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ArchitekturEuropa

Bauhüttenwesen: Wissensspeicher und Innovation

Matthias Beckonert
20. Dezember 2020

Die Bauhütten sorgen seit dem Mittelalter dafür, dass wichtige Kathedralen und Gebäude nicht verfallen. Jetzt wurde das Handwerk von der UNESCO ausgezeichnet.

Zwei Steinmetze der Dombauhütte des Kölner Dom
Bild: picture alliance/U. Baumgarten

Der Stephansdom in Wien, die Kathedrale von Reims, das Straßburger Münster oder der Dresdener Zwinger: Sie alle sind architektonische Meisterwerke von Weltrang, Magnete für Millionen von Touristen aus der ganzen Welt – und ewige Baustellen. Um die monumentalen, Jahrhunderte alten Bauwerke in Stand zu halten, braucht es das ganze Jahr über ein Team aus Spezialisten vor Ort. Seit dem Mittelalter gibt es dafür fest eingerichtete Gemeinschafts-Werkstätten an den Gebäuden, die sogenannten Bauhütten. Jetzt wurde das europäische Bauhüttenwesen von der UNESCO in das Immaterielle Kulturerbe aufgenommen.

Was ist das immaterielle Kulturerbe?

Seit 2003 vergibt die UNESCO den Titel "Immaterielles Kulturerbe" für bestimmte kulturelle Praktiken. Während beispielsweise der Kölner Dom als gegenständliches Bauwerk in das Weltkulturerbe aufgenommen wurde, sind im immateriellen Kulturerbe etwa der argentinische Tango, der jamaikanische Reggae oder der europäische Blaudruck vertreten.

Die Aufnahme des Bauhüttenwesens in die Liste begründet die UNESCO unter anderem mit dem "internationalen Modellcharakter", den die Bauhütten hätten: Die enge Verzahnung der unterschiedlichen Berufe in den Werkstätten sei historisch faszinierend und auch ein Modell für die Zukunft des Bauens.

Internationaler Wissenstransfer seit dem Mittelalter

Gleichzeitig zeichnet die UNESCO damit auch die jahrhundertelange, internationale Zusammenarbeit der einzelnen Bauhütten aus. Die zeigt sich schon in der Nominierung: 18 Bauhütten aus Deutschland, Österreich, Frankreich, Norwegen und der Schweiz hatten gemeinsam die Aufnahme in das "Register guter Praxisbeispiele zum Erhalt" des Immateriellen Kulturerbes beantragt.

In den Bauhütten arbeiten bis heute verschiedenste Handwerke zusammen. Hier wird eine Figur am Kölner Dom restauriert.Bild: picture-alliance/dpa/O.Berg

Diese internationale Vernetzung ist aber keine moderne Erfindung: Die Handwerker des Mittelalters waren hochmobil, reisten im Frühjahr zu Großbaustellen in ganz Europa und im Herbst wieder nach Hause. Im nächsten Jahr ging die Reise von neuem los. So verbreiteten die Handwerker ihr Wissen in ganz Europa.

Die Bauhütten, in denen Architekten, Steinmetze, Schmiede, Schreiner, Kunstglaser, Gerüstbauer, Maler oder Dachdecker unter der Anleitung eines Dombaumeisters zusammenarbeiteten, entstanden mit dem neuen Baustil der Gotik, wie die Kunsthistorikerin Barbara Schock-Werner im DW-Interview erklärt. Von 1999 bis 2012 war sie selbst Dombaumeisterin in Köln, außerdem viele Jahre die Vorsitzende der europäischen Vereinigung der Dombaumeister.

Wissensspeicher und Innovationsbetrieb

"Im Grunde kann man die erste Dombauhütte, oder zumindest eine Vorstufe, in Reims sehen. Die Kathedrale war der erste gotische Bau, der sehr viel spezielle Steinmetz-Arbeit erforderte." Um die dringend benötigten Spezialisten länger zu halten, so Schock-Werner, stellte man ihnen eine Unterkunft zur Verfügung und sorgte mit Räumen gleichzeitig dafür, dass auch im Winter weitergearbeitet werden konnte. Erst durch die so ermöglichte langfristige Planung seien etwa die hochkomplexen Fassadenstrukturen der Gotik ermöglicht worden.

Die gotische Kathedrale von Reims: Hier entstand der erste Vorläufer der Bauhütten.Bild: picture-alliance/dpa

In ganz Europa machten es die Dombaumeister dem französischen Vorbild nach, in der Folge kam es zu einem regelrechten Innovationsschub. "Die Dombauhütten waren Orte, in denen moderne Technik erfunden wurde, weil man sie für den Bau brauchte", so Barbara Schock-Werner. "Ein Beispiel ist die Schubkarre, die dort im 13. Jahrhundert erfunden wurde." So waren die Bauhütten nicht nur Wissensspeicher, sondern sorgten mit ihren Erfindungen auch gesamtgesellschaftlich für Fortschritt.

Bis heute, so Kulturstaatsministerin Monika Grütters in ihren Glückwünschen zur Auszeichnung, seien die Bauhütten "international vernetzte Orte der Forschung und Ausbildung" und brächten "großes Fachwissen mit außergewöhnlichen Handwerksfertigkeiten zusammen". Das hätte zum Beispiel bei der Rekonstruktion der barocken Fassade des Humboldt Forums im Berliner Schloss eine wichtige Rolle gespielt. "Umso verdienter ist die Auszeichnung durch die UNESCO", so Grütters.

Erhofft sich von der Auszeichnung mehr als Anerkennung: Die ehemalige Kölner Dombaumeisterin Barbara Schock-WernerBild: Imago Images/H. Galuschka

Bei der Auszeichnung geht es aber um mehr als "nur" um Anerkennung. Die ehemalige Dombaumeisterin Barbara Schock-Werner sieht die Einschreibung des Bauhüttenwesens in das Immaterielle Kulturerbe auch aus praktischen Gründen als großen Erfolg: "Es wird ja immer wieder behauptet, die Arbeit sei nicht effizient genug. Dass die UNESCO das Bauhüttenwesen jetzt als Stück europäischer Kultur ausgezeichnet hat, ist ganz wichtig gegen Angriffe von Leuten, die nur auf die finanziellen Aspekte schauen."

Außerdem erhofft sich Schock-Werner dadurch auch einen Nachwuchs-Schub: "Es ist wichtig, dass diese Handwerke gepflegt werden, dass dort weiter junge Leute zu Steinmetzen oder Schmieden ausgebildet werden." Für das Handwerk, aber auch für die Kulturdenkmäler, die das Bauhüttenwesen in ganz Europa pflegt und repariert. Konkret heißt das laut Schock-Werner: "Der Kölner Dom ohne Gerüst ist eine Schreckensvorstellung." Denn ohne die darauf arbeitenden Handwerker der Bauhütten würde man die großen Bauwerke dem Verfall preisgeben.

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