahre benötigt."
Angelika Mettke ist seit Jahrzehnten in Deutschland und ganz Europa unterwegs, um Bauherren zu überzeugen, gebrauchte Betonplatten neu zu verbauen. Die außerordentliche Professorin an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg (BTU) ist eine Pionierin des Betonrecyclings: In der DDR war Beton knapp. Nach der Wende gab es eine Million leerstehende Wohnungen, vorwiegend in den ungeliebten Plattenbauten. Nach wie vor wird in strukturschwachen Regionen viel rückgebaut. Die massiven Decken und Wände sind zu schade zum Schreddern, findet die Bauingenieurin. "Mir blutet das Herz, wenn diese unbeschädigten Bauteile abtransportiert und zerkleinert werden", dabei könnten fast alle ein zweites Leben haben.
Sand, Kies und Split werden knapp
Das Herstellen wie auch das Schreddern von Beton verbraucht enorm viel Energie und gilt deshalb als Klimakiller. Eine konsequente Wiederverwendung der Platte brächte bis zu 95 Prozent weniger CO2-Ausstoss, hat Prof. Mettke ausgerechnet. Außerdem sind Sand, Kies und Split endliche Rohstoffe, die allmählich knapp werden. "Bei unserem hohen Lebensstandard bauen wir jährlich über 500 Millionen Tonnen Gesteinskörnungen ab und erzeugen gleichzeitig bis zu 60 Millionen Tonnen Bauschutt."
Mit ihren Studierenden hat die Professorin viele Bauelemente auf ihren Zustand und Schadstoffbelastung geprüft und für gut befunden. 30 bis 40 Objekte wurden mit Mettkes Hilfe aus alten Platten errichtet. Darunter Vereinsheime, Jugendzentren, Ausstellungsräume und Einfamilienhäuser, das Technikum des Instituts für Neuwertwirtschaft, aber auch beispielsweise Deichverstärkungen. "Im Endzustand sehen Sie nichts, null, dass etwas davon gebraucht ist!" Die Lebensdauer von Beton liege bei über 120 Jahren. Grau und langweilig müsse ein Gebäude aus Platte Second Hand auch nicht sein.
Online-Börsen für gebrauchte Bauteile
Das Forschungsprojekt ReCreate untersucht bis 2025 den Rückbau und Wiederverwendung der Platte in sechs europäischen Ländern. Obwohl ökologisch und wirtschaftlich sinnvoll, hakt die Wiederverwendung an mehreren Stellen. Erst einmal ist sie nur bei montierten Fertigbauteilen möglich. Bauten mit einfach lösbaren Verbindungen könnte man, so Prof. Mettke, wie Lego mehrmals zerlegen und etwas Neues daraus machen. Sie fordert daher, Baukonstruktionen und -prozesse umzustellen. Die Digitalisierung der Branche würde zudem helfen, das Innenleben der verschiedenen Komponenten lückenlos zu dokumentieren.
"Zu Abfall wird etwas nur, wenn ich keine Nachnutzung dafür habe", sagt die Cottbusser Professorin. Im Idealfall weiß man schon beim Abriss eines "Spendergebäudes", wo im Umkreis die Teile benötigt werden.
Bei ihren Objekten kennzeichnet Mettke Geeignetes gleich vor Ort, wenn die Tapeten runter sind. Aber der Rück- und der Neubau stimmen selten zeitlich und räumlich überein: Man braucht eine Zwischenlagerung - und das kostet. Die Ingenieurin sieht eine mögliche Lösung in Bauteil-Börsen und Online-Marktplätzen wie Concular und Restado. "Sie handeln beispielsweise mit ausgebauten Fenstern, Türen und Heizkörpern. Das könnte man in Richtung Wände und Decken erweitern und alles digital erfassen."
Auch Betreiber von stationären Recycling-Anlagen mit großen Lagerflächen könnten solche großformatigen Bauteile annehmen und Kunden anbieten. "Was nach einer bestimmten Frist, etwa nach fünf Jahren, keinen Abnehmer findet, könnte immer noch geschreddert und zur Betonherstellung oder im Straßenbau verarbeitet werden."