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Mit Kraftwerken CO2 abfangen: Bluff oder Klimarettung?

31. Januar 2023

CO2 mit dem BECCS-Verfahren abfangen und speichern - das könnte die Klimakrise abbremsen. Doch wie realistisch ist die Umsetzung der umstrittenen Technik? Ein Überblick über Chancen und Nachteile.

Heizkraftwerk in Ulm. Das Kraftwerk wird mit Biomasse betrieben. Rauch kommt aus den Schornsteinen.
Biomasse-Heizkraftwerk in Ulm, Baden-WürttembergBild: W. G. Allgoewer/blickwinkel/picture alliance

Der CO2-Ausstoß muss schnell und drastisch reduziert werden, um das Pariser Klimaziel noch einzuhalten. Das derzeitige Tempo der Staaten zur Abkehr von Kohle, Öl und Gas reicht dafür nicht aus.

Im letzten Sachstandsbericht betonte der Weltklimarat (IPCC) deshalb, dass selbst bei einer Halbierung der CO2-Emissionen bis 2030 die Welt zusätzlich auf Technologien zur CO2-Entfernung aus der Atmosphäre angewiesen sein wird.

Einige Optionen dafür, wie etwa das Pflanzen von mehr Bäumen und der Erhalt von bestehenden Wäldern, sind vergleichsweise einfach. Neue Technologien, wie etwa die Gewinnung von Bioenergie mit gleichzeitiger CO2-Abscheidung und anschließender unterirdischer Speicherung (BECCS) sind in größerem Maßstab bisher kaum erprobt. Worum geht es dabei?  

Was ist BECCS?

BECCS steht für Bio Energy Carbon Capture and Saving. Einfach gesagt wird bei dieser Methode Biomasse, etwa Holz, Stroh oder Energiepflanzen, in Kraftwerken verbrannt, um Energie zu gewinnen. Das dabei freiwerdende CO2 wird abgefangen, tief in den Boden gepumpt und dort dauerhaft gelagert (CCS).

Die Pflanzen haben beim Wachsen CO2 aus der Luft aufgenommen, das beim Verbrennen der Pflanzen wieder frei wird. Das Klimagas wird aufgefangen und gespeichert, so wird in der Summe CO2 aus der Atmosphäre entzogen. Man spricht dabei auch von negativen Emissionen. 

Alternative: In Island steht eine der weltgrößten Anlagen, die CO2 direkt aus der Luft filtert Bild: Cover-Images/imago images

Statt bei der Verbrennung von Biomasse kann CO2 auchmithilfe von Filtern und Chemikalien direkt aus der Umgebungsluft extrahiert und dann unterirdisch gespeichert werden,  das ist die sogenannte DAC (Direct air capture) Methode. Einige solcher Anlagen gibt es bereits. Sie sind allerdings deutlich teurer und brauchen noch mehr Energie.

BECCS "birgt enormes Potenzial"

"Das Problem des Klimawandels ist zu groß, um eine Lösung wie BECCS im größtmöglichen Umfang unerforscht zu lassen, ungeachtet früherer Skepsis", sagte Meron Tesfaye von Carbon180 in einem Artikel im Mai 2021. Die US-Nichtregierungsorganisation (NGO) kümmert sich um mögliche Lösungen für die CO2-Entfernung. "In letzter Zeit gab es ermutigende Forschungen, die zeigen, dass BECCS ein enormes Potenzial birgt."

Tesfaye fügte jedoch hinzu, dass die Technologie nicht überall gleich angewendet werden könne und lokale Gegebenheiten und Umweltbelange berücksichtig werden müssten.

Klimaszenario: Viel CO2 muss zukünftig aus der Atmosphäre entfernt werden. Kritiker fordern lieber eine schnellere Reduktion der Neuemissionen.

Unterstützer, darunter der Handelsverband Bioenergy Europe, betonen dass BECCS dazu beitragen könnte, Emissionen zu kompensieren, die etwa bei der Stahl- und Zementherstellung oder durch den Flug- und Schiffsverkehr entstehen.

"Die EU hat ein vitales Interesse, das volle Potenzial von BECCS freizusetzen", so der Verband in einem Positionspapier. "Diese Technologie erleichtert eine tiefgreifende Dekarbonisierung der Wirtschaft in der EU und eröffnet gleichzeitig die Möglichkeit für grünes Wachstum."

BECCS "keine zuverlässige Option"

Kritiker von BECCS betonen jedoch die sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Nachteile dieser Technologie und die hohen Kosten. "Das ist das falsche Versprechen einer schnellen technischen Lösung, das stark von den Interessen der fossilen Wirtschaft unterstützt wird. Es sollte nicht von der dringenden Notwendigkeit ablenken, die Verbrennung fossiler Brennstoffe einzustellen und Wälder, Böden und andere Ökosysteme zu schützen und wiederherzustellen", wie die europäische NGO für Waldschutz Fern erklärt.

Fern bezeichnet BECCS als "verführerische Augenwischerei", denn der Prozess sei unzuverlässig, und hänge von zu vielen Variablen ab. Der gesamte BECCS-Prozess sei außerdem sehr energieintensiv und dabei könne so viel CO2 entweichen, dass die Technologie in einigen Fällen tatsächlich gar keine Emissionen reduzieren würde. Je nach Standort würden auch durch Anbau, Lagerung und Transport der Biomasse ebenso wie beim Auffangen des CO2 und den Lagerungsprozess neue Emissionen freigesetzt, mahnt Fern. 

Funktioniert CO2-Abscheidung?

04:36

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Klimaszenarien mit BECCS nicht realistisch 

Auch die Konkurrenz um die schon jetzt knappen landwirtschaftlichen Flächen für den Anbau von Nahrungsmitteln könnte problematisch werden. Wenn BECCS im großen Umfang eingesetzt würde, um die Erderhitzung auf unter zwei Grad zu begrenzen, so würde allein für den Anbau der Biomasse zusätzliche Ackerfläche gebraucht, die ein- bis zweimal so groß wie Indien sei, erklärt Fern. Das zeige eine Studie von 2015 in der wissenschaftlichen Zeitschrift Nature Climate Change. 

Das Problem des riesigen Flächenbedarfs betont auch Daniel Quiggin in seinem Bericht für das britische Politikinstitut Chatham House.

Würde zum Beispiel im Vereinigten Königreich Biomasse angebaut, um BECCS Kraftwerke zu versorgen, so würde fast ein Drittel der landwirtschaftlichen Fläche von Großbritannien dafür gebraucht. "Das ist ein erheblicher Anteil und das könnte Auswirkungen auf die Lebensmittelpreise haben", so Quiggin.

Vor einer Überbewertung von BECCS warnt auch der Zusammenschluss von Europas Wissenschaftsakademien (EASAC). Die Wissenschaftler betonen, dass viele der Szenarien unrealistisch seien, die CO2-Emissionen mit Hilfe von BECCS auf rechnerisch auf Null senken wollten.

"Wenn wir uns die Wissenschaft ansehen, gibt es eine erhebliche Lücke zwischen der angenommenen Biomassenutzung und den verfügbaren Mengen, die nachhaltig sind und nicht mit höherwertigen Nutzungen wie Lebensmittelproduktion und Erhalt des Ökosystems in Konflikt geraten", sagt Lars Walloe, Vorsitzender des Umweltlenkungsgremiums von EASAC. Walloe fügt hinzu, dass der Unterschied zwischen der benötigten und der tatsächlich verfügbaren Biomassemenge bis zu 60 Prozent betragen könnte.

Frachter vor Stockholm mit Holzhackschnitzel. Ab 2025 wird in der schwedischen Hauptstadt in einem Biomassekraftwerk CO2 aufgefangen und unterirdisch gelagert (BECCS).Bild: Gero Rueter/DW

BECCS birgt "Risiken für zukünftige Generationen"

Die Möglichkeiten zur CO2-Entfernung mit BECCS würden von vielen Entscheidungsträgern überschätzt, warnt Quiggin. Dadurch würden Maßnahmen zur Emissionsminderungen verzögert und verhindert. "Dies könnte zu einem zusätzlichen Temperaturanstieg von bis zu 1,4 Grad Celsius führen."

Auch die EASAC warnt vor dem Verlass auf diese Technik. "Auf Zukunftstechnologien wie BECCS zu setzen, um heute unzureichende Emissionsminderungen später zu kompensieren, birgt erhebliche Risiken für zukünftige Generationen", sagt Michael Norton, Direktor des Umweltprogramms von EASAC. Er empfiehlt, dass BECCS-Projekte im Umfang begrenzt bleiben und diese Technologie nur als zusätzliche Minderungsstrategie betrachtet wird.

"Die Gefahr bleibt, dass BECCS den politischen Entscheidungsträgern als Klimalösung angeboten wird, um die politisch anspruchsvolleren Minderungsoptionen zu vermeiden", so Norton.

Adaptiert aus dem Englischen von Gero Rueter

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