Das Bauhaus in Indien
8. April 2013Der Schweizer Bauhauskünstler Johannes Itten war besessen von dem Eifer, die Essenz einer Erscheinung zu erfassen. Er wollte Gerüche visualisieren, Lebendigkeit mit ein paar Bleistiftstrichen nachempfinden. In zahlreichen Skizzen erfasste er Bewegungen des menschlichen Körpers, die kühle, glatte Oberfläche der Haut, selbst die Atmosphäre, in dem sich der Körper aufhielt, wollte er wiedergeben. Seine Methoden waren wissenschaftlich, sein künstlerischer Ausdruck abstrakt. Eine Auswahl seiner Arbeiten, wie etwa die "Junge Frau" sind derzeit in Bauhaus Dessau ausgestellt.
In der Schau "Das Bauhaus in Dessau. Eine Begegnung kosmopolitischer Avantgarden" hängen sie zwischen Aquarellen, Bleistiftzeichnungen und Radierungen indischer Künstler wie Sunayani Devi, Nandalal Bose oder Abanindranath Tagore. Das war schon einmal ähnlich: 1922 in Kalkutta, Indien. Jedoch mit einem zentralen Unterschied: Damals wurden die Bilder der indischen Avantgarde separat von denen der europäischen Bauhauskünstler präsentiert. Das Bauhaus Dessau hingegen setzt jetzt bewusst auf den Dialog und mischt. "Wir wollen die Parallelität von künstlerischen Entwicklungen zeigen und nicht so sehr die Vorstellung, dass damals Europa das Zentrum war, von dem aus alles in außereuropäische Bereiche transformiert wurde", sagt Regina Bittner, eine der Kuratorinnen im Gespräch mit der DW. Denn Indische Moderne und Bauhaus waren vor 90 Jahren eng miteinander verknüpft.
Indien als Sehnsuchtsort
Die Ausstellung von 1922 war in vielerlei Hinsicht sehr außergewöhnlich. In den Räumen der "Indian Society of Oriental Art" wurden erstmals auf dem Subkontinent Werke von Bauhauskünstlern wie Johannes Itten, Paul Klee oder Wassily Kandinsky neben denen indischer Künstler gezeigt. Diese Begegnung der Avantgarden fußte auf einem gemeinsamen Gedanken: dem Wunsch nach Reformen.Die westliche Moderne war nach dem Ersten Weltkrieg auf der Suche nach geistigen und künstlerischen Alternativen. Weg vom Rationalismus, weg vom akademischen Naturalismus und hin zu mehr schöpferischer Freiheit. Indien wurde zum Sehnsuchtsort für neue Weltentwürfe und Heilslehren. Der perfekte Nährboden für Künstler wie Itten, dessen Arbeiten fast schon religiös anmuten.
Die indischen Künstler wiederum versuchten, sich in der postkolonialen Phase kulturell zu emanzipieren. Maler wie Abanindranath Tagore besannen sich auf die eigenen kulturellen Ressourcen. Griffen dörfliche Alltagsszenen auf, das Leben der Frau oder Motive aus der indischen Mythologie.Auch die Maltraditionen und Techniken änderten sich. Weg vom britischen Bildregime mit Öl und Leinwand, hin zu Tempera und Gouache auf Papier. Zweidimensionalität wie bei Sunayani Devis "Milkmaid" war die neue Ausdrucksform. Der heutige Besucher wird überrascht sein zu sehen, dass diese beiden Welten eine gemeinsame künstlerische Sprache fanden: kubistisch, primitiv und abstrakt. Für Kunsthistoriker ist die Schau in Kalkutta ein exemplarischer Fall für die Neuorientierung der Kunstgeschichte, darüber hinaus, erklärt Regina Bitter, "ein wunderbares und zugleich sehr frühes Beispiel des globalen Kunstbetriebs".
Eine Spurensuche - 90 Jahre später
Das Bauhaus Dessau würdigt nun diese Schau von damals. Zu sehen sind etwa 80 europäische und 80 indische Originalwerke sowie Referenzarbeiten. Darüber hinaus rekonstruiert die aktuelle Ausstellung die Entstehung und Entwicklung der Originalschau von 1922, dargestellt anhand von Bildern, Biografien und Dokumenten. Eine umfassendes Nachspüren - beeindruckend, erhellend.