Gegen den Widerstand großer Teile der Bevölkerung hat die Bayerische Staatsregierung die Aufgaben der Polizei erweitert. Eine besondere Rolle spielt der Begriff der "drohenden Gefahr".
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Der Widerstand ist in den vergangenen Monaten stetig gewachsen. Zuerst in Regensburg, zuletzt überall in Bayern gingen die Bürger auf die Straße, um gegen das neue "Polizeiaufgabengesetz", kurz PAG, zu protestieren. In der vergangenen Woche machten Zehntausende gegen das Gesetz der regierenden CSU (Christlich-Soziale Union) mobil: 30.000 waren es allein in der Münchner Innenstadt - so etwas gab es schon lange nicht mehr. Das Gesetz polarisiert die Menschen in dem südlichen Bundesland. Das ist auch Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) bewusst. Aber er wirft der Opposition "Lügenpropaganda" vor, die "wohl auch manch unbedarfte Menschen in die Irre geführt" habe. Dass das Gesetz im Bayerischen Landtag scheitert, musste er trotzdem nicht befürchten - seine Partei verfügt über eine sichere Mehrheit - 89 der insgesamt 180 Abgeordneten stimmten am Dienstagabend dafür, 67 dagegen.
Der Innenminister gibt sich davon überzeugt, dass sein Gesetz das Leben sicherer macht: "Die Menschen in Bayern sollen weiterhin frei und sicher leben - das bezweckt das neue Gesetz", unterstreicht Herrmann.
Er will das erreichen, indem er den Handlungsspielraum der Polizei spürbar erweitert. Bayern übertrifft dabei ähnliche Gesetzesreformen in anderen Bundesländern. Die Polizei muss jetzt nicht mehr durch eine "konkrete" Gefahr begründen, dass sie Überwachungsmaßnahmen ergreift, sondern kann sich auf eine "drohende" Gefahr berufen. Jetzt kann die Polizei also früher tätig werden, wenn sie den Eindruck hat, dass bedeutende Rechtsgüter gefährdet sein könnten. Das kann zum Beispiel Angriffe auf Leib und Leben, besondere Immobilien oder kritische Infrastrukturen betreffen. Wenn ein Richter zustimmt, sind auch das Abhören von Telefonen oder Trojaner-Angriffe auf Privat-Computer erlaubt.
Problembegriff "drohende Gefahr"
Die Formulierung von der drohenden Gefahr steht mehrfach im Gesetzestext. Die Staatsregierung findet ihn angemessen, weil er auch in einer Urteilsbegründung des Bundesverfassungsgerichtes vorkommt, in der es um das neue Gesetz über die Arbeit des Bundeskriminalamtes geht.Für die Kritiker bleibt es ein vager Begriff, der den Sicherheitskräften nahezu anlasslose Überwachung erlaube: "Die Verfassungsrichter haben diesen Begriff nur im Zusammenhang mit dem Schutz überragender Rechtsgüter bei der Terrorabwehr gebraucht", gibt Katharina Schulze, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bayerischen Landtag, zu bedenken. Jetzt würde der Begriff ins allgemeine Polizeirecht übertragen und damit seien alle Bürger betroffen.
Experten sprechen von insgesamt 39 zusätzlichen Eingriffsmöglichkeiten nur durch diesen neuen Begriff. Auch Briefe und Pakete dürfen aufgrund dieser unbestimmten Bedrohungsannahme konfisziert werden. Das Gesetz erweitert daneben die Palette der Maßnahmen, die ergriffen werden können. Künftig darf die Polizei eine "erweiterte DNA" für ihre Ermittlungen benutzen - also durch Erbgutinformationen vom Tatort Rückschlüsse auf Herkunft, Haar- und Augenfarbe ziehen. Bereits bei der erkennungsdienstlichen Bearbeitung einer Person sollen DNA-Tests weiterhelfen. Das Gesetz erlaubt darüber hinaus auch den Polizisten, dauernd mit Bodycams zu filmen - Videokameras, die an der Uniform befestigt werden.
Die Verteidiger des Gesetzes können darauf verweisen, dass nun in mehr Fällen als früher Richter herangezogen werden müssen, um eine Maßnahme zu erlauben.
PAG-Kritiker verstummen nicht
Obwohl das vielen Bürgern in Bayern zu weit geht, hat die Staatsregierung davon abgesehen, das Gesetz noch einmal zu überarbeiten. Und das sorgt für neuen Ärger. Selbst die Gewerkschaft der Polizei (GdP) ist nicht glücklich mit den neuen Möglichkeiten für die Beamten. Das Gesetz habe nicht genügend Akzeptanz in der Bevölkerung, sorgt sich der Bundesvorsitzende der GdP, Oliver Malchow: "Das macht es sehr schwer, solche neuen Regeln anzuwenden, weil nämlich das Vertrauen in die Polizei schwindet", gibt Malchow in einem Interview mit der ARD zu bedenken.
Landespolitikerin Schulze von den Grünen wundert sich, dass die Polizei in einem Bundesland, das eine der niedrigsten Kriminalitätsraten in Deutschland aufweist, immer mehr Befugnisse erhält und wirft der Regierungspartei CSU vor: "Sie tun dies vor allem, weil sie sich Vorteile im Wahlkampf versprechen!"
Notwendig geworden ist eine Reform des PAG zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht durch den bayerischen Landtagswahlkampf, sondern weil alle Bundesländer ihre Gesetze an die neuen Datenschutzrichtlinie der EU anpassen müssen. Aber es passt in die Wahlkampftaktik der Christsozialen. Denn tatsächlich herrscht entgegen des Trends in den Kriminalstatistiken im Freistaat bei vielen Bürgern ein Gefühl wachsender Bedrohung. Es wird genährt durch den internationalen Terrorismus und Ängste, die um die vielen muslimischen Zuwanderer in Deutschland kreisen. Diese Besorgnisse hat sich in der jüngeren Vergangenheit vor allem die populistische AfD (Alternative für Deutschland) zunutze machen können. Diesem politischen Mitbewerber begegnet die CSU seit einigen Wochen mit einer Offensive in der Sicherheitspolitik.
Vom Fingerabdruck zum biometrischen Datensatz
Vor 125 Jahren wurde erstmals der Fingerabdruck als Beweismittel genutzt. Heute gibt es eine Vielzahl biometrischer Informationen, die Täter hinterlassen: DNA, Töne, Bilder, Daten. Kommen Sie mit uns auf Spurensuche!
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Seit 125 Jahren in der modernen Kriminalistik
1891 baute der in Kroatien geborene argentinische Kriminologe Ivan Vucetic das erste moderne Fingerabdruck-Archiv auf. Seitdem gelten die für jeden Menschen einzigartigen Abdrücke als guter Beweis zur Überführung von Tätern. Hier sichert ein Kriminalbeamter Spuren nach einem Hauseinbruch. Dazu trägt er ein feines Pulver auf die Oberfläche auf - der Fingerabdruck wird sichtbar.
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Haltbar machen fürs Archiv
Mit einer Klebefolie wird der Abdruck nun auf ein Papier übertragen und für die Nachwelt erhalten. Früher war das Abgleichen von Fingerabdrücken eine mühsame Arbeit. Man musste die Merkmale auslesen und von Hand vergleichen. Heute übernehmen Computer diese Aufgabe.
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Keine Tinte mehr
Auch das Nehmen der Fingerabdrücke hat sich in den letzten Jahren verändert. Heutzutage setzt man dazu Scanner ein. Diese erzeugen sofort digitale biometrische Daten.
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Aus dem Abdruck wird eine Identität
Der Computer identifiziert auf dem Muster des Fingerabdrucks typische Stellen. Das sind etwa das Zentrum der Fingerlinien oder auch Gabelungen, Abstände und andere Besonderheiten. Die Lage dieser Merkmale ist bei keinen Menschen identisch - auch nicht bei eineiigen Zwillingen.
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Niemand soll zweimal Wählen
Nicht nur in der Kriminalistik kommen Fingerabdrücke zum Einsatz. Immer häufiger werden sie schlicht zur Identifikation eingesetzt - etwa hier bei Wahlen in Nigeria. So kann sichergestellt werden, dass niemand seine Stimme zweimal abgibt und dass auch nur diejenigen wählen können, die im Wählerregister eingetragen sind.
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Wer war schon mal wo?
Entscheidend für die Bearbeitung von Asylanträgen oder die Anerkennung eines Flüchtlingsstatus ist die Frage, wo der Betroffene erstmals die EU betreten hat. Durch eine Registrierung mit Fingerabdrücken lässt sich dies eindeutig nachvollziehen. Vorausgesetzt, alle Behörden sind mit Scannern ausgestattet und nutzen diese auch.
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Finger weg - das sind meine Daten!
Moderne Smartphones nutzen eine sogenannte "Touch ID"-Funktion. Der Eigentümer weist sich mit seinem Fingerabdruck aus. Wer nicht den richtigen Finger hat, kommt an die Daten nicht heran.
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Sicheres Banking
So sieht ein Geldautomat im schottischen Dundee aus: Der Besitzer der Bankkarte weist sich mit seinem Fingerabdruck aus. So soll sichergestellt werden, dass kein Taschendieb Geld abheben kann.
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Fingerabdruck im Pass
Deutsche und viele andere Reisepässe enthalten seit 2005 einen digital gespeicherten Fingerabdruck. Dieser ist in keiner anderen Datenbank hinterlegt, sondern nur auf dem Chip im Ausweis. Neben dem Fingerabdruck ist hier auch ein biometrisches Passfoto untergebracht. Auch dieses ist, ähnlich wie ein Fingerabdruck, nahezu niemals bei zwei Menschen gleich.
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Wenn Computer Gesichter erkennen
Gesichtserkennungssoftware, die solche biometrischen Daten verwendet, ist mittlerweile so gut, dass mit Überwachungskameras gesuchte Personen aus großen Menschenmengen heraus identifiziert werden können. Aber auch Privatleute oder Internetdienste nutzen immer häufiger Gesichtserkennung: zum Beispiel um Urlaubsbilder danach zu sortieren, wer darauf zu sehen ist.
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Der Erfinder des genetischen Fingerabdrucks
Alec Jeffreys kam 1984 bei Forschungsarbeiten an der Universität Leicester auf die Idee, DNA zur Identifizierung von Menschen einzusetzen. Er hatte durch Zufall auf DNA-Abschnitten ein für jeden Menschen einzigartiges Muster entdeckt. Daraus konnte er ein Bild erzeugen, das ein wenig aussah wie der Strichcode im Supermarkt.
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Ein Strichcode für jeden Menschen
In Deutschland werden solche genetischen Fingerabdrücke seit 1998 in einer Datenbank des Bundeskriminalamts gespeichert. Über 18.000 Taten konnten mittlerweile alleine in Deutschland durch DNA-Fingerabdrücke aufgeklärt werden.
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Rettung für Unschuldige
Nicht nur Schuldige konnten überführt werden. Auch viele unschuldig Verurteilte verdanken dem genetischen Fingerabdruck ihr Leben. Das "Innocence Project" in den USA konnte die Unschuld von über 100 Gefangenen nachweisen, die fälschlicherweise verurteilt worden waren. Darunter auch Todeskandidaten wie Kirk Bloodsworth, der acht Jahre, elf Monate und 19 Tage auf seine Hinrichtung wartete.
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Klarheit für die Opfer
Eine Bewährungsprobe bestand die DNA-Analysetechnik nach den Massenmorden von Srebrenica. Erstmals wurden die Opfer eines Massenmordes systematisch identifiziert und individuell bestattet. Hier nimmt die fünfjährige Ema Hasanovic Abschied von ihrem Onkel. Über 6000 Opfer von Srebrenica - fast alles Männer - konnten so identifiziert und von ihren Angehörigen bestattet werden.
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Biometrie - auch im Telefon oder im Computer
Biometrische Daten gibt es aber auch dort, wo Informationen scheinbar flüchtig sind - etwa in Schallwellen oder digitalen Daten. Spracherkennungssoftware kann aufdecken, wer jemanden durch Drohanrufe belästigt, denn jede Stimme ist individuell. Und im Internet hinterlassen wir jede Menge Spuren, die auch gut auf den Einzelnen zurückgeführt werden können, der sie hinterlassen hat.