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Musik

Neustart in Bayreuth: erstmalig Frau am Pult

21. September 2020

Osteuropäische Stars auf dem Grünen Hügel: Dirigentin Oksana Lyniv und Opernregisseur Dmitri Tcherniakov debütieren in Bayreuth 2021.

Oksana Lyniv und Dmitri Tcherniakov, Doppelspitze in Bayreuth 2021 (Foto: dpa).
Neue Doppelspitze für Bayreuth: Dirigentin Oksana Lyniv und und Regisseur Dmitri Tscherniakov

Gute Nachrichten aus Bayreuth: Katharina Wagner, 42, Chefin der Bayreuther Festspiele, kehrte am 21. August als Festspielleiterin auf den Grünen Hügel zurück. Die Urenkelin des Komponisten und Festspiel-Gründers Richard Wagner war monatelang lebensgefährlich erkrankt, lag fünf Wochen im künstlichen Koma und musste sich mehreren Operationen unterziehen lassen. Nun ist die Leiterin der renommierten Festspiele wieder vollständig genesen. 

Osteuropas Spitzenkünstler auf dem Grünen Hügel

Ihren ersten Arbeitstag begleitete eine Fanfare: Die Neuinszenierung der Oper "Der fliegende Holländer" in der Saison 2021 wird die ukrainische Dirigentin Oksana Lyniv, 42, als erste Frau am Pult der Wagner-Festspiele bestreiten, der Russe Dmitri Tcherniakov, 50, wird Regie führen. In der Rolle der Senta wird die litauische Star-Sopranistin Asmik Grigorian zu hören sein. 

Die "Hüterin des Hügels" ist wieder da: Katharina Wagner kehrt nach langer Krankheit zurückBild: Nicolas Armer/picture-alliance/dpa

Nach der Corona-bedingten Absage 2020 soll die Geschichte der legendären Richard-Wagner-Festspiele im kommenden Jahr mit charismatischen Newcomern fortgeschrieben werden. Vorausgesetzt, die Bekämpfung des Virus und die damit verbundenen Maßnahmen erlauben es. Davon geht Heinz-Dieter Sense, Geschäftsführer der Festspiele, derzeit fest aus.

Lyniv und Tcherniakov sind zwar Debütanten auf dem Grünen Hügel, in der internationalen Musikwelt aber keinesfalls Unbekannte. In ihren Heimatländern Ukraine und Russland avancierten beide schon längst zu Kult- und Identifikationsfiguren. Die Einladung nach Bayreuth bezeichnen die Dirigentin und der Opernregisseur dennoch als Höhepunkt ihrer Karriere. 

Oksana Lyniv: "Wagner wäre stolz auf eine Frau am Dirigentenpult"

Oksana Lyniv wurde in Brody im Westen der Ukraine in eine Musikerfamilie geboren. Ihre Lehrer an der Musikakademie in Lemberg rieten ihr von dem "unweiblichen" Dirigenten-Beruf ab und empfahlen stattdessen die Querflöte. Lyniv setzte sich durch: Beim Dirigentenwettbewerb in Bamberg 2004 erzielte sie den dritten Preis und bekam dadurch die Chance, ihr Studium in Dresden fortzusetzen.

2008 bis 2013 stand sie an der Spitze des Opernhauses von Odessa, wo sie sich mit gewagten Premieren einen Namen machte, darunter mit einem Opernrepertoire des ukrainischen Barock-Komponisten Dmitri Bortnjanski. Ihre Karriere in Westeuropa setzte die junge Dirigentin als Assistentin von Kirill Petrenko an der Bayrischen Staatsoper in München fort, 2017 trat sie als erste Frau die Stelle der Generalmusikdirektorin im österreichischem Graz an.

Konsequent und charismatisch: Oksana Lyniv bei der Generalprobe zum DW-Campus-Konzert 2017 Bild: Barbara Frommann

Als ein wegweisendes Ereignis ihrer Karriere bezeichnet Oksana Lyniv die Gründung des Jugendorchesters der Ukraine 2017. Als eine Art Friedensorchester bringt das YSOU junge Menschen aus dem Osten und dem Westen des gespaltenen Landes zusammen. Den Impuls dafür gaben dasBeethovenfest Bonn und das Campus-Projekt der DW, im Rahmen des Beethovenfestes fand auch der erste Auftritt des Orchesters statt. Auch in ihrer Heimat gründete Lyniv ein eigenes Festival - LvivMozArt.

"Natürlich ist es auch etwas ganz Besonderes, wenn ich als erste Frau seit der Gründung der Bayreuther Festspiele an diesem magischen Ort dirigiere", so Oksana Lyniv gegenüber der DW. "Richard Wagner hat den Frauen in seinen Opern tragende, handlungsweisenden Rollen auf den Leib geschrieben, sie eigentlich extrem emanzipiert dargestellt. Deshalb glaube ich, dass er auch stolz wäre, dass nun fast 140 Jahre nach seinem Tod erstmals eine Frau seine wunderbare Musik am Pult zum Leben erweckt."

Dmitri Tcherniakov: "Man muss eine Art Psychose erleben"

Dmitri Tcherniakov, 50, ist der wohl produktivste und innovativste Opernregisseur des postsowjetischen Raums. Unter seinen mittlerweile mehr als 50 Inszenierungen sind, neben russischen Opern, vor allem Werke von Giuseppe Verdi und Richard Wagner zu finden. Der gebürtige Moskauer war schon als Teenager in die Oper verliebt. Tagein, tagaus schlich er sich ins Bolschoi-Theater, mal mit, mal ohne Stehkarte.

Meister der emotionalen Intensität: Szene aus der "Parsifal"-Inszenierung in Berlin 2015Bild: picture-alliance/dpa/Eventpress Hoensch

1998 debütierte Tcherniakov als Opernregisseur in Nowosibirsk und machte sofort von sich reden: Die damals noch durch und durch konservative russische Musiktheaterwelt, die von historischen Inszenierungen mit bombastischer Ausstattung geprägt war, bekam nun einen Regisseur, der auf minimales Bühnenbild und maximale emotionale Wahrheit setzte. Hinter den verwaschenen Opernsujets wusste Tcherniakov stets eine bewegende, menschliche Geschichte zu finden und gnadenlos ehrlich zu erzählen. Zu seinen Lehrern zählt er den Filmregisseur Lars von Trier und dessen Dogma-Bewegung. Dank "Mitja", wie Tcherniakov von seinen russischen Fans genannt wird, ist die Oper in Russland heute auch wieder bei jungen Menschen "en vogue".

Seinen internationalen Durchbruch verdankt Tcherniakov vor allem drei Dirigenten: Valeri Gergiev, Teodor Currentzis und Daniel Barenboim. In Gergievs Mariinski-Theater in Sankt Petersburg inszenierte Tcherniakov 2005 mit "Tristan und Isolde" seinen ersten Wagner. Zugleich war es die zweite Inszenierung dieser Wagner-Oper in der Musikgeschichte Russlands überhaupt. Daniel Barenboim lud Tcherniakov in die Berliner Staatsoper ein und arbeitete mit ihm seit 2005 regelmäßig am russischen Repertoire, 2015 entstand zudem ein umstrittener "Parsifal". Teodor Currentzis setzte auf Tcherniakovs Lesart von den Opernstoffen von Verdi und Mozart.

Demnächst als Senta in Bayreuth: Star-Sopranistin Asmik Grigorian aus ArmenienBild: Barbara Gindl/picture-alliance/dpa

Bayreuth 2022: Ein neuer "Ring"?

Im DW-Gespräch schildert Tcherniakov auf drastische Weise seine besondere Beziehung zu Wagner: "Dieser Komponist und seine Werke sind absolut anders als alle anderen. Um einen Wagner zu inszenieren, muss man eine Art Psychose, einen Nervenzusammenbruch erleben. Nur wenn du dein Blut, dein Fleisch auf seinem Altar opferst, ist eine Annäherung möglich."

Tcherniakov und Lyniv kennen und schätzen sich seit ihrer Zusammenarbeit an der Bayrischen Staatsoper. Die Neuinszenierung des zentralen Werkes von Richard Wagner, die Opern-Tetralogie "Der Ring des Nibelungen", wurde vorläufig auf das Jahr 2022 verschoben. Hier wie auch bei den weiteren Repertoirestücken, beispielsweise die "Meistersinger" in einer Inszenierung von Barrie Kosky, sucht das Bayreuth-Team nach "corona-konformen" Lösungen und tüftelt derweilen an den Künstler-Verträgen.

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