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Politik

Baustelle Netzausbau

16. August 2018

Deutschland braucht für seine Energiewende neue, leistungsstarke Stromnetze. Doch der Widerstand ist groß, wie Wirtschaftsminister Peter Altmaier erfahren musste. Volker Witting hat ihn auf einer Reise begleitet.

Peter Altmaier auf Netzausbaureise
Bild: picture-alliance/dpa/R.Vennenbernd

"Unser Land gibt es nicht für lau!" steht auf dem selbstgemachten Plakat, das Landwirt Theo Brauweiler mitgebracht hat vor das Strom-Umspannwerk in Sechtem. Er und einige andere Mitglieder des Rheinischen Landwirtschafts-Verbandes sind mit Traktoren vor das Umspannwerk in Nordrhein-Westfalen gezogen, um zu protestieren. "Ich bin im Prinzip nicht gegen den Netzausbau, aber wir müssen auch entschädigt werden dafür, dass Strommasten auf unseren Äckern gebaut oder Erdkabel verlegt werden", sagt Brauweiler. Dann kommt Wirtschaftsminister Peter Altmaier von der CDU vorbei und drückt den Demonstranten erst einmal freundlich die Hand und verspricht: "Wir setzen uns zusammen!" Er meint das ernst.

Kooperation statt Konfrontation

Altmaier hat sich vorgenommen, dahin zu gehen, wo es Probleme gibt mit der Energiewende, vor allem beim Ausbau der Stromnetze. Er spricht auf seiner dreitägigen "Netzausbaureise" mit Bauern und Bürgern, Bürgermeistern und Stromunternehmern. Altmaiers Motto: "Kooperation statt Konfrontation". Die Landwirte fordern eine regelmäßige Entschädigung dafür, dass Masten auf ihren Äckern errichtet oder Erdkabel verlegt werden. Bürgerinitiativen und Bürgermeister klagen über die Angst der Menschen vor elektromagnetischer Strahlung durch Erdkabel oder neue, wie sie sagen, "Monsterleitungen", die bis zu 90 Meter hoch sind. 

Theo Brauweiler verlangt hohe EntschädigungenBild: DW/V.Witting

"Die deutsche Energiewende ist bekannt in der Welt", sagt Altmaier auf einem der Termine. "Wenn das scheitert, wird es schwierig! Ich will deshalb, dass die Energiewende erfolgreich wird."

Musterknabe Deutschland?

Deutschland galt einmal als Paradebeispiel für die Energiewende: raus aus dem Atom- und Kohlestrom, auch weniger Gas und Öl zur Stromerzeugung. Und vieles ist tatsächlich erreicht. Heute deckt Deutschland rund 36 Prozent seines Stromverbrauchs durch erneuerbare Energiequellen; also vor allem aus Wind- und Sonnenkraft. Bis Ende 2022 soll das letzte Atomkraftwerk abgeschaltet und allmählich auch die Stromproduktion aus Kohle heruntergefahren werden. Ziel der Regierung: bis 2030 sollen 65 Prozent des Energiebedarfs aus erneuerbaren Quellen gewonnen werden.

Nadelöhr Stromleitungen

Klingt gut, wäre da nicht das Nadelöhr Stromleitungen. Der Strom kommt oft nicht schnell genug dahin, wo er gebraucht wird. "Wir haben einen Rückstand erreicht, der politisches Handeln notwendig macht", erklärt Wirtschaftsminister Altmaier in Bonn. "Ich will den Netzausbau zur Chefsache machen", erklärt der ehemalige Umweltminister, dem die Energiewende schon immer eine "Herzensangelegenheit" war, wie er sagt.

Auf die Netze kommt es an: Altmaier an der Erdkabelbaustelle Dankern/Haren Bild: DW/V. Witting

Bis zum Ende der Legislaturperiode – also in drei Jahren – will Altmaier beim Netzausbau entscheidend vorankommen. Das ist sehr optimistisch, wenn man die Zahlen betrachtet: 7700 Kilometer Stromleitungen sind nötig; 1750 sind genehmigt, nur 950 tatsächlich gebaut.

Altmaier setzt auf Tempo beim Trassenbau

Die bestehenden Stromnetze sollen besser genutzt und ausgebaut werden. Die Planungsverfahren sollen kürzer und unkomplizierter werden, verkündet Altmaier öffentlichkeitswirksam bei einer Pressekonferenz. Für den 20. September hat er zu einem "Netzgipfel" nach Berlin geladen. Er will mit den Wirtschaftsministern aller Bundesländer reden, mit kritischen Bürgerinitiativen und mit Bauern wie Theo Brauweiler.

Er will Tempo machen. "Heute produzieren wir den Strom dort, wo Platz ist: auf Äckern, an der Küste und auf der See. Und nicht mehr dort, wo er gebraucht wird." Nämlich in den Industrieregionen des Süden und Westens.

Immer öfter müssen in Norddeutschland Windparks vom Netz genommen werden, weil die Kabel überlastet sind. Andernorts muss dagegen Strom aus Kraftwerken aufgekauft werden, die mit Kohle oder Gas betrieben werden, um die Netzsicherheit zu gewährleisten.

Strom ist in Deutschland sehr teuer

2014 kostete das Umleiten des Stroms die Verbraucher noch 440 Millionen Euro. 2017 waren es schon 1,4 Milliarden. Und weil immer mehr Windräder und Fotovoltaik-Anlagen dazukommen, könnten es in wenigen Jahren vier Milliarden Euro werden. Strom ist in Deutschland heute so teuer wie nirgends sonst in Europa.

Dirk Breuer, Bürgermeister von Hürth und ein CDU-Parteifreund von Altmaier, hofft auf Berliner Verständnis Bild: DW/V.Witting

"Gut, dass der Minister mal gekommen ist, um sich die Probleme vor Ort anzuschauen", sagt Dirk Breuer. Er ist CDU-Bürgermeister in Hürth, einer Gemeinde in der Nähe von Köln. "Unsere Bürger wollen keinen neuen 90-Meter-Mast direkt vor ihrer Haustüre!", sagt Breuer. "Die Masten, die da bisher stehen, sind nur halb so hoch." 6600 Menschen seien betroffen, würden die Großmasten gebaut. "Die Leute wohnen zum Teil weniger als 400 Meter entfernt und machen sich Sorgen."

Problem erkannt, benannt, aber noch lange nicht gelöst

Der Bürgermeister setzt nun auf die zuständigen Gerichte, die den Bau stoppen könnten, und den Minister, der gekommen ist. "Am besten wäre es, wenn die Kabel unter die Erde verlegt würden", appelliert er.

"Solche Argumente muss man ernst nehmen", sagt Peter Altmaier, bevor die Reise dann weitergeht. Er ahnt, dass er noch jahrelang diskutieren, argumentieren und sich mit dem Netzausbau wird befassen müssen. Und er kündigt an, dass das bestimmt nicht die letzte Netzausbaureise war, die er unternehmen wird. Denn der Wirtschaftsminister will, sagt er, "dass die Energiewende erfolgreich umgesetzt wird, denn in China zum Beispiel schaut man genau auf uns!"

 

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