Beate Zschäpe gibt sich ungerührt
6. Mai 2013Zum Auftakt des Prozesses vor dem Oberlandesgericht München stellte die 38-jährige Beate Zschäpe über ihre Anwälte einen Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden Richter Manfred Götzl. Begründet wurde er mit der Anordnung Götzls, die Anwälte vor jedem Prozesstag zu durchsuchen, etwa auf Waffen.
Dagegen können Vertreter der Bundesanwaltschaft, Richter und im Prozess eingesetzte Justizwachtmeister, Polizisten und Protokollführer ohne Kontrollen in das Gebäude. Dies sei eine bewusste Diskriminierung und Desavouierung der Verteidiger, hieß es in dem Antrag. Der Anwalt eines von Zschäpes Mitangeklagten schloss sich dem an. Das Gericht unterbrach den Prozess bis zum 14. Mai, um über die Anträge zu entscheiden.
In dem Verfahren muss sich Zschäpe als mutmaßliche einzige Überlebende der Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) wegen Mittäterschaft bei zehn Morden verantworten. Ihr droht im Falle einer Verurteilung lebenslange Haft. Ihre mutmaßlichen Komplizen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos hatten sich im November 2011 getötet, als ihnen die Polizei nach einem Bankraub auf die Spur gekommen war. Böhnhardt und Mundlos sollen zwischen 2000 und 2007 acht türkischstämmige Kleingewerbetreibende, einen griechischstämmigen Mann und eine deutsche Polizistin ermordet haben. Vier Mitangeklagten Zschäpes wird Unterstützung der Terrorzelle beziehungsweise Beihilfe bei dessen Taten vorgeworfen.
Zschäpe wurde ohne Handschellen ins Gericht gebracht. Die 38-Jährige, in weißer Bluse und schwarzem Hosenanzug, betrat den Saal mit verschränkten Armen und ernstem Gesicht. Meist mit dem Rücken zu den Fotografen wartete sie stehend mit ihren drei Anwälten auf den Beginn der Verhandlung. Sie hat sich in der Untersuchungshaft nicht zu den Vorwürfen geäußert und will auch im Prozess schweigen. Die Verhandlung verfolgte Zschäpe gestützt auf einen Ellbogen und ließ sich das Geschehen von ihren Anwälten erklären und sah lange Zeit zu Boden. Dass ihr die Angehörigen der NSU-Mordopfer gegenüber saßen, schien sie nicht zu beeindrucken.
Von den rund 80 zugelassenen Nebenklägern nahmen 24 Angehörige von Mordopfern am Prozessauftakt teil. Die Nebenkläger werden von etwa 60 Anwälten vertreten. Die Ombudsfrau der Bundesregierung für die Angehörigen der NSU-Opfer, Barbara John, sagte in einer Prozesspause der Nachrichtenagentur dpa, die Opferangehörigen hätten die erste Begegnung mit Zschäpe sehr gefasst aufgenommen. Es sei für sie sehr erleichternd, dass der Prozess endlich begonnen habe. Der Berliner Rechtsanwalt Mehmet Daimagüler, der zwei Opferfamilien vertritt, sagte: "Es ist eine sehr, sehr schwierige Situation, jenen Menschen gegenüber zu sitzen, die dafür verantwortlich sind, dass der Familienvater umgebracht wurde."
OLG-Präsident Karl Huber zeigte sich erleichtert über den Prozessauftakt. Türkische Abgeordnete und Konsulatsvertreter kamen nach seinen Angaben problemlos in den Saal. Der türkische Botschafter in Deutschland sei ebenfalls als Zuschauer in den Saal nachgerückt. Der Gerichtssaal bietet Platz für 50 Journalisten und für 50 Zuschauer.
Das geringe Platzangebot für Medienvertreter hatte im Vorfeld des Verfahrens für Wirbel gesorgt und zu einer Verschiebung des Prozessbeginns geführt. Nachdem das Bundesverfassungsgericht wegen Nicht-Berücksichtigung türkischer Medien Änderungen verordnet hatte, vergab das OLG die Presseplätze in einem Losverfahren neu. Für das Verfahren sind zunächst 80 Verhandlungstage angesetzt, und zwar bis Januar 2014. Mindestens 600 Zeugen sind geladen.
Der Prozess dürfte einer der größten der deutschen Rechtsgeschichte werden. Vor Beginn der Verhandlung forderten die Opfer und deren Angehörige "maximale Aufklärung" durch die deutsche Justiz. Anwälte der Nebenkläger äußerten zudem die Hoffnung, dass am Ende des Verfahrens nicht nur eine Verurteilung der Angeklagten stehe, "sondern auch eine klare Benennung von Mitverantwortlichen". Der Koordinationsrat der Muslime bezeichnete die Erwartungen an den Prozessausgang als "enorm". Vor allem eine mögliche Verstrickung der Behörden solle geklärt werden.
Die Ermittlungsbehörden hatten den neonazistischen, rassistischen Hintergrund der Mordserie erst nach dem Tode von Mundlos und Böhnhardt erkannt, als Medien mutmaßlich von Zschäpe verschickte Bekennervideos erhielten. Erst danach begann eine mühsame Aufarbeitung der Geschehnisse. Nach und nach kamen Details zu den Verbrechen ans Licht - und zu den haarsträubenden Pannen bei der Aufklärung. Akten wurden vernichtet beziehungsweise zurückgehalten, wichtige Informationen nur scheibchenweise publik gemacht und es wurde versucht, Fehler zu relativieren. Untersuchungsausschüsse gruben sich durch Aktenberge, Verfassungsschutz-Chefs räumten ihre Posten, erste Reformen wurden angestoßen.
wl/SC/gmf (dpa, rtr, afp)