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Bauträger insolvent - was jetzt?

Nadine Mena Michollek
7. Februar 2024

Gestiegene Baukosten und Zinsen: Quer durch Deutschland gehen derzeit reihenweise Bauträger pleite. Im besten Fall bleibt eine Bauruine. Im schlimmsten Fall zerstört es Existenzen. Mit Glück geht es gut aus.

Es ist ein Roter Schutzhelm auf einer leeren Baustelle zu sehen
Der Wohnungsbau in Deutschland steckt in einer KriseBild: Caro/picture alliance

Ich dachte nur, das ist jetzt nicht war: Mein Albtraum ist Wirklichkeit geworden, der Bauträger meldet Insolvenz an. Ich war traurig, sehr traurig. 

Monika Daniel und ihr Mann bekamen die Nachricht per Mail im Mai 2019. Bis dahin hatten sie schon etwas mehr als 300.000 Euro für ihre Wohnung im Neubauprojekt bezahlt. In Deutschland zahlt man meist nach Baufortschritt. Das Ehepaar hatte etwas gesucht, in dem es alt werden konnte, das barrierefrei ist. Dafür gaben sie ihr Erspartes her, verkauften sogar ihre Eigentumswohnung.    

Wenn ein Bauträger in die Insolvenz geht, gibt es kein Geld zurück. Die Daniels standen - im wahrsten Sinne des Wortes - vor einer Baustelle. Nur etwas mehr als der Rohbau stand. Es gab zumindest schon Fenster. Aber noch keine Sanitäreinrichtungen, keine Wände, kein Putz, keine Abdichtungen oder Bodenbeläge und ein Balkongeländer - all das fehlte. 

Die 62-Jährige möchte nicht mit Foto in die Öffentlichkeit. Sie hat Sorge, dass es sich negativ auf den Wert ihrer Wohnung auswirken könnte. Aber ihre Geschichte hat sie uns trotzdem erzählt. 

"Keiner hat Interesse, das Gebäude weiterzubauen"   

So wie dem Paar aus der Nähe von Frankfurt am Main geht es momentan vielen Menschen in Deutschland. Wie vielen genau, dazu gibt es keine verlässlichen Zahlen. Die Auftragsstornierungen sind jedoch deutlich gestiegen: Der entsprechende Indikator lag im September 2023 bei 21,4 Prozent. Das liegt weit über dem durchschnittlichen Niveau von 3,5 Prozent. Das zeigt: Der Wohnungsbau in Deutschland steckt in einer tiefen Krise  

Szenenwechsel: Eine in die Jahre gekommene deutsche Gaststätte. Hier sitzen Monika Daniels und ihr Mann mit etwa 60 anderen Betroffenen, kurze Zeit nachdem sie die Nachricht von der Insolvenz erhalten hatten. Der Insolvenzverwalter des Bauträgers hatte die Käuferinnen und Käufer zu einem Treffen eingeladen.  

"Er hat dann gesagt, keiner habe Interesse, das Gebäude weiterzubauen, weder er noch die Handwerker. Die einzigen, die das weiterbauen wollen, wären wir, die Käufer.”

Als der Bauträger Insolvenz anmeldet, wird das Eigenheim von den Daniels zunächst nicht weitergebautBild: Frank Hoermann/SVEN SIMON/picture alliance

Monika Daniel stockt. Sie kneift die Augenbrauen über den runden Brillengläsern zusammen, nur einige blonde Strähnen fallen vor ihre Stirn, verdecken die ernste Miene. Sie nimmt einen tiefen Atemzug und presst ihre Lippen aufeinander: "Da muss man schon schlucken, wenn man das hört. Unverblümt die Wahrheit auf den Tisch geknallt."  

Vorher über die Risiken informiert 

Vor dem Kauf hatte das Ehepaar mit diversen Banken gesprochen, mit Freunden, die Bauingenieure waren, mit Anwälten, sich über Risiken informiert, über den Bauträger selbst. Die Daniels hatten ein gutes Gefühl. Sie kannten das ja. Ihre erste Eigentumswohnung war auch ein Neubauprojekt.  

Zu Weihnachten schenkte der Bruder von Monika Daniels ihr und ihrem Mann einen Bauarbeiterhelm und eine -weste. Eigentlich halb aus Scherz. Beides kam schließlich regelmäßig zum Einsatz. Das Betreten der Baustelle war eigentlich vom Bauträger untersagt, doch die Daniels sprachen sich mit den Leuten von der Baustellensicherung ab. Nach Feierabend und an Wochenenden dokumentierten sie den Baufortschritt. Wo liegen die Elektroleitungen, die Spiralen der Fußbodenheizung, was hat sich getan seit dem letzten Besuch. Auch wenn der Bauträger das nicht gerne gesehen habe.   

Die Bauarbeiten verzögerten sich 

Das Ehepaar beobachtete, das die Bauarbeiten nur langsam vorangingen. Der Einzug war eigentlich im Dezember 2018 geplant. Im Herbst 2018 wurde Monika Daniel nervös. Der Bauträger versicherte aber immer wieder, dass er alles noch aufholen würde.  

Mitte April 2019 kam dann die Nachricht, es gäbe Liquiditätsprobleme.  

"Da war ich schon geschockt. Es war immer meine größte Sorge, dass der Bauträger pleite gehen könnte," erinnert sich Monika Daniel. Sie hatte genau dieses Risiko vor dem Kauf bei den Banken angesprochen. Die sagten, sie solle sich keine Sorgen machen, dann würde mit einem anderen Bauträger weitergebaut werden.  

Drei Wochen später meldet der Bauträger Insolvenz an. Es wird nicht weitergebaut. 

Die Daniels standen vor einer Baustelle wie dieser - nur etwas mehr als der Rohbau standBild: Maximilian Koch/picture alliance

Der Insolvenzverwalter wird zum Treuhänder 

Die Angst, auf einer Bauruine sitzen zu bleiben, sei groß gewesen, sagt Monika Daniel im Gespräch mit der DW. Es folgen schlaflose Nächte, die Angst vor einer Privatinsolvenz.   

Sie könne sich nicht mehr an alle Details beim Treffen in der Gaststätte erinnern. "Man verdrängt ja auch Sachen," sagt sie und greift mit ihrer linken Hand in eine Strähne ihrer kinnlangen blonden Haare. Aber es habe niemand geweint, keiner hatte Panik. Alle hörten konzentriert zu. Alle schienen unter Schock zu stehen. 

Der Insolvenzverwalter schlägt vor, eine Treuhandgemeinschaft zu gründen, er könne der Treuhänder werden. Ein Treuhänder verwaltet im Namen und zum Vorteil einer anderen Person - in diesem Fall der Eigentümergruppe - Vermögenswerte, Eigentum oder Rechte. Der Treuhänder sammelt dann das Geld ein, bezahlt die Handwerker, verwaltetet den Bau. Die Betroffenen entscheiden sich für diese Option.  

Die Eigentümergruppe muss eine neue Bauleitung finden, Handwerker und Handwerkerinnen. Schwierig, denn angefangene Projekte würden nicht gerne übernommen, sagt Daniel. Am Ende übernimmt ein Architekturbüro die Rolle des Bauleiters.   

Es war schwer eine neue Bauleitung zu finden - angefangene Projekte werden nicht gerne übernommenBild: Rolf Vennenbernd/dpa/picture alliance

Der Bau wird immer teurer 

"Wir haben wie Studenten gelebt", sagt Monika Daniel, lacht und wirft den Kopf nach hinten, “das hat mich wirklich an meine Berufsanfänge erinnert." Mit 57 Jahren zieht sie mit ihrem Mann in eine 60-Quadratmeter-Souterrainwohnung gegenüber vom Neubauprojekt.   

Alles steht voller Umzugskartons. Mit Stoffen versucht das Ehepaar, sie zu verdecken, um es ein bißchen gemütlicher zu machen. "Manchmal haben wir auch gelacht, wenn wir die Kartons durchwühlten und uns fragten: Ist die Sache jetzt hier oder im Lager." Humor habe den beiden durch diese Zeit geholfen.  

Derweil wird der Bau immer teurer. Es fehlen Baupläne, Bescheinigungen. Unterlagen müssen nachgereicht werden. Auch die Baupreise steigen. Während der Corona-Pandemie kommt es zu Lieferengpässen. Das Lager, die Wohnung verursachen Kosten, die Kredite müssen bedient werden.  

Altersversorgung wird aufgelöst 

Monika Daniel arbeitet als Pressesprecherin. Ihr Mann ist pensioniert, vorher war er Journalist bei einer Tageszeitung. Das Geld wird knapp, also löst Monika Daniel ihre Altersversorgung auf. "Wir mussten den Gürtel enger schnallen." 

Sie betont aber auch, anderen ginge es noch viel schlechter. Die Einschränkungen hätten ihr nicht so viel ausgemacht. Sie hätten sich nie viel geleistet. Genau deswegen, habe sie aber auch manches Mal gehadert: "Ich bin mein Leben lang so sparsam gewesen und dann kommt man in so eine Situation, weil andere Mist bauen." 

Würde sie es noch einmal tun? 

Der Bau der neuen Wohnung kostete insgesamt etwa 100.000 Euro mehr. Hinzu kamen noch Lagerkosten, Miete und Kosten für den Rechtsanwalt. 

Ob sie es noch einmal tun würde? Dass könne sie bis heute nicht beantworten, sagt Daniel. Sie würde aber nicht nochmal ihr Eigentum verkaufen, um neu zu kaufen. Sie mache bald ein Seminar, in dem erklärt werde, was man bei der Insolvenz eines Bauträgers beachten müsse. Sie wolle einfach wissen, ob sie etwas anders hätte machen können.  

Der Traum ist Wirklichkeit geworden 

An einem sonnigen Tag im August 2021 verbringen die Daniels ihre erste Nacht in der neuen Wohnung. Tagsüber kam die Nachricht, dass sie einziehen dürfen. Während Monika Daniel bei der Arbeit ist, baut ihr Mann das Bett in der neuen Wohnung auf und überrascht sie. Am Abend können sie von ihrer Dachterrasse aus über dem Taunusgebirge den Sonnenuntergang sehen.  

Vor allem ihr soziales Umfeld hätte dem Ehepaar durch die Bauzeit geholfen. Freunde, Familie, ihr Arbeitgeber, die Wohngemeinschaft, die immer mehr zusammengewachsen sei und auch die lokale Kirchengemeinde. “Mein Mann war mein Fels in der Brandung. Dennoch kann man mit seinen Ängsten ja auch nicht immer zu seinem Partner. Er trägt dieselbe Last. Da tut es gut, auch mal das Herz bei einer Freundin ausschütten zu können."  

Dem Interview mit DW habe sie zugestimmt, weil sie den Menschen in Deutschland, die jetzt auch von einer Bauinsolvenz betroffen sind, Mut machen möchte.  

Am Ende ist aus dem Albtraum doch noch ein schöner Traum geworden: "Wir haben von einer tollen Wohnung geträumt und dieser Traum ist Wirklichkeit geworden."

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