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Musik

Richard Wagner und das Judentum

Gaby Reucher
26. Juli 2021

Richard Wagner schrieb Pamphlete gegen jüdische Künstler. Hitler liebte seine Musik. Ob Wagners Musik antisemitisch ist, darüber wird bis heute gestritten.

Portrait Richard Wagner
Richard Wagner beschäftigte sich auch mit den im späten 19. Jahrhundert aufkommenden RassentheorienBild: dapd

Jedes Jahr im Sommer kommen über 60.000 Wagnerfans aus dem In- und Ausland zu den Bayreuther-Festspielen. Wer im Park des Festspielhauses umherwandelt, stößt unweigerlich auf die nationalsozialistische Geschichte dieses Ortes. Auf der einen Seite die große bronzene Wagner-Büste des Nazi-Bildhauers Arno Breker, auf der anderen Seite Erinnerungstafeln für all die Künstler, die in Bayreuth mitgewirkt haben und von den Nationalsozialisten verfolgt wurden. Die meisten von ihnen waren jüdische Künstlerinnen und Künstler.

Das Richard Wagner Museum im einstigen Wohnhaus des Komponisten, der "Villa Wahnfried" Bild: picture-alliance/dpa/N. Armer

"Dass Wagner ein flammender Antisemit war, bestreitet heute niemand mehr", sagt Sven Friedrich, Direktor des Wagner Museums in Bayreuth. Eine ganze Etage hat er der Ideologie-Geschichte Wagners im Siegfried Wagner-Haus gewidmet. Als Richard Wagner am 13. Februar 1883 starb, war Adolf Hitler (*20. April 1889) zwar noch nicht geboren, dennoch ist die Frage nach der ideologischen Verbindung zwischen Wagner und Hitler bis heute Gegenstand der Forschung - und Thema hitziger Debatten und Diskussionen. Fest steht: Adolf Hitler war begeistert von Richard Wagners Musik und instrumentalisierte sie für seine Zwecke. Bei Wagners Sohn Siegfried und seiner Frau Winifred war Hitler ein gern gesehener Gast.

Die kritische Wagnerforschung

Bis heute umstritten ist die Frage, ob Wagners Antisemitismus auch seine Musik prägte und ob es in seinen Opern Figuren gibt, die Juden karikieren. "Weder in Wagners eigenen Schriften noch in den Tagebüchern seiner Frau Cosima gibt es Nachweise, dass Wagner eine solche Intention hatte", sagt Wagner-Kenner Sven Friedrich. Wenn Figuren auf der Bühne dennoch so dargestellt würden, sei das eine Interpretation und beziehe sich auf die eigenen Stereotype: Stereotype wie physische Merkmale, die nicht zuletzt durch die nationalsozialistische Rassenideologie als angeblich jüdische Erkennungsmerkmale herangezogen wurden.

War die Figur "Beckmesser" in Wagners "Die Meistersinger von Nürnberg" als jüdische Karikatur angelegt? Bei den Bayreuther Festspielen 2017 hatte Regisseur Barrie Kosky die Figur stereotyp überzeichnetBild: picture-alliance/Festpiele Bayreuth/E. Nawrath

Gerade in der neueren Forschung wird Wert darauf gelegt, Wagner in seiner Zeit und seinem gesellschaftlichen Umfeld zu sehen - und seine antisemitische Haltung zum Beispiel zu vergleichen mit den Schriften des Philosophen Karl Marx. Beide sprachen sich in jungen Jahren gegen den Kapitalismus und die so beschimpften "Geldjuden" aus. Diesem Thema hatte sich im April das Symposion "Marx und Wagner - Der Kapitalismus und das deutsche Gefühl" im Deutschen Historischen Museum in Berlin gewidmet.

Wagner und der Antisemitismus im 19. Jahrhundert

"Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" - unter dieser Parole der französischen Revolution veranlasste Napoleon Anfang des 19. Jahrhunderts, dass auch Juden als gleichberechtigte Staatsbürger anerkannt wurden. Immer wieder waren Juden im Laufe der Geschichte in ihren Rechten eingeschränkt worden, durften nur bestimmte Berufe ausüben und bekamen vielerorts kein Bleiberecht. In Deutschland gab es bis 1871 keine einheitliche Regelung. Erst mit der Verfassung für das gesamte Deutsche Kaiserreich wurden den Juden die Bürgerrechte zugesprochen. Ein Umstand, der den Antisemiten Richard Wagner ärgerte.

Bereits 1850 hatte Wagner unter Pseudonym ein Pamphlet "Das Judenthum in der Musik" geschrieben, in dem er den Juden eine eigene künstlerische Identität abspricht. "Der Jude hat nie eine eigene Kunst gehabt, daher nie ein Leben von kunstfähigem Gehalte", schreibt er. Juden könnten nur "nachplappern" wie ein Papagei und andere Künstler imitieren. Damit allerdings seien sie recht erfolgreich.

Adolf Hitler zwischen Winifred und Wieland Wagner bei der Eröffnung der Bayreuther Festspiele 1938Bild: picture-alliance/akg-images

Auch warnte Wagner vor den sogenannten "assimilierten" Juden, die sich in die jeweilige Gesellschaft einer Nation einfügten. National-konservativen Bürgern machte das Angst. "Das war ein wesentlicher Impuls für den Mythos, dass hinter der Gesellschaft eine jüdische Macht die Herrschaft an sich reißen will", sagt Sven Friedrich. Wagner sprach sich dafür aus, die Juden aus Deutschland zu vertreiben. Im Judentum, das für ihn die Vereinigung von Industrie und Kapital verkörperte, sah er eine Ursache für den Verfall von Kultur und Politik.

Wagners ambivalentes Verhältnis zu jüdischen Freunden und Helfern

Von Wagner verehrt: Heinrich Heine (Gemälde von 1842)Bild: picture alliance/Heritage Images/Fine Art Images

Dennoch gab es viele Menschen jüdischen Glaubens, die Richard Wagner und seine musikalischen Projekte unterstützten. Einige von ihnen - etwa den jüdischen Dichterfreund Heinrich Heine - verehrte Wagner sogar. Seine Faszination erklärte er damit, dass es Heine verstünde, die Deutschen zu karikieren.

Wie bei Heine relativierte Wagner später auch die Freundschaft zu dem großen deutschen Opernkomponisten Giacomo Meyerbeer, einem Juden, der den jungen Wagner in die Pariser Gesellschaft einführte. Wagner behauptete, dass Meyerbeer als Jude keine wahre Musik schreiben könne. Es ist anzunehmen, dass bei seinem Judenhass auch eine Portion Neid auf den erfolgreichen Komponisten mitschwang.

Geld für den "Ring des Nibelungen"

Für den jungen jüdischen Klaviervirtuosen und Schüler von Franz Liszt, Carl Tausig, empfand Wagner väterliche Gefühle und nahm ihn sogar in seinem Haus auf. Tausig half später, WagnersBayreuther Festspielemit dem Opernzyklus "Der Ring des Nibelungen" zu verwirklichen: Zur Finanzierung wurden Wagner-Vereine gegründet, außerdem verkaufte Tausig Patronatsscheine, um Geld zu sammeln.

Hofkapellmeister Hermann LeviBild: picture-alliance/akg-images

Im neuen Festspielhaus arbeitete mit dem Bayreuther Orchester auch Hermann Levi, der Dirigent der königlichen Hofoper Ludwigs II. von Bayern. Er war bei den Wagners hoch angesehen, fiel aber immer wieder in Ungnade, weil er sich als Sohn eines Rabbiners nicht christlich taufen lassen wollte. Wagner schikanierte ihn ebenso wie den jüdischen Pianisten Joseph Rubinstein, der für den Komponisten als Arrangeur arbeitete.

Die Familie Wagner und Hitler

Mit dem antisemitischen Gedankengut Wagners wuchsen auch seine Kinder auf. Einige Familienmitglieder setzten sich damit kritisch auseinander, andere folgten Wagners Gesinnung. Seine Tochter Eva heiratete den englischen Publizisten Houston Stewart Chamberlain, dessen völkisch-nationale Schriften die Ideologien der Nationalsozialisten unterfütterten. Sohn Siegfried heiratete die ebenfalls aus England stammende Winifred Williams. Sie verehrte und unterstützte Adolf Hitler, der seinerseits dafür sorgte, dass die Bayreuther Festspiele auch noch in den ersten Jahren während des 2. Weltkriegs durchgeführt werden konnten.

Die antisemitischen Schriften Richard Wagners soll Adolf Hitler nicht gekannt haben, aber dennoch gibt es diese Beziehung zwischen Wagner und Hitler. Richard Wagner ist bekannt für seine Idee des Gesamtkunstwerks, in dem Text, Musik, Schauspiel und Architektur unter seiner Regie zusammenwirken. Doch das sei nur die eine Ebene, sagt Museumsdirektor Sven Friedrich. "Wagners Idee meint auch die große ästhetische Gemeinschaft der Schaffenden und Schauenden", erläutert Friedrich. "Außerdem die Aufhebung aller gesellschaftlichen Diskurse - also Politik, Ökonomie und Religion - in der Kunst." In seiner Schrift "Das Kunstwerk der Zukunft" schrieb Richard Wagner: "Im Kunstwerk werden wir eins sein".

Die uniforme Masse beim Reichsparteitag der Nationalsozialisten 1933 in NürnbergBild: akg-images/picture-alliance

Ein übergeordneter Gesamtentwurf sei auch die Idee der nationalsozialistischen Ideologie gewesen, sagt Sven Friedrich, die große uniforme und homogene Masse mit einem Führer an der Spitze. 

Wagner polarisiert bis heute

"In dem Moment, wo der Antisemitismus - und später dann auch der Rassenantisemitismus, den Wagner ja auch rezipiert hat - zum integralen Bestandteil einer Kulturtheorie wird, wird er damit auch zu einer Grundfrage deutscher nationaler Identität", erklärt Friedrich. "Und das ist eigentlich die skandalöse Verbindung zwischen Kunst und Kunsttheorie und Antisemitismus. Dadurch bekam dann der Antisemitismus in Deutschland diese besondere ideologische Triebkraft bis hin zur Shoa."

Es sind komplexe Zusammenhänge, die Sven Friedrich im Wagner Museum veranschaulichen will. "Das sind wir auch den Opfern der Shoa schuldig, dass wir nicht in einer oberflächlichen Bekenntnishaftigkeit stehen bleiben, sondern dass wir diese Ideologie-Geschichte wirklich seriös und angemessen betreiben."

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